PR in eigener Sache

Peter Rühmkorfs Lese-Bilderbuch ist mehr als nur selbstbewusste Selbstvermarktung

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vorbei sind die Zeiten, da Selbstzweifel an ihm nagten. Wer im jüngst veröffentlichten "Tabu II" von der künstlerischen Krise liest, die Peter Rühmkorf einst zu Anfang der 70er Jahre beutelte, bekommt womöglich einen falschen Eindruck. Der für seinen spielerisch leichten Ton, seine formvollendete sprachliche Eleganz und nicht zuletzt auch seine Gesellschaftskritik bekannt gewordene Lyriker ist heute längst ein anerkannter, mit begehrtesten Literaturpreisen gefeierter Wortakrobat.

Angesichts dieser höchsten Weihen scheint es nicht übertrieben, dass sich nun, auch anlässlich seines gerade begangenen 75. Geburtstags, eine umfassende Hamburger Ausstellung mit Rühmkorfs Leben befasst - und dass obendrein ein autobiografisches Lese-Bilderbuch erschienen ist, auf dessen Umschlagtitel übergroß das Wort ICH prangt. Beschäftigen andere für ihre Selbstvermarktung Kommunikationsagenturen und Scharen von Öffentlichkeitsarbeitern, so erledigt der große Dichter sein Ich-Marketing kurzerhand selbst: PR erweist sich in diesem Band als Meister der Eigen-PR. Was üblicherweise rasch in Archiven verschwindet und von Biografen oft erst nach Jahrzehnten zugänglich gemacht werden kann, befördert Rühmkorf hier höchstpersönlich an das Licht der Öffentlichkeit. Seinem reichen Fundus entstammen nicht nur Tagebücher, sondern auch eine beeindruckende Sammlung privater Dokumente - Skizzen, Entwürfe, Zeichnungen, Briefe, Notizen und Kommentare - sowie zahlreiche Fotos von der Kinderzeit bis heute.

Doch was interessiert uns eigentlich so sehr an diesem Exzentriker der Elbromantik, der in kleinem Kreis gerne Mittelhochdeutsch spricht, an diesem schirmmützigen "Streuner durch Hamburgs finsterste Puffs und Strichgassen, Unmengen von Alkohol und wohl noch größere Mengen von Tabletten konsumierend" (Fritz J. Raddatz)? Die Wechselbeziehungen zwischen den vielen lyrischen Ichs der Gedichte und den nicht minder zahlreichen biografischen Ichs aus "Die Jahre, die Ihr kennt", den beiden "Tabu"-Tagebüchern und dem jetzt vorliegenden Bildband liefern gewiss reichlich Stoff für künftige literaturwissenschaftliche Untersuchungen. Gern übersehen darf man indes die der Ichbezogenheit innewohnende Eitelkeit. Denn bei aller Selbstinszenierung erliegt der Dichter nie der Versuchung, allein seine Stärken vorzuführen oder gar Ereignisse oder Abschnitte seines Lebens zu beschönigen. Trotz der feierlichen, großformatigen Buchgestaltung ist an diesem Lebenslauf nichts frisiert. Gerade weil sich das im Titel beschworene Ich so wichtig nimmt, ist die Bilanz dieses Bildbands von Grund auf ehrlich. Man findet nicht nur Rühmkorfs Misserfolge als Dramatiker dokumentiert, sondern hier und da kommt selbst das Allerintimste zum Vorschein, von der außerehelichen Geburt und dem Vater, der als reisender Puppenspieler rasch das Weite suchte, bis hin zur Ersatzrolle, die der von den Nazis verfolgte Theologieprofessor Karl Barth als Patenonkel übernahm.

Vollends lohnend wird dieser Band, weil er entlang eines einzigartigen Lebensweges etliche Begegnungen nachzeichnet und dokumentiert - sei es die frühe Förderung durch Hans Henny Jahnn und Alfred Döblin, die kurze, aber innige Freundschaft zu Horst Janssen oder das höflich-distanzierte Verhältnis zu Marcel Reich-Ranicki. Für Literarhistoriker der Nachkriegszeit steckt diese Biografie voller bislang unveröffentlichter Fundstücke in Form faksimilierter Briefe u. a. von Arno Schmidt, Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger, Heinrich Böll, Rolf Dieter Brinkmann und Uwe Johnson. Wen, wie Peter Rühmkorf, derlei unterschiedliche Talente übereinstimmend als großen Literaten anerkennen, kann getrost ICH sagen. Und darf von Selbstzweifeln bedenkenlos zur Selbstvermarktung übergehen.

Titelbild

Peter Rühmkorf: Wenn ich mal richtig ICH sag... Ein Lese-Bilderbuch.
Steidl Verlag, Göttingen 2004.
153 Seiten, 29,50 EUR.
ISBN-10: 386521049X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch