Ich war ein Berliner

Thomas Meinecke über einen Hofnarr auf Holzwegen

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die drei Lesbierinnen Elke, Gisela und Marlies kommen wahrhaftig vom anderen Ufer: als die Seenplatte zufriert, flüchten die "drei Grazien" im Schutz eines Schneetreibens über das Eis - von Potsdam nach Westberlin. Sie kommen direkt auf den spazierenden Ich-Erzähler zu, einen Schriftsteller, der auf Senatskosten in einer Stipendiatenvilla residiert. Er verliert sich in ein verhängnisvolles Verhältnis, denn er begehrt seine "sapphischen" Freundinnen, besonders Marlies.

In der erstmals 1988 erschienenen Erzählung "Holz" wird mit Selbstironie und Schärfe aus Berlin berichtet. Der Ich-Erzähler wird in der geteilten Stadt in seine eigenen Ost-West-Konflikte verwickelt. Nicht nur die über das Glatteis in sein Leben geschlitterten Lesbierinnen, auch eine "hübsche Jüdin", der er sich in "einem das Leben literarisierenden Triebe" dann doch nicht hingibt, der Schutzmann Schubert und sein neuer Freund Hein werfen den Erzähler aus der Bahn: die Politiker Berlins, allen voran der "Schulze" der Stadt, stellen für ihn nichts als "schnatternde Attrappen" dar - er beschließt, den Bürgermeister einfach zu erschießen...

Thomas Meinecke ist eine in 41 Abschnitte zersplitterte Erzählung gelungen, die durch Sprachspielereien und Wortwitz besticht. In den treffsicheren Beschreibungen der Berliner, der "benommenen Bewohner" des Gästehauses, der Klüngel seiner Kollegen ist eine Alliteration, eine Lautmalerei, ein Reim fast immer zu finden: so kommt zum Beispiel der Schriftsteller von einem "mißmutigen Müßiggang" zurück und ersteigt über die "steile Stiege" den Stipendiatenturm, den er sich mit den anderen "Lallis" (also Schriftstellern) teilt. Diese sprachlichen Effekte wirken nicht gekünstelt, sondern sind humorvolle Härten, die jeden treffen sollen, der noch an den "faulen weltpolitischen Zauber dieser Weltstadt" glaubt und daran, dass ein Stadtschreiber mehr ist als ein "moderner Hofnarr", der sich "sklavischen Regeln" zu unterwerfen hat. Die Schwierigkeiten dieses im "stolzen Stipendiatenturm" sitzenden Schriftstellers, der die Aufgabe auszuführen hat, eine Stadt, "die sich nicht ohne Grund zur hohlen Metapher erstarrt wähnte, mit erneutem, dazu noch geschriftstellertem Sinn" anzufüllen, werden von Meinecke mit einer Mischung aus perfidem Pathos und lapidarer Lässigkeit erläutert. "Holz" ist keineswegs hölzern, sondern ein lese-lustiges Erzähl-Ereignis.

Titelbild

Thomas Meinecke: Holz. Erzählung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
100 Seiten, 6,50 EUR.
ISBN-10: 3518395130

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