Das Gesetz der Serie

Der zweite Marthaler-Krimi von Jan Seghers überzeugt

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sogar manche Mörder werden sentimental. Haben sie einmal die Grenze vom Wunsch zur Wirklichkeit überschritten, dann beherrscht sie die Sehnsucht nach der Tat und also der Gedanke an Wiederholung. Krimi-Leser ähneln ihnen, denn sie schätzen die Serientäter unter den Autoren wie unter den Ermittlern. Man möchte Figuren wie Kommissar Maigret immer wieder begegnen, weil der Ermittler in einer Welt des Wechsels Verlässlichkeit repräsentiert, so eigentümlich, so sonderbar er auch sein mag. Gleichzeitig scheint er - im Doppelsinn - die Lesbarkeit der Welt zu garantieren.

Nach einem guten Jahr ist nun Jan Seghers Kommissar Robert Marthaler zurück, und es sieht aus, als könnte er ebenfalls eine treue Anhängerschaft mobilisieren, weil er selbst nach dem zweiten Fall genügend Fragen offen lässt. Jan Seghers alias Matthias Altenburg gönnt ihm nämlich nicht nur die notorischen Eigenheiten, sondern auch weiterhin ein differenziertes Eigenleben.

Härter als der Erstling "Ein allzu schönes Mädchen" erscheint "Die Braut im Schnee": vom Erzählduktus und vom Fall her. Sadismus ist kein schönes Thema, psychisch gestörte Polizisten, die ihren Beruf mit manischer Hingabe ausüben, darüber sogar die Liebe vergessen, ebenfalls nicht. Eine dunkle Welt breitet Seghers aus, in der Gewalt, Misshandlung, Missachtung, Strafvereitelung im Amt selbstverständlich dazu gehören. Dennoch fehlt es dem zweiten Marthaler-Krimi wieder nicht an Realismus, und das heißt, es gibt auch Glücksmomente, es gibt Liebe, es gibt den - immer gefährdeten - Versuch, anständig, ehrlich, menschlich zu sein. Darauf kommt es an, dass man innerhalb der brutalen Umstände sich nicht aufgibt, nicht Teil des Verabscheuungswürdigen wird.

Auf der Suche nach einem extrem sadistischen Mörder, der zum Wiederholungstäter wird, trifft Marthaler auf einen psychologischen Experten für Ausnahme-Verbrecher, der Begriffe wie "Perversion" oder "Monster" ablehnt. Klar und ohne Emotionen will er diese Menschen beobachten und verstehen, ohne sie zu verurteilen. Er zieht sich zurück auf den neutralen, ja am Sonderfall interessierten Standpunkt des Naturwissenschaftlers. Marthaler und mit ihm Seghers machen deutlich, dass schon dieser Rückzug, so verständlich er sein mag, Resignation Vorschub leistet und einem Gefühl der Unmenschlichkeit.

Ähnlich spannend wie die komplizierten Ermittlungen, die stets neue Überraschungen bieten und den Lesern Adrenalin in die Adern jagen, sind in diesem zweiten Krimi von Seghers moralische und menschliche Fragen, die überall berührt werden, sich allerdings nur selten in den Vordergrund spielen.

Überhaupt bleibt vieles bloß angedeutet, vieles unbeantwortbar: Grund-Voraussetzung für einen Serienhelden. Querverbindungen zum ersten Fall baut Seghers selten, aber deutlich ein. Die wichtigen Figuren, vor allem die Kollegen, erfahren insgesamt eine Vertiefung, ähnlich der Schauplatz, ein Frankfurt, das sich seine Lebendigkeit in zähem Kampf bewahrt; wie Robert Marthaler, der mit genauer Not den Fall lösen und das rettende Ufer erreichen kann. Eine Lösung steht am Ende, keine Erlösung, aber auch keine Verzweiflung.

Der Kommissar und sein Autor sind sich zweifellos noch näher gekommen. Beide werden wohl dem Gesetz der Serie weiter folgen. Wenn ja, können sie auf die Zustimmung der Leser zählen.


Titelbild

Jan Seghers: Die Braut im Schnee. Roman.
Wunderlich Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005.
477 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3805208081

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