Verjuxt, veralbert und ins Komische gewendet

Peter Rühmkorf und einige seiner Zeitgenossen

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein Sujet, ein Motiv, ein Besingungsgegenstand mögen noch so verjuxt, veralbert und ins Komische gewendet worden sein - [...] in dem großen Regenerator der Poesie kann es trotzdem noch einmal unerwartete Tiefen aufreißen und tragischen Ernst gewinnen."

Die Umdichtungen der Klassiker und die Parodien von Bibelsprüchen und Gesangbuchversen mögen ein Sakrileg darstellen, doch ihr Nutzen ist schwerlich zu leugnen. Peter Rühmkorf, Virtuose der Dichtkunst und poeta doctus, hat in einer Vorlesung an der Georg-August-Universität Göttingen die Bedeutung der parodistischen Verskultur für unser kulturelles Wissen hervorgehoben. Mit den klassischen Bildungsgütern, den Schillerschen Balladen etwa, gehe es uns allen ähnlich: "Man versucht sich zu erinnern - wie man bei den Beatles heute noch die bekanntesten Melodien nachpfeifen kann - aber statt des Originals fallen einem komischerweise als erstes diese satirischen Umdichtungen und Parodien wieder ein."

Erinnert werden nämlich nur die lyrischen 'Evergreens', die 'Smash-Hits', die 'Lyrik-Hammer', die durch Parodie Teil der "Umgangspoesie" geworden und dadurch ins "Volksvermögen" eingegangen sind. "Was du ererbt von deinen Vätern hast", heißt es im "Faust", "erwirb es um es zu besitzen". Rühmkorf zeigt, dass die "Lästerschule" eine besonders "lustvolle Kür" ist, wenn es darum geht, vom Erlernten Zeugnis abzulegen. In seinem poetischen Werdegang habe er der Spottlust immer freien Lauf gelassen. Schon seine ersten nachweisbaren Schreibproben seien gereimte Gedichtchen gewesen, und früh habe er sich begeistert, das Liedgut der Nazibarden zu malträtieren. Begeistert habe er als Fünfzehnjähriger Feindsender gehört und fiktive Tauschangebote in die Zeitung gesetzt: "Biete Memoiren eines Marineleutnants. Suche Sense zwecks Eintritts in den Volkssturm." Auch habe es eine "noch ganz andere Lesersozialisiation" gegeben, als jene, von der Martin Walser zu berichten wisse: "Sein scheinunschuldiges Spiegel-Gespräch mit Rudolf Augstein schien mir die pure Heuchelei. Es sei denn, dass er sich schon damals in der Kunst des Wegsehens / Weghörens geübt hat."

Rühmkorfs eigene Gelegenheitslyrik verrät echte Könnerschaft, und zwar von der ersten Zeile an. Die ersten Postkartengrüße gelten Werner Riegel, dem früh verstorbenen Mitstreiter beim "Studentenkurier". Riegel war es, der 1955/56 den Kontakt zwischen Peter Rühmkorf und Arno Schmidt hergestellt hat. Beide Autoren hatten viele Gemeinsamkeiten, darunter die Ablehnung Martin Walsers ("Gott hat ihn für Kritik und Literaturgeschichte prädestiniert. Weniger für eigene Produktion") und das Gespür für komische Wirkungen. Aus der freundschaftlichen Verbindung wurde später auch eine geschäftliche, wie Frank Schäfer in seiner schmalen Studie "Lichtenberg - Schmidt - Rühmkorf" darstellt. Als Lektor von Rowohlt versuchte Rühmkorf Ende der 50er Jahre, im eigenen Verlag für eine "Schmidt-Hausse" zu sorgen. Als dies nicht gelang, vermittelte er Schmidts Texte an die Zeitschrift "konkret".

Dafür gibt es jetzt eine Rühmkorf-Hausse im Hause Rowohlt. "Gar nicht schlecht, Herr Specht", möchte man ausrufen, wenn man seine opulenten "Postalien und Versendungsvermerke" in Händen hält. "Die Barbara aus Wislawa", schreibt Rühmkorf im August 1955 an Werner Riegel, "die gönnt mir keine Ruh, / sie zeigt mir halb Warszawa / und dann noch was dazu". Der Dichter scheut sich nicht, auch einmal deutlicher zu werden - und malt uns die Möse der Souffleuse ("Verfluchtes Sommerloch"). Rühmkorf aquarelliert und kalligrafiert auf hoteleigenes Briefpapier, schnell, dynamisch und mit deutlich mehr Ausdruck als sein Kollege Grass: "Jinterchen und Peterchen / sich doch jut verstehterchen / Fast wie Arsch und Hinterchen / Peterchen jrießt Jinterchen". Rühmkorf schreibt Texte zu Bildern oder malt Bilder zu Texten, tütet das ganze ein oder verschickt selbstgestaltete Postkarten. Man sieht, wie die Postwertzeichen teurer werden - und wie die Selbstportraits reifen. Ihm gelingt sogar der Pegasus mit Rühmkorf-Physiognomie.

Dichter, Jazz-Musiker, Maler und komischer Zeichner - der Mann ist vielfach begabt und hat ein Auge. Horst Janssen ist mit Gewißheit eines seiner Vorbilder. In einer Fotografie Alfred Döblins erblickt er den jungen Klaus Staeck, und die Ähnlichkeit ist in der Tat verblüffend. Rühmkorf versteht es zudem, seine spöttisch-scharfe Zeichnerei - wie einst E. T. A. Hoffmann - mit politischer Satire zu verbinden. Beneidenswert der Adressat, der den ultimativen Kommentar zur Friedenspreisrede Martin Walsers zugeschickt bekommt: "Kinder, spricht der Onkel Walser, / Preisbörsianer, Allumhalser, / unser einst zu schmales Land / ist jetzt ein normales Land, / wo man wieder schreibt und sagt / was uns an uns selbst behagt. / Schaut euch um, doch nicht zurück: / Ravensburg statt Ravensbrück; / Meßkirch, auch sehr hübsch gelegen, / traulicher als Esterwegen. / Dachau? Flossenbürg? Ah, geh! / Bodensee - nicht Plötzensee. / Und so weiter dergestalt, / dass sich jeder ohne Reue / unserer Nazion erfreue: / Westerwald! - statt Buchenwald."

Titelbild

Frank Schäfer: Lichtenberg - Schmidt - Rühmkorf.
Wehrhahn Verlag, Hannover 1999.
77 Seiten,
ISBN-10: 393232496X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Peter Rühmkorf: Von mir, zu euch, für uns.
Steidl Verlag, Göttingen 1999.
224 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3882436832

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Titelbild

Peter Rühmkorf: Wo ich gelernt habe.
Wallstein Verlag, Göttingen 1999.
48 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3892443645

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