Keine Chance für die Andere

Margrit Schriber zeichnet das Leben einer starken Frau nach

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich bin keine Hexe", heißt der erste Satz in Margrit Schribers historischem Roman "Das Lachen der Hexe", doch alle Beteuerungen werden der Anna Maria Gwerder, geborene Schmidig, nichts nützen, denn wer (weiblichen Geschlechts) des Pakts mit dem Leibhaftigen angeklagt ist, hat keine Chance zu überleben. Auch die Anna Maria nicht, obwohl sie die Witwe des Kastenvogts ist, und der war beileibe kein Niemand im Muotatal. Aber die Tatsache, dass eine Auswärtige dem Witwer den Kopf verdrehte, dass er diese Frau heiratete und nicht die Kathrin Fassbind, die vor Gericht aussagt, sie sei mit ihm verlobt gewesen und bei ihrem Sturz im Wald, glaube sie, habe die Kastenvögtin die Hand im Spiel gehabt, genügt, um einer unbequemen Frau, die nach dem Tod des Mannes ihre Geschäfte weiterführt, den Prozess zu machen, sie so lange zu foltern, bis sie 1753 74-jährig im Gefängnis von Schwyz (Innerschweiz) stirbt, noch bevor sie in einem ordentlichen Verfahren als Hexe verurteilt worden ist (und sie hätte nur verurteilt werden können).

Anna Maria Schmidig ist 27-jährig, als sie - eine Fremde im Tal - Hans Leonhard Gwerder heiratet, der zwei Kinder in die Ehe bringt. In den folgenden Jahren werden vier weitere Kinder hinzukommen. Anna Maria ist eine tüchtige Frau, sie ist zufrieden, glücklich auch. Ihr Lachen wirkt ansteckend. "Ein mitreißendes, perlendes, ein geradezu wildes Lachen. Es hallte von den Felswänden und füllte das Muotatal mit Heiterkeit." Die Gwerderin denkt selber. Sie stellt fest, dass ein Krämerladen dem Tal nur Vorteile bringen würde. Sie setzt diese Idee um, der Laden findet Anklang, die Durchreisenden können kaufen, was sie benötigen, die Einheimischen haben Nutzen vom Verkehr auf ihren Heerstraßen. Es geht ihnen gut. Doch eigentlich geht es nicht. Denn seit wann geschäftet eine Frau, und erst noch eine verheiratete Frau. Und es kann nicht mit rechten Dingen zugehen, dass sie auch noch Erfolg hat. Dass die beiden Kinder aus des Kastenvogts erster Ehe kurz hintereinander sterben, so will man später wissen, sei wohl nicht mit rechten Dingen zugegangen. Lienert geht der Verlust sehr nahe, er ist ein gebrochener Mann und stirbt bald nach seinen Kindern. Nun steht Anna Maria alleine da, mit vier Kindern, alle noch minderjährig. Dass sie - eine Frau, eine Fremde - selbständig bleiben könnte, steht außer Diskussion. Die Kinder werden bevogtet, der jüngere Bruder des Verstorbenen nimmt sich dieser Aufgabe an. Dass das nicht gut gehen kann, ist abzusehen. Denn Anna Maria weiß, wer sie ist, und sie - als Einzige wohl - würde sich zutrauen, sich und ihre Kinder ohne fremde Unterstützung, Einmischung muss es wohl eher heissen, durchzubringen. Doch das soll nicht sein.

Vorerst geht es noch. Anna Maria kämpft trotz Feindschaft von allen Seiten. Sie hegt weitere Pläne, eröffnet eine Taverne, bewirtet Soldaten, stellt junge Mädchen aus dem Dorf ein, treibt Handel. Das Dorf floriert. Die beiden Töchter helfen aus, die eine im Krämerladen, die andere im Wirtshaus. Nur der jüngste Sohn, inzwischen auch erwachsen, lebt noch bei der Mutter. Nun hat Meinrad Gwerder keinen Einfluss mehr. So wird denn rasch auf der Landsgemeinde beschlossen, dass Witwen und ledige Frauen immer bevogtet sein müssen. Der angesehene und erfahrene Rickenbacher übernimmt das Amt, er werde den Willen des zähen Teufelsweibes brechen. Anna Maria Gwerder kann diese Übergriffe nicht ernst nehmen. Sie will weiterhin arbeiten, ihre Geschäfte erledigen. Doch die Lage spitzt sich zu. Eine Missernte, ein Unwetter, Pech im Stall, überall soll die Kastenvögtin die Hand im Spiel gehabt haben. Sie wird unter Observation gestellt, später der Hexerei angeklagt. Die Fremde im Muotatal ist nicht länger geduldet, sie muss entfernt werden, sie stört. Nicht ihr Wille wird gebrochen, sie wird getötet, stirbt noch vor Prozessende an den Folgen der Folter.

Geschichten über Hexenprozesse sind immer wieder ernüchternd und erschütternd, sie zeigen auf, mit welcher Radikalität Frauen, die sich trauten, selber zu denken und zu handeln, sich anders zu verhalten, als ihnen zugestanden wurde, auf ein selbstbestimmtes Leben zu pochen, gnadenlos entfernt wurden, weil sie störten. Die Geschichte der Anna Maria Schmidig, der Frau des Kastenvogts Gwerder, der jedoch auch dieser Name noch aberkannt wurde, ist historisch verbürgt. Margrit Schribers Roman basiert denn auch auf Archivdokumenten. Dem Prosatext ging eine dramatische Arbeit voran, "Die Kastenvögtin" wurde 2004 in Schwyz uraufgeführt. Margrit Schriber gelingt es in ihrem Prosatext, das Leben dieser eindrücklichen Persönlichkeit einfühlsam nachzuzeichnen. Sie weist auf ihre Schwierigkeiten hin, macht deutlich, wie es für sie immer enger wurde, wie sie keine Chance hatte, anerkannt zu werden.

Problematisch sind die Ausführungen der Autorin jedoch dort, wo sie versucht, sich in Anna Maria hineinzudenken. Da kommt es zu Interpretationen und Kommentaren, die überflüssig sind. Dass die Foltermethoden zum Teil sehr detailreich geschildert werden, dürfte eher bewirken, dass man sich angewidert abwendet und allenfalls empört über die einzelnen Handlungen, nicht aber über das Denken, das hinter dem Urteil steckt, eine Frau handle "wider ihre Weibsnatur".


Titelbild

Margrit Schriber: Das Lachen der Hexe. Roman.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2006.
143 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3312003733

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