Hunde wollt ihr ewig leben?

Paul Austers Roman "Timbuktu" macht´s möglich

Von Melanie OttenbreitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Ottenbreit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hunde sind die besseren Menschen - duldsam, anhänglich und treu bis in den Tod. Schon mancher Besitzer hätte seinem Gefährten deshalb ewiges Leben gewünscht. Die wenigsten indes werden ernsthaft damit rechnen, ihre Vierbeiner dereinst wiederzusehen, denn das Jenseits ist nur für wirkliche Menschen bestimmt.

Paul Auster verkündet in seinem jüngsten Roman hingegen eine ganz andere Gewißheit: Mr. Bones, eine zottige Promenadenmischung, besitzt mehr als nur Verstand, Witz und einen Hang zum melancholischen Philosophieren. Sein Besitzer, der obdachlose Poet Willy G. Christmas, hat auch ihm ewiges Sein versprochen, an einem Ort mitten in "einer Wüste, weit weg von New York und Baltimore, weit weg von Polen und irgendeiner der anderen Städte, [...] dort, wo die Weltkarte endet". In Timbuktu, jener Heimat der Seelen, sind Hunde und Menschen gleich, auf immer vereint und glücklich.

Sterben, sinniert Mr. Bones in Menschenmanier, ist nur traurig ohne ein Wiedersehen. Als Willy im Sterben liegt, von Husten geschüttelt und blutigen Auswurf spuckend, währt daher seine Trauer nicht lange. In Timbuktu wird er auf ihn warten, an einem besseren Ort. Für Mr. Bones gilt es nun, auf Erden zu bestehen, bis auch seine Zeit gekommen ist.

Hungrig und verwahrlost schlägt er sich durch, lebt zunächst bei einem kleinen Jungen im Hof eines Chinarestaurants und dann bei einer tierlieben Familie auf dem Land. Dort frönt Mr. Bones den Wonnen der Bequemlichkeit, wird satt und faul und tauscht seine Freiheit gern gegen ein Leben an der Kette, die Freuden der Lust gegen ein Kastratendasein. Das Glück als Familienhund aber währt nur kurz. Bald schon plagen ihn scheußliche Magenschmerzen und kündigen sein Ende an. Zum Selbstmord entschlossen, rennt er solange über eine dicht befahrene Straße, bis ihn einer der Wagen erfaßt und seine Seele nach Timbuktu bringt - dorthin, wo es keine Sorgen mehr gibt, wo Hunde sprechen können und mit ihren Menschen "auf du und du" sind.

Wäre Paul Auster doch nur in Sprache und Stil genauso zielsicher wie Mr. Bones auf dem Weg ins Hundeparadies. "Timbuktu" scheint zwar an einer Fabel orientiert zu sein, ohne aber die literarische Form auszufüllen. Der Hund darf nicht reden, so wie es im Märchenreich üblich ist, weil sich der Autor scheut, ihm auch im Diesseits eine Sprache zu geben. Um das Tier, das auf Erden nur "kläffen, gähnen und jaulen" kann, dennoch zu einer Unterhaltung mit Willy zu befähigen, muß Auster mehrere Traumvisionen einblenden, die dem Fluß der Handlung eher schaden.

Die Schilderung der Welt aus dem Blickwinkel des vierbeinigen Protagonisten ist weitgehend blaß und fad. Auster vermag wenig Neues zu servieren, sondern häufig nur das bereits Bekannte aufzuwärmen, so wie das Klischee von den drei Themen, die "Hundilein" einzig interessieren: "Futter, Sex und Neuigkeiten über andere Hunde." Origineller erscheint da schon die Frage, ob Mr. Bones über Seele und Intellekt verfügt, ob er gar einen "ästhetischen Impuls" verspürt. Um das herauszufinden, versucht Willy eine sogenannte Duftsymphonie aus alten Socken, Spaghettiresten und uringetränkten Lappen für den Hund zu komponieren. Falls der tatsächlich eine Seele besitzt, glaubt sein Herr, macht sich das vor allem durch Kunst bemerkbar. Denn sie ist schließlich jene Tätigkeit, "die über die Sinne zu jener Seele vorzudringen sucht."

Viele Überlegungen, die der Hundehalter im Namen Austers anstellt, sind indes gewöhnlich. Die Pointen sind selten überraschend, denn meist gehen sie über Binsenweisheiten nicht hinaus. So darf sich Mr. Bones etwa über den fremden Geschmack chinesischen Essens wundern, weil sich der Schauder viel besser entwickeln läßt, wenn sich das vermeintliche Fleisch eines Schweins als das eines hündischen Artgenossen entpuppt.

Was so ansprechend hätte werden können, nämlich die Welt mit den Augen eines Hundes zu sehen, ist Paul Auster mißlungen. Ihm fehlt der Wille, sich tatsächlich einen Hund zu versetzen. Ein Hund aber, der nur redet und denkt wie ein Mensch und nicht wie ein Tier, verdient es nicht, für seine Artgenossen zu sprechen.

Titelbild

Paul Auster: Timbuktu. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
192 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3498000535

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