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Jörg Aufenanger berichtet über Heines Leben in Paris

Von Marcel KringsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Krings

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist wirklich nicht so, dass über Heinrich Heine noch nichts geschrieben worden wäre. Den romantischen Dichter sah man in ihm, den Spötter, Salonmenschen, Sozialrevolutionär, aber auch den aus Deutschland Ausgestoßenen und den Europäer. Jeder halbwegs Gebildete kennt heute überdies das sentimentale Klischee von Herzschmerzlyrik und Pariser Matratzengruft. Zusätzlichen, sehr bundesrepublikanischen Stoff bot Heines jüdische Herkunft, die lange Zeit Stein des Anstoßes war - man denke nur an den unrühmlichen Umgang der Geburtsstadt Düsseldorf mit ihrem berühmten Sohn. Doch offenbar, so zeigen Nachrufe und Biografien im so genannten Heine-Jahr 2006, fühlen sich besonders Journalisten und Publizisten ermutigt, in Heine den großen Vorgänger, kritischen Berichterstatter und Erfinder des Feuilleton zu feiern - also zumeist wohl sich selbst.

Auch Jörg Aufenanger, seines Zeichens Publizist und Theaterregisseur mit Studium in Paris, hat sich durch umfassendes Schrifttum nicht abschrecken lassen, zum aktuellen Anlass eine neue Biografie über den facettenreichen Dichter vorzulegen. Längst sind ja auf dem Buchmarkt mit dem Leben eines Schriftstellers mehr Leser zu gewinnen als mit dessen literarischem Werk, und auch Aufenanger profitiert vom Trend seit seinem Schiller-Buch zum Schiller-Jahr ("Schiller und die zwei Schwestern", 2004). Nun also "Heinrich Heine in Paris". Das Buch verspricht die "Geschichte der zweiten Lebenshälfte des Dichters". Nun kann man über die Zweiteilung eines Lebens immerhin streiten, denn die Platen-Affäre und der Berlin-Aufenthalt wären ebenfalls erwähnenswert gewesen. Berichtet wird jedenfalls von Heines Aufstieg zum ebenso gefeierten wie gefürchteten Poeten und Journalisten in Paris, von seiner distanzierten Sympathie für den Kommunismus, seinen Bekanntschaften und Fehden, seiner Krankheit und immer wieder von seinen Liebesbeziehungen. Mit leichter Hand bettet Aufenanger seine Schilderungen in einen geschichtlichen Hintergrund ein. Der soziale Kontext wird ebenso erwähnt wie die gescheiterten Revolutionen von 1830 und 1848, die den bürgerlichen status quo festigten und in den Zirkeln der Intellektuellen zunehmende Verzweiflung beförderten.

Das Buch ist dabei eingängig und unterhaltsam für ein breites Laienpublikum geschrieben. Per se ist daran nichts auszusetzen. Vor allem aber aus drei Gründen kann das Werk nicht überzeugen. Ihm fehlt erstens ein konkretes Erkenntnisinteresse, das auch populäre Darstellungen nicht entbehren müssen. Aufenanger erzählt eben nur eine "Geschichte" nach, die schon deshalb hinlänglich bekannt ist, weil Heines Pariser Leben seit den 1950er Jahren regelmäßig zum Thema gemacht worden ist. Man hätte dem Buch daher gewünscht, die Chance zu nutzen, sich vom bereits Geschriebenen abzuheben.

Zweitens zeigt sich, dass Zuspitzungen die Sache des Autors nicht sind. Ob Heine nun Dichter oder schon Journalist war, Deutscher bleiben oder Franzose werden wollte, Liebesglück oder Liebesleid finden sollte, weiß Aufenanger auch nicht zu sagen. Ärgerlich die vielen offenen Fragen, in die er sich daher flüchtet ("Erste Liebe, letzte Liebe? Oder doch nicht?"). Eine "Geschichte", geschweige denn eine Biografie, lässt sich nicht gut erzählen, wo Zusammenhänge ausgeblendet werden.

Drittens aber schlägt die Lektüre durch Aufenangers Stil vollends aufs Gemüt: So sehr fühlt sich der Verfasser in Heine hinein, dass ihm ein wenig von des Dichters distanzierender Ironie nicht geschadet hätte. Wenn man erfährt, dass Heine beim Flanieren auch einmal "eine Straße überquerte" - sancta simplicitas - und verführerischen Grisettenaugen nachblickte, fragt man sich gar, ob da Heines oder Aufenangers Pariserfahrungen berichtet werden. Überdies menschelt das Buch zuweilen allzu süßlich an den Grenzen des Geschmacks, wenn es um den einsamen, den unglücklichen, den liebeskranken Heine geht. Nun mag man das als Konzession an die Erwartungen des Publikums werten. Betrüblich an dieser Schilderung ist aber: Heine, der sich bis zuletzt über Sentimentalitäten lustig machte und durch Erotisches das konventionelle Bürgertum provozierte, wird postum zur Hauptperson einer Tragödie des Herzens verzeichnet. Sie destilliert Aufenanger zuguterletzt auch aus Heines Werken heraus, aus denen das Ich des Dichters spreche. Doch der biografischen Interpretation liegt ein Irrtum zugrunde. Denn obwohl Heine stets gegen Kunstautonomie war und meinte, der Dichter müsse in seiner Zeit wurzeln, sind seine Gedichte doch keine unbedarften Tagebuchnotizen. Nicht umsonst brach er subjektive Sehnsüchte ironisch oder änderte manchen Titel, um den Bezug aufs bloß Eigene abzuschneiden.

Aufenangers Buch, das zuletzt nachlässig lektoriert und zuweilen syntaktisch verquer daherkommt, zeigt damit die Schwächen des populären Biografismus. Die Gelegenheit, Heines Leben beschwingt und dennoch gehaltvoll darzustellen, lässt es verstreichen.


Titelbild

Jörg Aufenanger: Heinrich Heine in Paris.
dtv Verlag, München 2005.
159 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3423245182

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