Warum bleiben sie bei SOLCHEN Frauen?

Martina Zöllners Ehebruchroman "Bleibtreu" gibt Auskunft

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer liebt und geliebt wird, glaubt sich einzigartig. Die Entdeckung, dass auch andere lieben, tastet diese Gewissheit nicht an. Im Gegenteil, in der Widerspiegelung des eigenen Schicksals vermehrt sich dem Liebenden sein Glück. Anders die Geliebte, deren Gefühl mit der legalisierten Verbindung einer Ehe konkurrieren muss, weil sie außerhalb der bürgerlichen Ordnung liebt. Ihr prekärer sozialer Status und ihre psychischen Leiden scheinen nur erträglich als Ausnahmenexistenz, legitimiert durch die Gewissheit, einander zu lieben "wie sich noch nie zwei Menschen geliebt haben". Der romantische Glaube an die Ausnahmeerfahrung des Großen Paares hilft der Geliebten die Einsicht zu verdrängen, dass die Überzeugung, keine übliche Geliebten-Existenz zu führen, gerade keine Ausnahme, sondern ein Klischee ist, zu teilen mit dem Heer der heimlichen (Hotel-)Bettgefährtinnen verheirateter Männer. Umso schmerzlicher trifft die Einsicht: "Du bist keine Ausnahme darin zu glauben, eine Ausnahme zu sein. Daß dein Geliebten-Fall ein besonderer Geliebten-Fall sei, hast du geglaubt. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Einfamilienhäusern, dass das alle Geliebten glauben. Und dass alle Ehemänner des Universums ihren Geliebten die Daheimläuftnichtsmehr-Arie singen. Und daß sich alle Geliebten von diesen Arien in den Dämmerschlaf der Gutgläubigkeit hinüberverführen lassen."

Der Widerspruch zwischen dem Wunschglauben an die unerhörte Einzigartigkeit und der Wirklichkeit der außerehelichen Affäre als Mittelstandsinstitution ist das Thema von Martina Zöllners erstem Roman "Bleibtreu". Er erzählt aus der Perspektive der Geliebten, einer 36-jährigen alleinlebenden Kulturredakteurin, einer intelligenten, halbwegs emanzipierten, jedenfalls lebenstüchtigen Frau, ihre mehrjährige Beziehung zu dem viel älteren, attraktiven, wortgewandten und prominenten Philosophen Christian Bleibtreu. Der hat seine Frau Lisbeth geheiratet, als die Geliebte auf die Welt kam. Inzwischen fühlt er sich der Gemahlin nurmehr durch Gewohnheit verbunden und durch Dankbarkeit, denn seine "Daheimläuftnichtsmehr-Arie" ist von einem Schuldmotiv grundiert: Seit DIE FRAU ihm vor Jahren durch eine Organspende das Leben gerettet hat, stiftet ihre Lisbethniere im Leib des Gatten sehr materialiter die körperliche Gemeinschaft der Eheleute. In Konkurrenz zu ihr tritt die unio mystica der ehebrecherisch Liebenden, die als von ihm so genanntes "Näheprojekt" dem Vielschreiber Bleibtreu Stoff für sein wichtigstes Buch liefern soll.

In Personenkonstellation und Plot verwendet "Bleibtreu" die Klischees des Geliebtenromans. Dieses nahezu typische Frauen-Genre hat sich zu einem Subtypus des Ehebruchromans entwickelt. Er tritt dezidiert für die durch Heimlichkeit, ständiges Warten und Unsicherheit gedemütigte Geliebte ein und behauptet deren größeres Recht gegenüber der Ehefrau - zuweilen auch gegenüber dem ehebrechenden Mann. Das Genre verhalf Ulla Hahns erstem Roman "Ein Mann im Haus" zum Skandal, machte Monika Marons "Animal triste" zum Erfolg, brachte Marlene Streeruwitz mit "Nachwelt" die Anerkennung als Romanautorin und lieferte Elfriede Jelineks "Gier", in Anspielung auch auf Ingeborg Bachmanns gleichnamiges Fragment, das Material für eine parodistische Kollage.

