Sprache als Spiel als Lebenswerk

Bobb Cobbing zum Gedenken: Michael Lentz' erstes Klangzeichen

Von Oliver RufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Ruf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich will keine Worte, die andre erfunden haben. Alle Worte haben andre erfunden. Ich will meinen eigenen Rhythmus, und Vokale und Consonanten dazu, die von mir selbst sind."

(Aus dem ersten dadaistischen Manifest, Zürich 1916)

Der Raptus vom Wort hat eine Reihe von Dichtern des beginnenden 20. Jahrhunderts überwältigt: Hugo Ball, Raoul Hausmann, Kurt Schwitters. Sie alle - unterwegs im Geiste Dadas - gaben der Avantgarde ein Profil und dem Sprachkneten ein Gesicht. Während Ball Vokale kobolzen ließ, wandte sich Hausmann dem optophonetischen Substrat der Buchstaben zu. Schwitters jedoch erfand eine neue Kunst, die unter dem Slogan "Merz" zu ungeheurer Buntheit gelangte - Papierschnipsel, Wortfetzen, Ur-Laute aus dem Getriebe der (Um-)Welt liefen zusammen auf der prächtigen Palette spielerischer Ausdrucksformen. Die Synthese der Materialien und Figuren vermittelte Spracherleben im ludischen Sinn, ein Vexierbild von Literatur.

Als der junge Bob Cobbing seinerseits seine ersten monotypischen Gedichte mit Schreibmaschine und Verfielfältigungsgerät herzustellen begann, stand auch er - wie viele andere experimentelle Autoren - im Bann dieser Meister. Er, der in England aufgewachsen war und während des Zweiten Weltkriegs den Kriegsdienst verweigert hatte, der als Mathematik-, Französisch-, Kunst- und Esperantolehrer tätig war, erwies sich als außergewöhnliche Begabung. Seine intensive Beschäftigung mit konkreter, visueller und Lautpoesie eröffneten (im englischen Sprachraum) neue Dimensionen. Sie zeitigten hier nun Avantgarde. Cobbing engagierte sich in der Künstlervereinigung "Writer's Forum", das zum Dachverband Kunstsparten übergreifender Workshops avancierte - Englands Zentrum der konkreten Poesie. Die Symbiose der Künste lag Cobbing am Herzen; Malerei, Dichtung, Musik und Tanz bedeuteten ihm Disziplinen desselben Wirkungsbereichs. Für die eigene künstlerische Tätigkeit blieb dabei Manches zu lernen: "Die Rückkehr zum Primitiven, zu Zauber und Ritual, zum Wiederzusammenkommen von Musik und Poesie, die Verschmelzung mit Bewegung und Tanz, die erneute Entwicklung der Stimme zu ihren ganzen physischen Möglichkeiten als Teil des Körpers, der Körper als Sprache", so Cobbing.

Mixed-Media(Multi-Media)-Poesie

Vokal-instrumentale Stücke, Improvisationen mit Free-Jazz- und Folk-Elementen, Soundmixturen aus vokalen, instrumentalen, konkreten und elektroakustischen Zutaten - die Performanz der Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten eines Poems in visuelle, akustisch-klangliche, spatiale und choreografische Ausführungen begründeten seinen Nimbus. Cobbing griff für seine Kunstwerke auf Druckerpressen, Schreibmaschinen, Kopierer und Tonbandgeräte zurück, aber nicht (mit Walter Benjamin gesagt) um deren Reproduzierbarkeit willen. Er bereicherte vielmehr mit ihnen das Figuren-Tableau der Lautpoesie, in deren Zentrum weiterhin die menschliche Stimme steht. Cobbing konzentrierte sich auf die Kombination anspruchsvoller Dichtungsformen, etwa auf die Verknüpfung von Permutation, Anagramm und Palindrom. Cobbing war immerdar fasziniert von Wortbeständen vielfältigster Sprachen. Er bevorzugte typografische Partituren. Seine ihre Zeichenmaterialität ausstellenden "sound poems" sind freilich vor allem auch zur Ausführung gedacht. Cobbing sagt: "Die Gedichte sind für die Mitwirkung gemacht. Sie sind für jedermann, daran teilzunehmen und sich an diesem Tun zu erfreuen. Die Bewegung der Stimme, die das Gedicht 'herstellt', kann in die Bewegung des tanzenden Körpers übertragen werden. Die graphische Gestaltung, das stimmliche Pattern und die körperliche Bewegung zusammen bilden das Gedicht. Poesie wird erneut zur Volkskunst. Sie ist für jeden." In Schlagworten formuliert: "Poesie des Raumes, Poesie des Körpers, des ganzen Körpers, Poesie der Bewegung, elektronische und Tonbandpoesie, stereophone, quadrophone und multiphone Poesie, Computerpoesie, nonverbale Poesie, Poesie der zerstörten Syntax, improvisierte Poesie, Poesie mit Zuhörerbeteiligung, Poesie der physikalischen/körperlichen Intensitäten, Mixed-Media(Multi-Media)-Poesie, Gruppenpoesie, Aktionspoesie, Ereignispoesie." Und in den Worten von Michael Lentz: "Paradigmatisch stand Cobbing (ein) für die Entwicklung der Poesie seit Dada."

