Ulrich Horstmanns apokalyptischer Bestseller "Das Untier" wird neu aufgelegt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIst Ulrich Horstmann noch zu retten? Als die Erstausgabe des "Untiers" 1983 im Wiener Medusa-Verlag erscheint, ist ihr Autor gerade einmal vierunddreißig Jahre alt - ein akademischer Springsinsfeld und Gelegenheitsliterat, der eben seine Habilitationsschrift eingereicht hat und der sich nun mit einer freihändigen Kletterpartie für die Plackerei in den Wissenschaftsalpen belohnt. Was sich zu dieser Zeit in der Nebelkammer der Kreativität abgespielt hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass Horstmann über mehrere Jahre hinweg alles abgeheftet hatte, was er irgendwie für zweckdienlich hielt. Daran gemessen erscheint der Zeitraum, den die tatsächliche Niederschrift beanspruchte, bemerkenswert kurz: Es dauerte kaum länger als sechs Wochen, bis das Manuskript fertig gestellt war, auf dessen Seiten nichts Geringeres erschien als die Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Selbstabschaffung des 'Untiers' Mensch.
Der Wechsel vom philologischen ins philosophisch-literarische Fach mag für Außenstehende einigermaßen überraschend gekommen sein, denn eigentlich standen von diesem hoffnungsvollen jungen Anglisten, der an der Universität Münster schon als Sechsundzwanzigjähriger über "Ansätze einer technomorphen Theorie der Dichtung bei Edgar Allan Poe" (1983) promoviert und mit "Parakritik und Dekonstruktion", einer Einführung in den amerikanischen Poststrukturalismus, gleich noch einmal nachgeschenkt hatte, keine derartigen Unartigkeiten zu erwarten. Doch wer genauer hinschaut, erkennt, dass im Schlagschatten des akademischen Sachverstands und der wissenschaftlichen Linientreue schon lange etwas rumorte, sich auswuchs und ans Licht wollte. "Terrarium - Einführung in die Menschenhaltung" (1982), so lautete ein Titel aus der literarischen Sturm-und-Drang-Zeit, "Nachgedichte - Miniaturen aus der Menschenleere" (1980) ein anderer. "Es gibt eine Ästhetik des Nicht-Menschlichen, eine Schönheit der Menschenleere", deklamiert Horstmann hier, "die die plärrende Ichsucht unserer Gattung seit einigen Jahrhunderten nicht mehr wahrhaben will, wenngleich sie der (militär)technologische Fortschritt endlich in ihrem radikalen Anspruch für uns verfügbar gemacht hat" - und er lässt es sich selbstredend nicht nehmen, dem neu erfundenen Genre der "ANTHROPOFUGALE(N) KUNST" gleich etwas ins Poesiealbum zu diktieren:
XLIV
Der Waffenstillstand
ist unverbrüchlich
als Spiegel
steigt der Mond
aus den Kratern
die Opfer
sind vergessen
über der Schönheit der Trümmerstädte
der letzte Krieg
hatte sein Gutes
so friedlich
strahlt das Niemandsland
Das Stichwort für die im Nachwort vorgeschlagene Lesart des "Untiers" stammt von Michael Pauen und lautet "sekundärer Pessimismus". Gegenüber der u. a. von Klaus Vondung ("Die Apokalypse in Deutschland") im Spiel gehaltenen Krisenhypothese, die den Pessimismus als Reaktion auf historische Defizienzerfahrungen erklärt, im selben Atemzug aber seine ästhetischen und rhetorischen Elemente vernachlässigt, lässt sich zeigen, dass Horstmanns Pessimismus eine Form der Inszenierung von Kritik und Kritiker ist, zu der die Ästhetisierung des Leidens, die Verwandlung von Grauen in Genuss und die Selbststilisierung des Kritikers gehören.
F.M.
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