Zöllners Thema ist also nicht neu und bereits von anderen Autorinnen in unterschiedlichsten Tonlagen von aggressiv bis larmoyant, von lasziv bis subversiv, interpretiert. "Bleibtreu" situiert die Handlung im Kultur-, Medien- und Intellektuellenmilieu. Das entspricht dem Zeitgeist, ist im erwartbaren Rahmen unterhaltsam und insofern 'telegen', als die Korrespondenzen zwischen dem Roman und seinen medialen Vorbildern in Gestalt eher konventioneller Fernsehfilme nicht verschwiegen, sondern als Vorgaben des 'Formats' reflektiert werden. Auf dramatische Spannung kann und muss der Roman deshalb weitgehend verzichten; mit der Vorhersehbarkeit der Ereignisse und Gefühle und deren Inszenierungscharakter kann er indes kokettieren:

"Sie sah sich selbst [...] in dieser Geliebten-Totale [...], kam sich vor wie im Film, ein Film über eine junge Frau auf dem Weg in die Geliebtenexistenz mit allen Absehbarkeiten, nichts besonderes, besonders war nur die Aussichtslosigkeit der Lage, wie im Film war es, bekannter Mann, älter als sie, in der Öffentlichkeit stehend, verheiratet, Bambinibambini, der wird seine Frau nie verlassen, der legt sich seine Bettvergangenheit und Ehevergangenheit und Ehegegenwart so zurecht, daß sie, die Geliebte, immer wieder Hoffnung schöpft und auf diese Weise hingehalten wird, bis sie verwelkt ist und einsam und kinderlos ins Alter hinübergleitet; einen solchen Film will sich kein Mensch mehr anschauen, so absehbar ist alles, was geschieht".

Die Unvereinbarkeit von erkannter Trivialität und gewünschter Originalität des heimlichen Liebesverhältnisses entzweit nicht nur Herz und Kopf der Protagonistin. Sie bestimmt auch das Verhältnis der Erzählerin zu ihrem Stoff und wird so sowohl zum Motor des Erzählens wie auch zum Anlass, die Erzählung zu unterbrechen, immer dann, wenn Konventionalität von Handlung und Gefühl Leser und Erzählerin im Erzählfluss hinwegzutragen drohen. Das Spannungsverhältnis von Klischee und Original verweist nicht zuletzt auch auf die Bedeutung, die dem Roman als Schlüsselroman über die (unterstellte) Liebesbeziehung der Autorin Martina Zöllner mit dem Autor Martin Walser innewohnt.

Formal trägt die Spaltung in eine Ich-Erzählung und in eine Sie-Erzählung, die zugleich als Roman im Roman funktioniert, dem Umstand Rechnung, dass die Geliebte fühlt und tut, was keine intelligente Frau sich zu empfinden oder zu tun gestatten würde, vom naiven Glauben an die Einzigartigkeit der Situation bis zum "Liebesakt am Trimm-dich-Pfad", im Januar bei Schnee. Blick und Sprache der Ich-Erzählerin für ihre Figur Antonia spiegeln die Schizophrenie von intellektueller Wahrnehmungsdistanz und emotionaler Unmittelbarkeit wider, als die der Roman die Geliebten-Existenz und das nachträgliche Schreiben über sie präsentiert: "Heute kommt es mir so vor, als sei sie durchdrungen gewesen von Liebe zu ihm, wie noch nie vorher, aber ich traue dieser Vorstellung nicht."

Das Problem, in Sprache Authentizität zu suchten und sie dennoch zu verfehlten, wird vom Theoretiker Bleibtreu reflektiert, in seiner Beziehung mit Antonia exerziert und von der Erzählerin immer mal wieder als poietologische Falle vorgeführt, nicht immer so offensichtlich wie im scheiternden Versuch, ein Joyce-Zitat aus den "Dubliners" dem eigenen Erleben anzuverwandeln: "Antonia stand am Fenster und schaute auf die Elbe. Es war halb neun abends, es regnete, stürmte. Das geht unmöglich, dachte sie. Aber wenn sie sich nun mal so fühlte, als sei ihr Leben eine Ansammlung von Situationen, die alle schon dagewesen waren. Was sollte sie da anders tun als zu beschreiben, dass das so war?"

