Eine ungewöhnliche und abenteuerliche Geschichte des Neuanfangs

Jack Eisner erzählt in "Die Happy Boys” die Geschichte einer polnisch-jüdischen Band in Deutschland 1945 bis 1949

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die unmittelbare Zeit nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft im Frühjahr 1945 ist bis heute vergleichsweise wenig durch Zeitzeugenerinnerungen erhellt. Insbesondere gilt dies für jene, die unmittelbar nach dem Ende des Terrorregimes aus den Konzentrationslagern in Deutschland befreit wurden. Sie waren, sofern sie nicht jetzt noch den unmenschlichen Haftbedingungen erlagen, plötzlich in einem feindlichen Land sich selbst überlassen. Es ist jene "Atempause" nach der unvorstellbaren Erschöpfung, bevor die neue Menschwerdung beginnt. Doch nichts ist mehr wie es vorher war. Denn da ist, schrieb Primo Levi in seinem Buch "Die Atempause", "jene Scham, die die Deutschen nicht kannten, die der Gerechte empfindet vor einer Schuld, die ein anderer auf sich lädt und die ihn quält, weil sie existiert, weil sie unwiderruflich in die Welt der existenten Dinge eingebracht ist". Diese Erfahrung, das "ungeheuerliche Privileg unserer Generation und meines Volkes", wirkt auf immer weiter: "Sie ist eine unerschöpfliche Quelle des Bösen: sie zerbricht Körper und Seele der Betroffenen, löscht sie aus und erniedrigt sie [...] schwelt als Hass in den Überlebenden fort und wuchert weiter auf tausend Arten, gegen den Willen aller, als Rachedurst, als moralisches Nachgeben, als Verleugnung, als Müdigkeit und als Verzicht."

Von all dem findet sich auch etwas im Leben des Jack Eisner, der als polnischer Jude die Konzentrationslager der Nazis überlebte und der schließlich auf dem von den SS-Wachmannschaften verordneten Todesmarsch von Flossenbürg nach Dachau von amerikanischen Truppen befreit wurde: "Von einem Tag auf den anderen waren wir frei und auf uns selbst gestellt in einer Welt, die uns meist feindlich gesonnen war." Diese Welt war Cham, eine bayrische Kleinstadt. Hier fand sich eine Gruppe von jungen polnische Juden in Freiheit wieder.

Zunächst sitzt der Rachegedanke tief. Sie errichten Straßensperren und suchen nach untergetauchten Nazis, die sie zumeist den Amerikanern überstellen. Als ihnen schließlich einer der Peiniger aus Flossenbürg in die Fänge gerät, ist die Versuchung groß: "Mein Gott, wie sehr wollte ich Rache nehmen. Süße Rache!" Doch Gleiches mit Gleichem vergelten? Eisner löst den Konflikt: "Ich wußte, daß ich niemals würde vergessen können. Doch jetzt war es Zeit, an die Zukunft zu denken."

Die Männer waren jung und lebensgierig. Sie requirierten unter wohlwollendem Schutz der amerikanischen Besatzer ein Haus am Platz und lebten dort als eine Art Wohngemeinschaft. Alle hatten sie mit Musik zu tun und so kam die Idee auf, eine Band zu gründen. Ohne Instrumente? Doch einer aus der Gruppe, Haim Baigelmann, der aus einer angesehen Musikerfamilie in Lodz stammte, hatte vor seiner Deportation noch mehrere Musikinstrumente vergraben können. Wenn man die schon mal hätte! So fassten sie den irrwitzigen Plan, nach Polen zu reisen und die Instrumente zu bergen.

Es beginnt eine nur abenteuerlich zu nennende Reise unter den chaotischen Umständen der ersten Nachkriegsmonate. Doch das Unternehmen gelingt, und die jungen Polen gründen die Band "Die Happy Boys". Diese spielt vor allem vor Flüchtlingen und den sogenannten Displaced Persons, zumeist Juden, die nach ihrer Entlassung heimat- und orientierungslos sich noch in Deutschland aufhalten. In von den Amerikanern eingerichteten Auffanglagern, wie das im bayrischen Landsberg, warten viele von ihnen auf ihre Ausreise nach Amerika oder Palästina oder planen die ungewisse Rückkehr in ihre zerstörte Heimat. Für diese Menschen bietet das aus amerikanischen Jazz-Standards, jiddischen Liedern und Kabaretteinlagen zusammengesetzte Programm der "Happy Boys" ebenso Unterhaltung wie es Hoffnung vermittelt. Denn die, die da spielen, das sind Leidensgenossen. Sie verkörpern den möglichen Neuanfang. Die "Happy Boys" sind ,erfolgreich'. Zudem schaffen die Jungs mit cleveren Schwarzmarktgeschäften, bei denen die Band eine ideale Tarnung ist, zusätzlichen Wohlstand heran - und damit verbessen sich für alle die Chancen, endlich die ersehnte Ausreise nach Amerika zu wagen. Nach und nach gelingt das schließlich allen Bandmitgliedern und als einer der letzen verlässt schließlich auch Jack Eisner 1949 Deutschland. Als erfolgreicher Geschäftsmann setzt er sich seit den 60er Jahren intensiv für eine aktive "Erinnerungsarbeit" ein. Er gründet die "Warzaw Ghetto Resistance Organization" und führt Holocaust-Überlebende zusammen. In den 80er Jahren erscheint in Amerika sein Erinnerungsbuch "The Survivor". Die Fortsetzung dieser Lebensgeschichte, eingebettet in die Geschichte der "Happy Boys" wollte Eisner ausdrücklich bei einem deutschen Verlag erscheinen lassen. Im August 2003, kurz nach Fertigstellung des Manuskripts, stirbt Eisner 77jährig in New York.

Eisner schreibt kurz und bündig. Er ist ein zupackender Geschichtenerzähler, tiefgreifende Reflexionen liegen ihm nicht. Diese Schreibweise ist der ,fantastischen' Geschichte, die er erzählen möchte, durchaus angemessen. Doch zuweilen gerät er ,außer Atem'. An manchen Stellen wirkt die Geschichte wie zu hastig notiert. Manches Erzählte wirkt unzusammenhängend und man würde gerne wissen, wie die genauen Umstände gewesen sind. In einer editorischen Notiz weist der Verlag darauf hin, dass durch den plötzlichen Tod Eisners solche Fragen nicht mehr geklärt werden konnten.

Dennoch: die Erfolgsgeschichte der "Happy Boys" ist schon deshalb lesenswert, weil sie einen ebenso ungewöhnlichen wie abenteuerlichen Neuanfang in der unmittelbaren Nachkriegszeit schildert.

Titelbild

Jack Eisner: Die Happy Boys. Eine jüdische Band in Deutschland 1945 bis 1949.
Übersetzt aus dem Englischen von Steve Klimchak.
Aufbau Verlag, Berlin 2004.
218 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3351025718

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