Welche Kämpfe, welcher Zwiespalt!

Elke Schüllers allzu hagiografische Biografie der Frauenrechtlerin Marie Stritt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Politiker aller Couleur beklagen ein ums andere mal, dass das Wahlvolk des Kinderzeugens müde sei. Nur reichlich Nachwuchs könne künftig die Rente sichern. Die Kanzlerkandidatin musste sich gar von der Gattin ihres Konkurrenten und bisherigen Amtsinhabers ihre Kinderlosigkeit vorhalten lassen. Allerdings hat auch ihr Mitbewerber um dieses hohe Staatsamt keine leiblichen Kinder. Daher könnte der Appell der bislang letzten Frau an seiner Seite auch verwundern, richteten sich die Aufrufe, mehr Kinder in die Welt zu setzen, nicht fast immer an den weiblichen Teil der Bevölkerung, ungeachtet der Tatsache, dass Männer weit seltener willens sind, in den Elternstand zu treten.

Begleitet werden die Appelle gemeinhin mit der Forderung nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wie selbstverständlich wird auch hierbei wiederum nur an die Frauen gedacht. Denn davon, dass ein Mann Probleme hätte, beides miteinander zu vereinbaren, hat man noch nichts vernommen. Einige Herren - auch aus dem Kompetenzteam der Kanzlerkandidatin - sehen den angemessenen Platz der Frau allerdings nicht in der Arbeitswelt sondern nach wie vor im trauten Heim. Neu ist diese Auffassung natürlich nicht. Und auch der Protest gegen derlei Ansinnen hat inzwischen eine mehr als hundertjährige Tradition. "Von allen törichten verallgemeinernden Vorurteilen über 'Die Frauen' scheint mir darum kaum eines so töricht, wie die Auffassung der Hauswirtschaft als angestammter 'natürlicher Beruf' der Frau", urteilte etwa die 1855 im siebenbürgischen Städtchen Schäßburg geboren Frauenrechtlerinnen Marie Stritt, in ihren nun erstmals veröffentlichten Lebenserinnerungen.

Bedauerlicherweise ist nur deren erster Teil erhalten geblieben, die Kinderjahre bis hin zu den ersten Berufserfahrungen der jungen Frau. Die Teile, in denen Stritt ihr Erwachsenenleben und somit ihr Engagement in der Frauenbewegung beschreibt, sind hingegen verloren gegangen. Möglicherweise wurden sie zu Beginn der Nazi-Diktatur vernichtet, um die ehemaligen Mitstreiterinnen der 1928 verstorbenen Autorin zu schützen.

Das überlieferte Fragment hat Elke Schüller ihrer Biografie der "kampffrohe[n] Streiterin" vorangestellt, die unmittelbar an die von Stritt selbst beschriebenen Jahre anschließt. Ein Unterschied zwischen Memoiren und Biografie sticht sofort ins Auge: Während Stritt eher launig berichtet, schlägt ihre Biografin einen allzu hagiografischen Ton an. Schon die Lobpreisungen auf der erste Seite der Einführung sind nicht ganz leicht zu ertragen. Muss man hier doch etwa lesen, Stritt sei nicht nur "eine der bedeutendsten und charismatischsten Protagonistinnen" der bürgerlichen Frauenbewegung Deutschlands zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewesen, sondern auch eine der "wichtigsten Pionierinnen" des Kampfes für die Frauenrechte, zudem die "treibende Kraft" im Kampf um die Verhinderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Darüber hinaus habe die "herausragende Persönlichkeit" von "hohe[m] Ansehen" dem Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) "elf entscheidende Jahre" vorgestanden. Scheint das alles schon etwas dick aufgetragen, so kommt es auf der folgenden Seite noch dicker. Diesmal in Form von meist zeitgenössischen Zitaten: Stritt sei "eine der markantesten Persönlichkeiten unter den Pionierinnen" gewesen, die durch die "Genialität ihres Geistes" und der "Schärfe ihres Verstandes" hervorstach, zu dem sei sie "klug", dabei "überaus weiblich" sowie von "schöne[r], stattliche[r]" und "imposante[r] Erscheinung" und "nie versagender Anmut" gewesen. Die "liebenswürdige wie zugleich klare, willensstarke Persönlichkeit", habe über eine "glänzende Rednergabe" verfügt. Betont werden des Weiteren der "Mut und das Feuer" dieser "Kampfnatur in des Wortes edelster Bedeutung".

