Aus Sicht der Männer

Georg Kleins Erzählungen "Anrufung des blinden Fisches"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Erzählung ist ein eigenartiges Gebilde. Liest man sie isoliert, entwickelt sie eine Art Raum um sich. Sie steht alleine da, provoziert Interpretationen. Liest man sie dagegen in einem Kontext, beispielsweise als Teil eines Erzählbandes, verändert sich der Raum, er wird größer, die einzelne Erzählung tritt in Konkurrenz zu den anderen. Die Möglichkeit des Vergleichens und somit des neuen Beurteilens entsteht. So ging es mir mit den Erzählungen von Georg Klein, die unter dem Titel "Anrufung des Blinden Fisches" erschienen sind. Erst war da die Erzählung "Schiem", die eingelöst hat, was der Roman "Libidissi" aus dem Vorjahr versprochen hatte: Großartige Literatur eines noch wenig bekannten Autors. Das setzte sich fort, als Georg Klein im Deutschlandfunk die Erzählungen "Liebe Chefin" und "Ukra'ina" las. Allein seine Art, die eigenen Texte vorzutragen, ihnen dabei ihre Fremdheit zu lassen, macht Lust auf das ganze Buch. Doch dann trat etwas Seltsames ein: Ich las alle Erzählungen und der Reiz wurde bei einigen Texten schwächer, manche haben mich dann sogar geärgert.

"Anrufung des Blinden Fisches" umfaßt zwölf Erzählungen, die in die drei Abteilungen Membran, Schnittstelle und Geschlecht unterteilt sind. In allen Texten geht es - das ist eine Eigenart bei Georg Klein - um Berufe oder Berufungen, um Beschreibungen aus der Arbeitswelt und deren Bedingungen. Die Protagonisten sind fast immer Männer, oftmals unter sich, selten im Kontakt mit Frauen. Sie sind Texter, Maler, Kunstsammler, Rohbilddeuter (eine Kleinsche Erfindung, vermute ich), Info- und Sound-Designer, Vertreter, Künstler, Journalisten und Varietéleiter. Und sie sind meist schwach, was sich in rätselhaften Krankheiten oder fehlendem Rückgrat ausdrückt, aber auch in übertriebener Hörigkeit, vor allem Frauen gegenüber. Frauen, so selten sie bei Klein vorkommen, haben das Sagen, diktieren die Männer, betrügen und verführen sie. Und noch etwas ist fast allen Figuren aus dem Erzähluniversum Georg Kleins gemein: Sie haben kaum oder gar keine sozialen Bindungen, ihr Schöpfer gewährt ihnen kein ausführliches Privatleben, vielmehr treibt er sie bindungslos durch seine häufig labyrinthischen Szenarien. Wenn es ausnahmsweise Personen gibt, die nicht allein sind - und das Buch beginnt mit den Worten "Endlich allein" -, dann ist es beispielsweise ein Männerpaar. Das homoerotische Moment gibt es auch in Kleins Roman "Libidissi", wo die "Verliebten Lächler" auftreten; im Roman wie in den Erzählungen liest man immer wieder kuriose Eigennamen, so heißt zum Beispiel die Hauptfigur des Romans "Ich=Spaik", in den Erzählungen gibt es Personen mit (Eigen-)Namen wie "Der Große Schiem", "Die Bucklige Gräfin" oder "Kommandantin" - Klein schafft dadurch Kosmen und Atmosphären, die tatsächlich zu existieren scheinen, von denen man selbst bisher noch nicht gehört hat. Er zeigt in "Libidissi", Orte wie Freddys Dampfbad oder den Naked Truth Club, und in den Erzählungen Etablissements und Örtlichkeiten, die nicht unbedingt Bestandteil des bürgerlichen Alltags sind. Oder gerade doch, allerdings auf verschwiegene, unterdrückte und verlogene Weise.

Alle Texte in "Anrufung des Blinden Fisches" sind Monologe. Bekenntnisse von Männern, die offenbar das Bedürfnis haben, sich eines Drucks zu entledigen. Die Sprache ist nüchtern, von großer Genauigkeit geprägt und beinahe kalt. Diese Kälte und Nüchternheit korrespondiert sehr gut mit den vielen technischen Details, von denen diese Texte auch handeln. Georg Klein scheint ein Faible für Maschinen, Apparaturen und Röhrensysteme zu haben. Technik und die Konfrontation des Menschen mit Technik sind elementare Bestandteile seiner Prosa. Möglich, dass er selbst einen mit Technik verbundenen Beruf ausgeübt hat, denn Georg Klein hat 15 Jahre lang einen Verlag gesucht. Während dieser langen Zeit muss er gearbeitet haben - ideale Studien für seine Texte.

Fast alle Figuren oder Nebenfiguren in diesen Erzählungen haben etwas ganz Aussergewöhnliches an sich, sie sind entweder geniale Autodidakten oder skurrile Zeitgenossen, alles ist extravagant, der Autor spart nicht mit Superlativen. Seine Sprachverliebtheit wirkt manchmal übertrieben, als vertraue er seinen Geschichten nicht vollständig, weswegen er sie mit Phrasen wie "ein alter Volkswagen auf pneulosen Felgen" aufblasen muss. Das liest sich wie eine schludrige Übersetzung, wo es doch ein schlichtes "ohne Pneus" oder "ohne Reifen" auch getan hätte.

Und bis auf zu vernachlässigende Nuancen sprechen alle seine Figuren im gleichen Ton. Klein schafft es nicht, den Personen unterschiedliche, an ihren jeweiligen sozialen Kontexten orientierte sprachliche Eigenheiten zuzugestehen. Dies führt schließlich zu einer gewissen Ermüdung und Eintönigkeit.

Titelbild

Georg Klein: Anrufung des blinden Fisches.
Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 1999.
196 Seiten,
ISBN-10: 3828600875

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