Eins mit Stern knapp verfehlt

Über Thomas Gsellas ersten Gedichtband

Von Klaus Cäsar ZehrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Cäsar Zehrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Knapp hundert Gsella-Gedichte, thematisch aufgeteilt in Kapitel wie "Leben", "Trinken", "Lieben", "Tieren" (ja doch: "Tieren"). Nichts wie hinein ins Vergnügen. Thomas Gsella kann dichten, und er ist komisch. Nun, das darf man vom Autor eines komischen Gedichtbands auch tunlichst erwarten:

"Geblendet sprach ein Leguan

die wunderschöne Seekuh an:

'Ich hab' noch guten Scotch im Schrank;

wir äh... was hältst du...' - und ertrank.

Moral: Ein jeder Flirt mißlingt,

sobald der Flirtende ertrinkt!"

Wo aber hat Gsella sein Handwerkszeug gelernt? Das läßt sich ziemlich genau sagen: Der Mann muß aufmerksam seinen Gernhardt gelesen haben. Bereits der Titel spielt auf Robert Gernhardts berühmtes Sonett "Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs" an, einmal wird er als Motivgeber ausdrücklich genannt (bei Gsella holt der Ex-Raucher, bei Gernhardt der Kragenbär sich munter einen nach dem andern runter). Durch den gesamten Band schimmert das Vorbild so deutlich durch, daß sich ein Vergleich der beiden Dichter anbietet.

Gsella ist - von Ausnahmen abgesehen - vor allem auf reine Komik aus, orientiert sich also hauptsächlich an dem frühen Gernhardt der sechziger und siebziger Jahre, weniger an dessen neuerem und ungleich vielfältigerem, auch analytischerem und ernsterem Schaffen. Gernhardt klopfte von Anfang an experimentierfreudig Sprache, Bild und Kunst nach neuen Möglichkeiten der komischen Wirkung ab. Naturgemäß landete er dabei nicht nur Treffer, sondern veröffentlichte auch Manches, das - zumindest im Rückblick - allzu leicht oder allzu schwer, allzu matt oder allzu überdreht erscheint. Gsella wählt aus dem reichen Gernhardtschen Erbschatz zielsicher jene Formen aus, die sich als besonders überlebensfähig erwiesen haben - siehe etwa obiges Tiergedicht, das deutlich an Gernhardts "Animalerotica" erinnert. Hat Gernhardt die moderne Komik zumindest miterfunden, so ist Gsella kein Neuerer, aber einer der würdigsten und fähigsten Bewahrer der Tradition der Neuen Frankfurter Schule. Er schreibt wasserdicht nach allen Regeln der komischen Kunst, die bereits vor ihm galten und noch ein Weilchen gelten dürften; das hat den Vorteil, daß nichts richtig daneben geht, und den Nachteil, daß er mit keinem nie-gehörten Kniff überraschen kann.

Besonders interessant wird es dann, wenn Gsella sein Vorbild nicht nur nachbildet, sondern es fortschreibt, das heißt, wenn er beim Leser als bekannt vorausgesetzte Motive Gernhardts weiterspinnt. Daß das überhaupt funktioniert, beweist, wie klassisch manche Gernardt-Verse bereits sind. Schauen wir uns zwei kurze Beispiele an, ein gelungenes und ein weniger gelungenes.

"KLASSENKAMPF

Erst faxte Hofmannsthal an Brecht:

'Mein lieber Bertolt, mir ist schlecht!'

Dann faxte Brecht an Hofmannsthal:

'Das ist mir sowas von egal.' "

Das war bereits das weniger gelungene Beispiel. Wieso? Ist doch lustig? Nun ja. Beim Lesen dieses Vierzeilers von Gsella klingelt's beim Gernhardt-Kenner gleich zweimal. Er denkt an "Herr und Knecht" ("Der Herr rief: 'Lieber Knecht,/ mir ist entsetzlich schlecht!'/Da sprach der Knecht zum Herrn:/ 'Das hört man aber gern!'") sowie an den "Steiner"-Zyklus ("Steiner sprach zu Thomas Mann:/ 'Zieh dir mal dies Leibchen an!'/ Darauf sagte Mann zu Steiner:/ 'Hast du's auch 'ne Nummer kleiner?'"). Welche Neuerung bietet im Vergleich dazu Gsella nach über dreißig Jahren? Einen etwas angestrengten Verfremdungseffekt - hihi, damals gab's doch noch gar keine Faxgeräte! Ein wenig wenig, deshalb schnell weiter zum gelungenen Beispiel.

