Warten auf die Rückkehr der Liebe

Alain Claude Sulzers Roman "Ein perfekter Kellner"

Von Julia SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Zitat aus Richard Wagners "Götterdämmerung" ist dem Roman vorangestellt: "Getrennt - wer will es scheiden? / Geschieden - trennt es sich nie". Alain Claude Sulzers Roman handelt von der großen, der einzigen Liebe und ihrem Verlust.

Monsieur Erneste, "ein unzugänglicher, mittelgroßer Mann ungewissen Alters mit den tadellosen Umgangsformen eines geduldigen und vorausschauenden Bediensteten", arbeitet seit dreißig Jahren in dem Restaurant am Berg. Niemand interessiert sich für ihn, niemand kümmert sich um sein Privatleben. Er hat kein Leben außerhalb des Speisesaals. Er geht völlig in seinem Beruf auf. Er ist der perfekte Kellner. Doch Ernestes Leben gerät aus der Bahn, als er eines Tages im Jahr 1966 einen Brief aus New York erhält - einen Brief von Jakob, der im Sommer 1935 die Liebe seines Lebens wurde. Als Erneste es nach zwei Tagen wagt, den Brief zu öffnen, wird er bitter enttäuscht: Jakob bittet ihn um einen dreisten Gefallen: Erneste soll den Mann aufsuchen, dem Jakob einst nach Amerika folgte, und ihn um Geld bitten.

So beginnt der Roman. Durch den Brief werden bei Erneste lang verdrängte Erinnerungen wachgerufen, für den Leser wird eine zweite Zeitebene eingeführt. Die Konstruktion ist einfach und bewährt.

Zurück zum Sommer 1935: Der junge Erneste arbeitet im vornehmen Parkhotel Giessbach, dessen "große Zeit" eigentlich schon vorbei ist. In mondäner "Zauberberg"-Atmosphäre sitzt hier die feine Gesellschaft zusammen und will "nicht daran erinnert werden, dass es noch eine andere Welt außerhalb von Giessbach gibt". In diesem Umfeld verlieben sich die Kellner Jakob und Erneste ineinander. Für den einen ist es eine unbeschwerte erste Liebe, für den anderen eine Liebe, die von ihm Besitz ergreift und ihn noch dreißig Jahre später ausfüllen wird. Als sich ein berühmter Schriftsteller aus Deutschland (es scheint, als ob sich Thomas Mann persönlich auf dem Zauberberg niederlässt) im Parkhotel einquartiert, kommt es zum Bruch - auch er ist dem jugendlichen Jakob verfallen und nimmt ihn mit, als er in die Staaten emigriert.

Dem Schweizer Alain Claude Sulzer ist nach "Annas Maske" und "Urmein" ein stilistisch schnörkelloses Werk gelungen, dass nur selten die Grenze zum Kitsch überschreitet ("In den Nächten fiel es ihnen leicht, ihre Arbeit zu vergessen, dann vergaßen sie ihre untergeordnete Stellung, dann waren sie, zum ersten Mal frei, zwei entflohene Sklaven auf einer weiten grünen Wiese"). Bildlich erschließt sich dem Leser die Gefühlswelt des Protagonisten, seine leidenschaftliche Hingabe an den jungen Geliebten in den dreißiger Jahren, seine rasenden Gedanken in der Gegenwart der Sechziger. Einzig die Figur des schönen Jakob bleibt etwas unscharf: Was macht ihn für sämtliche Männer in seiner Umgebung so unwiderstehlich und begehrenswert? Da der größte Teil des Romans aus reinem Erzähltext besteht, ist eine subjektive Annäherung des Lesers an seine Person kaum möglich. Erst im letzten Drittel, als Erneste das Gespräch mit seinem Widersacher sucht, gewinnt die Erzählung durch Dialoge an Dynamik. Umso bemerkenswerter ist es, wie Sulzer aus dem unscheinbaren Kellner einen verzweifelt Liebenden werden lässt und die Spannung bis zum Schluss aufrechterhält.

In "Ein perfekter Kellner" wird geliebt, verraten und vor allem gewartet - gewartet auf die Rückkehr der Liebe in ein Leben, das nur aus Erinnerungen besteht.

Titelbild

Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner. Roman.
Edition Epoca, Zürich 2004.
219 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-10: 3905513366

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