"Die Physis der Poesie"

Dieser Michael Lentz ist selbst Lautpoet. 1964 wurde er in Düren geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Aachen und München und promovierte 1998 mit einer Arbeit über "Lautpoesie/Lautmusik nach 1945". Lentz ist Autor, Sprecher, Saxofonist, Vortragskünstler. Er ist Schüler des Komponisten Josef Anton Riedl und spielt seit 1989 in dessen Ensemble. Er ist Präsident der Freien Akademie der Künste zu Leipzig, Kurator der Veranstaltungsreihe "SOUNDBOX. Akustische Kunst" in Salzburg, München und Berlin sowie der Reihe "Projektionen. Poesie und Film" in Leipzig und hat bislang zahlreiche Veröffentlichungen in Anthologien, Zeitschriften, Katalogen, im Internet, auf CD sowie in Rundfunk und Fernsehen vorgelegt (sein Text "Muttersterben", der 2001 mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, hat ihn bekannt gemacht). Und: Michael Lentz ist der Herausgeber der Reihe "Klangzeichen" in der Wiener "edition selene", dessen erster Band Bob Cobbing gewidmet ist und der den schönen Titel "VerbiVisiVoco" trägt. Dabei bietet der einführende Essay (in deutsch und englisch) "Die Physis der Poesie" einen guten Überblick über Leben und Schaffen des großartigen Bob Cobbing. Die anschließende Anthologie versammelt hingegen die international bislang umfangreichste Auswahl an repräsentativen Arbeiten aus den Jahren 1942 bis 2001 und erhält darüber hinaus die erste Solo-CD Cobbings. Lentz schreibt zur Einleitung: "Neben den (ineinander übergehenden) konkreten, visuellen und Lautgedichten wurden auch solche aufgenommen, die z. B. in ihrer Sprachreflexivität und Verskombinatorik an vertraute Schreibverfahren der Moderne anschließen. Den Leser als sich selbst wahrnehmender Hörer lassen sie zwischen referenzsemantischen und klangassoziativen Ebenen oszillieren." Womit Lentz völlig richtig liegt: Cobbings Arbeiten sind visuell und auditiv ein Zeugnis höchster Virtuosität; sie nehmen Auge und Ohr beinahe mystisch gefangen.

Die Auswahl, die Cobbing mit Lentz noch selbst getroffen hat, zeigt - ansatzweise - die Bedeutung dieses Œuvres für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lautpoetischer Schreibweisen. Zukünftige experimentelle Skribenten müssen sich daran messen. Sie verdanken Cobbing Leidenschaft, Kosmos und Inspiration durch ein Lebenswerk. Das Klangzeichen von Michael Lentz ist auch deshalb eine wichtige, eine große Reminiszenz.


Titelbild

Michael Lentz (Hg.): Bob Cobbing. Selected Poems 1942-2001.
edition selene, Wien 2003.
200 Seiten, 46,00 EUR.
ISBN-10: 3852661846

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