Leicht ließen sich weitere Zitate dieser einen Seite heranziehen. Doch genug! Wie man aus den Endnoten ersieht, stammen sie meist aus diversen Nachrufen. Eine Textsorte, die über Verstorbene bekanntlich viel Gutes, nicht immer nur Wahres, nie jedoch Schlechtes zu sagen pflegen. Quellenkritisch gewürdigt wird dies von Schüller nicht.

Vielmehr knüpft ihre "biografische Annäherung" bruchlos an den hagiografischen Stil der Einleitung an. So scheint es etwa keine kritischen Stimmen zu Stritts schauspielerischen Leistungen gegeben zu haben. Erst im Verlaufe des weiteren Textes verlieren sich diese Tendenzen allmählich etwas. Trotz der notorischen Schwächen der Arbeit - mangelnde Quellenkritik und hagiografische Neigungen - erfährt man einiges über das Leben und insbesondere über das frauenrechtliche Wirken der Marie Stritt. Zwar geht Schüller kurz auf Stritts berufliche Tätigkeit als Schauspielerin sowie auf ihr Dasein als Ehefrau und Mutter ein, den Fokus ihrer Arbeit legt sie jedoch auf Stritts feministische Aktivitäten, namentlich auf ihre Tätigkeit im "Bund Deutscher Frauenvereine" und auf ihre Herausgeberschaft der Zeitschrift des Bunds, dem "Centralblatt". Dabei legt die Autorin ein besonderes Augenmerk auf die "politische[n] Auseinandersetzungen" innerhalb des Bunds, an denen Stritt oft maßgeblich beteiligt war. Hierbei ist es Schüller insbesondere um die "Verortung" ihrer Protagonistin im "Koordinatensystem der Radikalen und Gemäßigten" zu tun.

Schon in frühen Jahren war Stritt in der siebenbürgischen Heimat durch ihre Mutter mit der Frauenbewegung in Berührung gekommen. Zu stärkerem Engagement in Sachen Frauenrechte entschloss sie sich jedoch erst Jahre später in ihrer Wahlheimat Dresden, in der sie 1891 eine Ortsgruppe des Allgemeinen deutschen Frauenvereins (ADF) gründete und in der "Montagsgesellschaft" wöchentliche Zusammenkünfte organisierte, in denen Anliegen der Frauenbewegung diskutiert wurden wie etwa die "Gleichstellung der Geschlechter vor dem Gesetz, bessere staatliche Institutionen zum Zwecke der Erziehung und Ausbildung bis zum wissenschaftlichen Studium".

Zu Recht weist Schüller darauf hin, dass Stritt in einem innovativen Schritt die "Rechtsfrage" ins Zentrum stellte. Nach Stritts Auffassung umfasste sie "die ganze Frauenfrage", insbesondere aber diejenige nach dem "Recht auf freie Selbstbestimmung" der Frauen. Eine Haltung, die Stritt mit den anderen Dresdenerinnen teilte. Dies führte die Ortsgruppe bald in heftige Kontroversen mit der "konservativen Mehrheit" des ADF, sodass sie bereits zwei Jahre nach seiner Gründung wieder aus dem Verband ausschied. Ohne Differenzen ging es jedoch auch gegenüber dem radikalen Flügel der Frauenbewegung nicht ab. So überwarfen sich die Dresdenerinnen mit den Berliner Radikalen um Anita Ausgpurg.

Auch Stritts Arbeit im "Centralblatt" und im BDF war immer wieder von Kontroversen und Zerwürfnissen überschattet. Kaum dass sie 1899 den Vorsitz des BDF übernommen hatte, gründeten die Radikalen mit dem "Verband fortschrittlicher Frauenvereine" (VfF) eine "Konkurrenzorganisation". Doch auch der Bund radikalisierte sich unter seiner neuen Vorsitzenden, was wiederum Überwerfungen mit dem Führungsduo der Gemäßigten, Helene Lange und Gertrud Bäumler, nach sich zog, die nach langjährigen, unerquicklichen und oft sehr persönlich geführten Auseinandersetzungen 1910 zu Stritts Rücktritt vom Vorsitz der Organisation führten. Nachfolgerin wurde die in der Öffentlichkeit zwar moderat auftretende, hinter den Kulissen jedoch als Stritts heftigste Widersacherin agierende Bäumer, die später durch ihre Nähe zum Nationalsozialismus unrühmlich von sich reden machen sollte. "Welche Kämpfe, welcher Zwiespalt, welche Intrigen, welche Szenen!" klagte Minna Cauer anlässlich der andauernden Auseinandersetzungen bereits 1906 in ihrem Tagebuch.