"NA ALSO! Zugegeben:

..,-

sind noch lang' kein Mondgesicht. Aber:

? '

Fertig ist der Erzbischof! Hurra! Und überhaupt:

( + )

Fröhlich war das Känguruh, denn es kriegt von der Ente

20 $ + % e"

Dagegen sieht die alte Vorlage, wie es sich gehört, alt aus; Gernhardts "Mondgedicht" ist nämlich so kurz wie schlicht ("..,-/ fertig ist das Mondgedicht"), und wie pfiffig Gsella dieses nicht wirklich wuchtige Poem aufpeppt, das laß' ich mir gerne gefallen. Gsella hat auch einiges, was Gernhardt nicht hat, beispielsweise eine Vorliebe für das längere Erzählgedicht (die hat er womöglich von F. W. Bernstein geerbt). Resultat des Gernhardt-Gsella-Vergleichs: Remis in der Kategorien "Sprachbeherrschung" und "Erzeugung von Leselust", knapper Punktsieg für Gernhardt wegen besonderer Leistungen im Bereich "Innovation und Forschung". So. Gernhardt beiseite. Lassen wir für den Rest Gsella noch ein wenig Gsella sein.

Ja, das Erzählgedicht also. Bei Gsella bis zu drei Seiten lang und in der Regel in gut geölte, manchmal allzu glatte Drei- oder Vierheber gegossen, wobei er nicht nur die üblichen Paar- oder Kreuzreime, sondern überraschend häufig auch umarmende Reime verwendet (eine weitere seiner Lieblingsformen ist das - bei ihm etwas vereinfachte - Sonettschema).

Wer reimend Geschichten erzählt, kann hauptsächlich zwei Fehler machen. Entweder gibt er sich aus Not mit dünneren Stellen und schwächeren Versen zufrieden, nur um seine Geschichte irgendwie ins Ziel zu bringen. Diesen Fehler können wir übergehen, denn er unterläuft Thomas Gsella nicht; da ist alles schön dicht und fest gepackt. Oder man sprudelt derart vor Ideen über, daß man diesen Gedanken und jene Formulierung noch mit hinein nimmt, so daß das Werk aus dem Leim gerät und man viel mehr Worte macht, als für das zu Sagende nötig wären. Davor ist Gsella nicht gefeit. Es mag allerdings sein, daß die epische Breite der Gedichte bei Lesungen gerade ihre Stärke ist.

Und weil ich gerade beim Mäkeln bin: Zwei Mittel zur Erzeugung von Komik, die mich im Einzelfall überhaupt nicht stören, kommen bei Gsella für meinen Geschmack entschieden zu häufig vor und werden dadurch zur Masche. Das ist zum einen der flapsig-vulgäre Jargon. Zielgerichtet eingesetzt paßt er bei ihm wunderbar ("Himmelarsch, ich sag' euch was:/ Das Benimm ist heute schlimm."). Natürlich darf man auch "Hermann Hesse" auf "Laberfresse" reimen; doch wenn er die Kraftsprache grundlos verwendet oder unnötig überzieht, dann gleitet das Ganze ins Jugendsprachliche.

Dazu führt auch der zweite Dreh. Nicht nur der oben zitierte Leguan stottert und stammelt - das wollen wir ihm gerne verzeihen, wer weiß, wie wir uns beim Ertrinken artikulieren würden -, auch Gsella unterbricht sich immer wieder, schiebt Füllwörter ein, sucht scheinbar nach Formulierungen, gibt sich selbstironisch als unfähig aus:

"DICHTER MIT LESERIN AM STRAND

Sieh das Meer entfesselt wüten

Sieh die Winde stürmisch wehn

Sieh die Möwen äh... sich drehn

Sieh... hm... Tüten, hüten, brüten...

Sieh mal da, da... ist ein Schwimmer -

Sie, das wird nix. Also gehn

wir am besten gleich aufs Zimmer."

Wie gesagt, sowas kann man mal machen, nur in der Wiederholung wird es etwas anstrengend. Vielleicht ist der richtige Weg, das Buch zu lesen, derjenige: Jeden Tag ein Gedicht, und wenn man fertig ist, fängt man wieder von vorne an, so lange, bis endlich Gsellas zweiter Gedichtband erscheint.

Denn der blutjunge Thomas Gsella, Jahrgang 1958, gibt mit seinem Dichterdebüt zu schönsten Hoffnungen Anlaß. Es wäre zu wünschen, daß er künftig seinen kräftigen Stil etwas besser zu zügeln verstünde, ohne zugleich seinen prallen Witz zu zügeln. Es wäre weiterhin zu wünschen, daß es ihn noch stärker in die Richtung nachfolgenden Gedichtes zöge, das hiermit feierlich die Note eins verliehen bekommt (ohne die kalauerhaft falsche Worttrennung in Zeile 7/8 hätte es zur Eins mit Stern gereicht - wäre eventuell "nicht eilig ein Nümmerchen" besser gewesen?):

"IMMER DASSELBE

So wie sie hereinkam,

so schlug es mich nieder.

Und jedweder Schweinkram

verbot sich mal wieder:

Drei Nummern zu heilig,

da kann ich nur lieben.

Da kann ich kein eilig-

es Nümmerchen schieben."

Titelbild

Thomas Gsella: Materialien zur Kritik Leonardo DiCaprios und andere Gedichte. Mit Zeichnungen von Greser & Lenz.
Eichborn Verlag, Frankfurt 1999.
136 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3821835257

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