... mit einem Eispickel erschlagen

Jörg von Uthmann erzählt eine Kulturgeschichte des Mords

Von Stefan HöltgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höltgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kaum ein zweiter literarischer Gegenstand lässt sich soweit in die Kulturgeschichte zurückverfolgen wie der des Mords. Die frühesten griechischen Epen thematisieren ihn wie die Genesis des alten Testaments oder die Hieroglyphen im alten Ägypten. Mord in Fiktion und Wirklichkeit ist das Thema des in Paris lebenden Journalisten Jörg von Uthmann in seinem neuesten Buch "Killer, Krimis, Kommissare". Unterhaltsam und kurzweilig führt er den Leser darin durch die Geschichte des Kapitalverbrechens, skizziert aber ebenso die Bemühungen der Gegenseite, Morde und andere Verbrechen aufzudecken und effektiv zu bestrafen.

Dass das Thema Mord in Kultur- und Kriminalhistorie nicht getrennt behandelt werden kann, konstatiert der Autor schon zu Beginn seiner Abhandlung. Ist es doch neben Fallberichten einerseits vor allem die Literatur, die uns von Beginn an von geschehenen Taten berichtet, sie in immer neuen Variationen erzählt, künstlerisch ausgestaltet und über ihre Hintergründe spekuliert; dies gerade ist andererseits auch der Grund dafür, dass auch die Geschichte des Verbrechens selbst von der Literatur- und später der Mediengeschichte nicht unbeeinflusst blieb. Ob, wie im Fall des Giftmischers Graham Young, der sich "die Anregung zu seiner Mordserie [...] aus einem Krimi geholt" hatte, oder der Täter, wie der berüchtigte "Zodiac"-Killer Ende der 1960er Jahre in den USA, mordete, um in seinen Taten literarisch oder zumindest feuilletonistisch unsterblich zu werden: Mord und Kunst haben sich von je her gegenseitig bedingt. Das ist die zentrale These des Texts.

Darüber hinaus bietet der Autor eine schier unglaubliche Fülle an Material, welches er chronologisch geordnet gekonnt zu einem Essay montiert. So erzählt er im ersten Drittel von der Entstehung der Kriminalpolizei, polizeilichen Ermittlungstechniken, aber auch immer ausgefeilteren Mordmethoden, die erstere erst notwendig machen. Zentrale Daten der Kriminalgeschichte - wann das erste Mal ein Fingerabdruck als Beweismittel benutzt wurde, wann zum ersten Mal eine Täterfotografie zur Fahndung verwendet wurde oder welchen Segen die Telegrafie bei der Verfolgung flüchtiger Mörder hatte - stellt von Uthmann neben die missbräuchliche Erstverwendung von Sprengkapseln, E 605 im richtigen Leben wie Eispickeln im Film.

Ebenso eloquent, wie der Autor die Faktengeschichte aufbereitet, erzählt er aber auch die Fiktionsgeschichte nach. Jörg von Uthmann erweist sich aber nicht nur als vorzüglicher Kenner der Kriminalliteratur, sondern hat auch seinen Homer, Shakespeare, Goethe und Dostojewski gelesen. Durch die Literatur von zwei Jahrtausenden verfolgt er Motive und Erzählstrategien von kriminalistischer Trivial- und Hochliteratur und kommt schließlich beim Film an, der von Beginn seiner Abhandlung immer wieder einmal eine Rolle gespielt hat. Hier allerdings schleichen sich einige Ungenauigkeiten und Fahrlässigkeiten ein: Weder war "Fahrstuhl zum Schafott" Louis Malles erster Film, noch "erschlägt" die Serienmörderin aus "Basic Instinct" ihre Opfer mit dem Eispickel. Die etwas unscharfe Aufbereitung des filmischen und realen Falls von Bruno Lüdtke offenbart die andere Seite des Essays: Lüdtke ist entgegen von Uthmanns Darstellung posthum vollständig von den Vorwürfen entlastet worden.

Solche Details und einige Redundanzen (etwa bei der mehrfachen Behandlung des Falles "Woyzeck") vermögen das Lesevergnügen zwar nur geringfügig zu trüben, etwas schwerer fallen da aber schon die etwas unangemessene Lakonie in der Abhandlung von Folter- und Todesstraf-Justiz ins Gewicht. Sicherlich ist das so genannte "finstere Mittelalter" längst passé - deshalb sollten die teilweise unglaublich grausamen Verhör- und Hinrichtungsmethoden jener Zeit aber noch längst keinen Anlass für leichtzüngige Stilistik bieten. Das letzte Kapitel des Bandes beschreibt nämlich eine Historie der Strafjustiz, an der sich justament die moralische Position der Gegenwart messen lassen können muss. Hier, wie von Uthmann es tut, allzu anekdotisch die Quälerei des Räderns oder die Gerüchte über die wundersame Heilkraft des Blutes von Guillotinierten zu erzählen, erscheint selbst bei einem essayistischen Projekt wie "Killer, Krimis, Kommissare" unangemessen - zumal die Geschichte solcher Grausamkeiten ja längst noch nicht ad acta gelegt ist.


Titelbild

Jörg von Uthmann: Killer, Krimis, Kommissare. Kleine Kulturgeschichte des Mordes.
Verlag C.H.Beck, München 2006.
292 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3406541151

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