Vom Scheitern an der Welt

Louis Begleys Roman über das langsame Sterben eines Egoisten

Von Thomas KasturaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Kastura

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da bleiben einem Mann nur noch wenige Monate zu leben, und das erste, worum er sich kümmert, sind Geschäfte; das zweite ist Essen & Trinken; und das dritte ist Sex, alles in dieser Reihenfolge, wobei Thomas Hooker Mistler III vom Sex am wenigsten erregt wird.

Louis Begley geht in seinem vierten Buch nach den "Lügen in Zeiten des Krieges" (1994) mehrere Wagnisse ein. Er eröffnet mit zwei Themen, die in der Literatur nicht gerade zu den Rennern gehören: Krankheit und Geld. Seine Hauptfigur ist ein unsympathischer, steinreicher Workaholic, der von seinem Arzt erfährt, daß er an Krebs leidet und in wenigen Monaten sterben muß. Genauso ist der Roman geschrieben: schnörkellos, kalt und zuweilen etwas selbstverliebt.

Interessiert uns das? Ja, denn die Theorie "des freien Willens hat eine herrlich komische Seite [...]. Es ist, als würde man sagen, die Personen in einem Stück hätten Willensfreiheit." Diese Erkenntnis ist zwar ebensowenig neu wie das Vorhaben, ausgerechnet in Venedig den eigenen Abgang vorzubereiten. Für Mistler aber, dieses gebildete Ekel, ist beides von Bedeutung.

Einen freien Willen scheint der millionenschwere Boss einer Werbeagentur nicht zu haben. Alles vollzieht sich mehr oder weniger zwangsläufig in seinem Leben; nicht fremdbestimmt, dafür ist Mistler zu sehr Machtmensch; aber mit einer gewissen Unausweichlichkeit, die einsetzt, als Mistler sich gegen die Schriftstellerei und für eine Karriere als Unternehmer entscheidet.

In Venedig kommt das nun alles hoch, angeregt von Tizians Altarbild "Martyrium des heiligen Laurentius", dessen freier Wille auf dem Folterrost des römischen Kaisers Dezius endet. Mistler wiederum unterdrückt seinen freien Willen und unterwirft sich den Regeln des Erfolgs. Genützt hat es ihm nichts, im Gegenteil, es hat ihn von Ehefrau und Sohn entfremdet.

So einer kann nicht einfach aus seiner Haut. Doch langsam entgleitet dem Egoisten seine wohlfeile Ordnung. Begley läßt ihn keine larmoyanten Bekenntnisse ablegen, es ist ein eher schleichender Prozeß, der die wesentlichen Dinge in Mistlers Bewußtsein schiebt: "Macht ist wie elektrischer Strom. Sehr nützlich, wenn man Licht einschalten will. Wenn man das Zimmer lieber dunkel läßt, ist er gar nichts, nur eine Kraft, die einfach vorhanden ist." Als er eine frühe Liebe aus der Collegezeit wiedertrifft, wird ihm klar, was er verpaßt hat, und daß ein bißchen Demut nicht schaden kann. Zu einem besseren Menschen machen Mistler die Tage in Venedig freilich nicht.

Das Wagnis, die Geschichte eines unheilbar kranken Mannes zu erzählen, gelingt ohne Moralismus und Melodramatik. Ganz langsam rückt Mistler dem Leser zu Leibe. Das berührt weitaus stärker, als man zunächst für möglich gehalten hätte. Begley hat das Scheitern an der Welt und ihrem Geld neu formuliert.

Titelbild

Louis Begley: Mistlers Abschied. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Christa Krüger.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
285 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3518410008
ISBN-13: 9783518410004

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