Die gängige Vorstellung, dass die Ehefrauenexistenz die dauerhafte Norm, das Leben als Geliebte hingegen eine Ausnahme und zudem eine auf begrenzte Zeit darstelle, stellt Zöllner auf den Kopf, indem sie das Verhältnis von Regel und Ausnahme umkehrt: Alle Freundinnen Antonia Armbrusters sind Geliebte verheiraterer Männer und dies zum Teil über viele Jahrzehnte: Waltraud, um die 50, ist Cutterin und die "einzige, die das Geliebtendasein gelassen erträgt, mehr noch, sich darin entfaltet, und das seit einem Vierteljahrhundert"; Barbara, Halbitalienerin, kaum älter als Antonia und ebenfalls Medienfrau, stürzt sich, ermutigt von ihrem Therapeuten, in eine Affäre mit dem "schnellsten Aufsteiger unter den Nachwendeverlegern", der natürlich Familie hat, und die Endfünfzigerin Henriette, eine Bibliothekarin, die aussieht wie ein "spätes Mädchen", unterhält seit 32 Jahren ein Verhältnis mit einem verheirateten Statiker, den sie äußerst selten während seiner Dienstreisen trifft. Das Spektrum der Existenzformen von Geliebten ist groß - oder jedenfalls nicht kleiner als das der Ehefrauenleben, und diese wetteifern mit jenen, wenn es darum geht, den Mann durch emotionale Erpressung oder 'Aussprachen' so an sich zu binden, dass er durch seine Zuwendung ihren sozialen Status sichert. Diese Gemeinsamkeit zwischen den um Präsenz und Zugehörigkeit desselben Mannes rivalisierenden Frauen empfindet die Erzählerin durchaus als schmerzlich, und doch bereitet es Antonia Armbruster die größte Befriedigung, wenn sie bei einer der Lesereisen Bleibtreus den "Gattinnenplatz" in der ersten Reihe einnehmen kann, erfüllt von "Ehefrauenstolz". So bleibt im Roman das Modell Ehe fraglos, nicht nur als Projektionsfläche der eifersüchtigen Geliebten, und die Prominenz des Geliebten ein zentraler Faktor seiner Attraktivität. Der verheiratete Promi-Mann verkörpert ein Versprechen schillernder Ausnahmeexistenz, die im Gegensatz steht zur prosaisch-erschöpfenden Provinzehe von Antonias Schwester. Als sich dieses Modell kurzfristig auch Antonia zu eröffnen scheint durch die Affäre mit einem - ebenfalls verheirateten - Kollegen, lockt sie zwar sein "Geruch von Möglichkeit und Zukunft und Normalität und Kinderkriegen und Lebensplanung. De[r] Geruch eines jüngeren Mannes." Letztlich aber wählt sie (den nunmehr eifersuchtskranken) Bleibtreu, auch weil seine Nähe das Projekt einer schonungslosen "Selbsterkundung" ihren "sogenannten Roman" (über Antonia) vorantreibt. Die Arbeit an diesem Text wird von Bleibtreu quasi lektorierend begleitet, und spätestens belletristische Ratschläge wie "man muß seine Motive pflegen" machen Bleibtreu als Philosophen fragwürdig, seine Profession als Schriftsteller hingegen plausibel. Letzteres würde auch erklärten, dass eine junge Autorin ihm ihre Gedichte zuschickt, er sich aber "für Lyrik" nicht zuständig erklärt; hätte ein Philosoph nicht seine generelle Unzuständigkeit "für Literatur" erklären müssen?

Nun ist es schwer zu beurteilen, inwieweit die Informationen, denen zufolge der Roman "Bleibtreu" ein Schlüsselroman über ein Liebesverhältnis zwischen Zöllner und dem Autor Martin Walser ist, die Lektüre beeinflussen. Konstatieren mag man indes, dass die Figur Bleibtreu, die als Philosophieprofessor nicht sehr glaubwürdig wirkt, es sofort wird, wenn man in ihr einen Autor der Walserschen Art sieht; und das liegt nicht nur am obligatorischen "bitteschön". Thematisch, stilistisch und nicht zuletzt durch seine paratextuelle Situierung hat Martina Zöllners Roman, und das ist bei aller Bösartigkeit nicht das Schlechteste, was man über ihn sagen kann, durchaus seinen Platz in Martin Walsers Oeuvre.

