So viel Lärm im Kopf

Karl-Heinz Otts ziemlich lauter Roman "Endlich Stille"

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Roman hat ein Thema, und bei diesem Thema bleibt der Autor, als hätte er Angst davor, von einem gestrengen Lehrer ermahnt zu werden, doch ja nicht abzukommen vom einmal gewählten, geraden Schreibweg.

Ein Baseler Philosophieprofessor wird auf dem Bahnhof in Straßburg von einem Mann namens Friedrich angesprochen, der ihm von nun an nicht mehr von der Seite weicht. Er gibt sich als Musiker aus, liebt es, seine Bildung zu demonstrieren, spricht nicht nur über Musik, sondern über alles, was ihm in den Sinn kommt - aber immer auf hohem Niveau. Der Philosoph, Spinoza-Spezialist, kann nicht nein sagen, und drängt sich Friedrich prompt in sein Leben hinein. Er bestimmt, wie der Tagesablauf und vor allem die Abende des Geistesarbeiters auszusehen haben: Dabei spricht der vermeintliche Pianist nicht nur ohne Punkt und Komma, nein, er trinkt dabei eine Flasche Wein nach der anderen und macht damit sein Gegenüber, der nicht anders kann als zuhören und mittrinken, betrunken, und zwar nicht nur in alkoholischer Hinsicht, bis sich dieser schließlich gezwungen fühlt, nach Ausbruchsmöglichkeiten zu suchen. Zunächst scheitert er damit kläglich, bis eines Tages auf einer Wanderung im Gebirge das Unerhörte passiert und endlich wieder Stille einkehrt.

Selten gelingt es einem Autor, so eindringich zu schildern, welchen Lärm Gedanken machen können, wenn sie nicht gelegentlich von Atempausen, Momenten des Innehaltens unterbrochen werden. Und so wird es auch nicht gänzlich still, als dieser furchtbar indiskrete, sich aufdrängende Musiker verschwunden ist. Der Lärm bleibt, die Gedanken kreisen weiter, die Sprache heftet sich an ihre Fersen und kann nicht Ruhe geben.

Man stelle sich den Autor vor, wie er an dieser Geschichte schreibt. Weit weg ist die Welt und hat nichts zum Geschehen zu sagen. Aber im Kopf herrscht Aufruhr, die Gedanken jagen einander, der Kampf zwischen Friedrich und dem Philosophen sprengt fast das Fassungsvermögen des Schriftstellers. Die beiden Figuren sind gefangen, auch der Philosoph befreit sich am Ende nicht. Er tanzt schließlich allein weiter, nach der Musik, deren Rhythmus ein bestimmter Taktstock schlägt. Und da ist keine Widerrede möglich - und keine Stille.

Karl-Heinz Ott hat einen brillant konstruierten Roman geschrieben. Kein Leser wird daran zweifeln, dass dieser Autor hoch gebildet ist, über große stilistische Möglichkeiten verfügt und ihm der ironische Blick immer wieder gelingt. Und dennoch regt das Buch nicht an: Man registriert, was passiert und vergisst den Text danach wieder. Das war bei Otts erstem Roman ganz anders. Die Wirkung hält bis heute an. Woran es vielleicht liegen könnte? Zu viele Gedanken machen einen entsetzlichen Lärm und verhindern, dass die Figuren sich freischwimmen können, um sich zu entwickeln und immer wirklicher zu werden. Karl-Heinz Ott hat sich aus dem "Offenen" seines ersten Romans in einen geschlossenen Kopfraum zurückgezogen.

Titelbild

Endlich Stille. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005.
207 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-10: 3455058302

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