Kaminfegen für Fortgeschrittene?
Walter Moers begibt sich in die "Stadt der träumenden Bücher"
Von André Schwarz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLesen ist gefährlich, mitunter sogar tödlich - man hat es doch schon immer geahnt! Grund genug für den zamonischen "Dichtertitanen" Hildegunst von Mythenmetz, seine Geschichte mit einer Warnung zu beginnen: "Hier fängt die Geschichte an. Sie erzählt, wie ich in den Besitz des Blutigen Buches kam und das Orm erwarb. Es ist keine Geschichte für Leute mit dünner Haut und schwachen Nerven - welchen ich auch gleich wärmstens empfehlen möchte, dieses Buch wieder zurück auf den Stapel zu legen und sich in die Kinderbuch-Abteilung zu verkrümeln. [...] Macht's gut, ihr Memmen! Ich wünsche euch ein langes und sterbenslangweiliges Dasein und winke euch mit diesem Satz Adieu!"
Und in der Tat, sterbenslangweilig wird es einem bei der Lektüre keinesfalls. Auch scheint das Gesetz der Serie, wonach mit dem Fortschreiten einer Reihe das Ganze immer schwächer wird, von Walter Moers nicht bestätigt zu werden. "Die Stadt der träumenden Bücher" ist bereits der vierte Roman nach "Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär", "Ensel und Krete" und "Rumo", der auf dem fiktiven, von Moers' überbordender Fantasie erschaffenen Kontinent Zamonien spielt. Bei "Rumo" (vgl. literaturkritik.de 10/2004) glaubte man aufgrund der recht durchschnittlichen Story erste Abnutzungserscheinungen festzustellen, die jedoch durch die skurrilen Einfälle und Wendungen der Geschichte mehr als wettgemacht wurden. Mit dem vorliegenden Roman "Die Stadt der träumenden Bücher" wendet sich Moers wieder dem zamonischen Dichter Mythenmetz zu, der bereits in "Ensel und Krete" Garant für eine unvergleichliche Satire auf Schriftsteller, Kritiker und den gesamten Literaturbetrieb war. Schon allein die Story ist ein Erlebnis: Der Dichtpate des jungen Mythenmetz hinterlässt ihm ein Manuskript, das der Traum jedes Verlegers ist: es ist vollkommen makellos und schlicht das beste Stück Literatur aller Zeiten. Mythenmetz macht sich nach der Lektüre auf, den unbekannten Dichter dieses Meisterwerkes zu suchen, um ihn zu seinem Lehrmeister zu machen. Er kommt nach Buchhaim, einer Stadt, die weniger an eine Siedlung als an ein gigantisches Antiquariat erinnert, durchzogen von unterirdischen Buchlabyrinthen. Produktion, Besitz und Verkauf von Büchern, das ist der Lebensinhalt seiner Bewohner. Hier sucht Mythenmetz nach seinem zukünftigen Vorbild. Lesen ist in dieser Stadt noch ein wahres Abenteuer, in den Labyrinthen der Stadt werden Bücher mitunter zu tödlichen Waffen.
Wie in "Ensel und Krete" nimmt Moers sich auch hier den Literaturbetrieb vor: schmierige und skrupellose Verleger wie Phistomefel Smeik, widerliche Kritiker, der "Abschaum Buchhaims" in der "Giftigen Gasse", undurchsichtige Antiquare, Bücherjäger und dahinvegetierende Auftragsschriftsteller bestimmen die Szenerie Buchhaims. Hier begründet sich übrigens auch die lebenslange Feindschaft des Dichters mit dem "Großkritiker" Laptantidel Latuda.
Das Herumirren Hildegunst von Mythenmetz' in den Katakomben liest sich dabei noch wie ein großartiger Abenteuerroman, es wimmelt geradezu von Fallen in Form von vergifteten oder mit mechanischen Folterwerkzeugen versehenen Büchern. An einigen Stellen plündert Moers auch Teile der "Indiana Jones"-Reihe, wenn er Hildegunst auf den Bahnen der unterirdischen Büchermaschine auf eine atemberaubende Flucht vor dessen Verfolgern schickt. Sagenhaft sind die Bewohner der Unterwelt, die Buchlinge, die sich vom Lesen ernähren, die Bücherjäger, die im Auftrag der Antiquare die wertvollsten Bücher suchen und sich als martialische Söldner geben und natürlich auch der legendenumwobene Homunkoloss. Ungeheuer einfallsreich ist Moers zudem in Sachen "zamonischer Literaturwissenschaft und -geschichte", seine Kostproben von "onomatopoetischer Starkdichtung", den "Abundantionisten" oder den Dichtern des "Gralsunder Egalismus" sind einfach köstlich zu lesen.
Mit der "Stadt der träumenden Bücher" hat es Moers erneut geschafft, seine Leser in den Bann zu ziehen, im Vergleich zu "Rumo" legt er doch um einiges zu. Ohne Übertreibung kann man den grandiosen Roman als den bisher besten der Zamonien-Reihe bezeichnen, er zeigt den lakonisch-unangestrengten und abgedrehten Stil Moers' auf einem weiteren Höhepunkt - auch dieses Mal also wieder "feinste zamonische Hochliteratur". Moers bittet die Leser übrigens um Rat, wie die Zamonien-Reihe fortgesetzt werden soll, keine schlechte Idee, man kann auf jeden Fall auf das Ergebnis gespannt sein.
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