Bald nach ihrem Rücktritt von der Leitung des BDF wurde Stritt zur Vorsitzenden des "Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht" gewählt. In ruhigeres Fahrwasser geriet sie allerdings auch hier nicht. Diesmal waren es Turbulenzen nicht mit gemäßigten oder gar konservativen Frauenrechtlerinnen, sondern wiederum mit den führenden Vertreterinnen der Radikalen Lida G. Heymann und Anita Augspurg. Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte sich die Stimmrechtsbewegung zweimal gespalten, so dass drei Organisationen miteinander wetteiferten. Die Abschnitte zu diesen Kontroversen gehören zu den besten des Buches, hebt sich deren ausgewogene Darstellung doch wohltuend von den hagiografischen Hymnen insbesondere der Anfangsseiten ab.

Wie so viele andere auch schwärmte Stritt zu Beginn des Ersten Weltkriegs von der "wundervolle[n] neue[n] Einigkeit des deutschen Volkes" und erklärte, dass der Kampf um die Bürgerrechte der Frau nun "zurückzutreten" habe, denn "[w]ie wir auch sonst über den Krieg denken mögen - in diesem Augenblick ist es unser aller unabweisliche Pflicht, zum Schutz und zur Erhaltung unseres Vaterlandes unsere ganze Kraft einzusetzen". Angesichts dieser und ähnlicher Töne enthält sich auch die Autorin nicht länger der Kritik. "[A]nfangs blieb auch sie [Stritt] wohl nicht ganz verschont von der allgemeinen 'Kriegspsychose'", formuliert Schüller verhalten, um sogleich Stritts spätere Entlastung in eigener Sache hinzuzusetzen, dass diese "selbst die klarsten Köpfe und stärksten Persönlichkeiten in unseren Reihen ergriffen" habe.

Stritts Begeisterung für das Einheitsgefühl des deutschen Volkes im Angesicht des Ersten Weltkriegs ging mit einer Wandlung ihres Frauenbildes einher. Hatte sie in den 1890er Jahren die Ursache der "als 'weiblich' bekannten Schwächen" zwar zugestanden, jedoch nicht in biologischen Gegebenheiten oder einem vermeintlichen Wesen der Frau gesucht, sondern "in den ungesunden Anschauungen und Einrichtungen einer Gesellschaft, die der Frau noch immer eine unfreie, noch immer unwürdige Stellung zuweise" - wie es in der Mitschrift eines von ihr gehaltenen Vortrags heißt -, so lobte sie nun mit unverkennbar essenzialistischem Zungenschlag die "hilfsbereite, sorgende, mütterliche Frauenart" der "Bürgerinnen".

Als die provisorische deutsche Regierung nach dem des Ende des Weltkriegs das Frauenstimmrecht einführte, musste sich Stritt eingestehen, dass den Frauenrechtlerinnen "die größte Revolution der Weltgeschichte [...] in den Schoß gefallen" war.

In den zwanziger Jahren schloss sie sich - ebenso wie ihre ehemaligen Kontrahentinnen des gemäßigten Flügels der Frauenbewegung Gertrud Bäumer, Helene Lange und Marianne Weber - der Deutschen Demokratischen Partei an. Eine Kandidatur Stritts für die Nationalversammlung blieb allerdings aufgrund eines schlechten Listenplatzes erfolglos.

Zweieinhalb Jahre nachdem sie anlässlich ihres 70. Geburtstags umfangreiche Würdigungen und Ehrungen durch die Frauenbewegung erfahren hatte, starb Stritt am 16. September 1928 überraschend an einem Herzschlag.

Trotz Schüllers hagiografischer Tendenzen und ihrer mangelnden Quellenkritik ist doch festzuhalten, dass sie mit ihrer Arbeit die erste Monographie zu einer seinerzeit zwar prominenten, heute aber weithin vergessenen Pionierin der Frauenbewegung vorgelegt hat.

Kein Bild

Elke Schüller: Marie Stritt - Eine "kampffrohe Streiterin" in der Frauenbewegung (1855-1928). Mit dem erstmaligen Abdruck der unvollendeten Lebenserinnerungen von Marie Stritt, eingeleitet und redigiert von Kerstin Wolff.
Herausgegeben von Archiv d. deutschen Frauenbewegung.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2005.
294 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3897411784

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