Der Roman zeigt die Rahmenbedingungen und technischen Möglichkeiten des Ehebruchs, von den "Heimlichkeitsfeindlichen ISDN-Anlagen" in Privathaushalten über die relative Freiheit zur Untreue, die das Handy gewährt. Er macht sich die weibliche Perspektive zueigen und demonstriert die Literaturfähigkeit jener so genannten Frauenthemen, von PMS über Menstruation bis zur Abtreibung, deren Thematisierung und Literarisierung einst hart umkämpft und dann nachhaltig bestritten war. Und er tut dies meist unverkrampft und oft überzeugend. Soweit also zu den Erfolgen der literarischen Frauenbewegung im Unterhaltungsroman, denn um einen solchen handelt es sich letztlich. Dass der Roman als Ehebruchsroman daherkommt und die alten Fronten zwischen Ehefrauen und Geliebten scheinbar nicht in Frage stellt, mag man als Raffinesse deuten: Stoff und Konstruktion verleihen "Bleibtreu" einen soliden doppelten Boden. Er lässt den Text ebenso konkret und gut lesbar wie abgründig und ironisch erscheinen. Vor allem letzteres dient als wirksames Argument gegen den Vorwurf der Trivialität. Je nach Neigung haben die Rezensenten den Roman deshalb klischiert und konventionell oder eben amüsant und intelligent gefunden. Niemand hat indes, soweit ich sehe, den Verdacht geäußert, der sich bei der Lektüre aufdrängt: Dass Christian Bleibtreu diese Geliebte keinesfalls als Ehefrau in seinem Alltag haben, sondern ausschließlich als Geliebte auf Distanz halten möchte und dass die Störmanöver der Gattin deshalb für ihn höchst willkommene Schutzmaßnahmen darstellen, wenn er sie nicht gar selbst inszeniert: "Daß sie nach allem giert, was nach gemeinsamen Alltag aussah, begriff Christian nicht. Der hatte sie am liebsten im Edelrestaurant vor sich. Der wollt sie am liebsten als Feiertag. Allerdings nicht an Feiertagen."

Mag sein, dass diese Lesart jenseits der Autorintention liegt. Sie trüge das ihrige zur Rettung bei, der Protagonistin, der Erzählerin und der Autorin. Denn deren vermeintlicher Sieg liegt ja im "sogenannten Romanprojekt", dessen Entstehung "Bleibtreu" protokolliert. Dessen Schwächen werden im Text selbst bereits in der Kritik erster fiktiver Leser, die zum Nebenpersonal des Romans gehören, antizipiert. Dass die Geliebten-Existenz in ihrer Mischung aus Auserwähltheit und Zurücksetzung den Humus liefert für eine literarische Fruchtbarkeit, die Kinderlosigkeit, Einsamkeit und Abhängigkeit kompensiert, wenn sie nicht gar als endgültige Emanzipation vom Geliebten und Rache an ihm auftritt, gehört zu den belletristischen Phantasien, die alle Geliebten-Romane der letzten Jahre, von Ulla Hahn bis Elfriede Jelinek, zugleich als Motor ihrer eigenen Entstehung nutzen. Überträgt man diesen Plot von der im Roman erzählten Geschichte auf die Geschichte des Romans, wird dessen Lektüre als Schlüsselroman zur Fortsetzung der autopoetischen Fiktion im 'wirklichen' Leben.

Martin Walsers neuer im Juli erscheinender Roman "Der Augenblick der Liebe" wird angekündigt als Geschichte über die "Liebe zwischen dem verheirateten Privatgelehrten Gottlieb Zürn und einer Frau, die ihre Doktorarbeit über den französischen Philosophen LaMettrie schreibt. Sie lernt Zürn bei ihren Forschungen kennen. Er folgt ihr zu einem Kongress über LaMettrie in die USA, wo beide trotz ihres großen Altersunterschiedes eine Affäre beginnen." Man darf gespannt sein.

Titelbild

Martina Zöllner: Bleibtreu. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2003.
374 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3832178562

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