Ein Kultermittler in Bedrängnis
In seinem 24. Abenteuer findet sich Ian Rankins pensionierter Polizist John Rebus selbst auf der Anklagebank wieder
Von Dietmar Jacobsen
Normalerweise hat John Rebus, als er noch bei der Edinburgher Polizei arbeitete, dafür gesorgt, dass die Verbrecher da landeten, wo sie hingehörten: hinter Gittern nämlich. Inzwischen ist er pensioniert. Und sitzt auf den ersten Seiten von Ian Rankins 24. Rebus-Roman selbst in Untersuchungshaft. Wie es dazu kam, erzählt Rankin in Das Erbe der Toten auf die gewohnt souveräne Art und Weise. Und vergisst dabei auch nicht viele der anderen Figuren, die den Kosmos seines Kultermittlers seit nunmehr über 30 Jahren bevölkern.
Dazu gehört allen voran Siobhan Clarke, die Frau, die Rebus‘ Stelle bei der Edinburgher Kriminalpolizei eingenommen hat und die ihrem Ex-Chef, auch wenn der es bei seinen Einmischungen in den laufenden Betrieb der Abteilung manchmal ein wenig auf die Spitze treibt, auf Dauer nicht böse sein kann. Während der Pandemiezeit, in der Rebus bis zum Start des Impfprogramms wegen seiner Erkrankung an COPD Ausgangsverbot gehabt hatte, versorgte sie ihn, der inzwischen ins Erdgeschoss seines Hauses umgezogen ist, mit allem Nötigen. Und wenn ihn seine Beschwerden längere Spaziergänge zur Qual werden lassen, steht sie ihm zur Seite, geht mit seinem Hund Brillo an die frische Luft und achtet im Übrigen auch darauf, dass es der Mann mit den einst geliebten Suchtmitteln Alkohol und Zigaretten nicht übertreibt.
Steht Clarke damit neben Rebus‘ Tochter Samantha und Enkelin Carrie für die helle Seite seines sozialen Backgrounds, gehört Inspector Malcolm Fox eher auf die dunkle. Der junge, ebenso aalglatte wie ehrgeizige Polizist hat Rebus schon genervt, als er noch zur Inneren Abteilung – den sogenannten Complaints – der Edinburgher Polizei gehörte. Inzwischen ist er nach Gartcosh in der Nähe von Glasgow, den Standort des Scottish Crime Campus, einer zentralen Anlaufstelle für die Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität, gewechselt und taucht immer dann an seiner alten Wirkungsstätte auf, wenn es gilt gegen die schwarzen Schafe unter Edinburghs Ordnungshütern vorzugehen. Und so ist es auch kein Wunder, dass er Rebus wiederbegegnet, als der droht, in die Ermittlungen gegen die Angehörigen einer Polizeiwache, die sich im Laufe der Jahre einen außerordentlich schlechten Ruf erworben hat, einbezogen zu werden.
Francis Haggard heißt der Polizist, gegen den wegen des Vorwurfs häuslicher Gewalt ermittelt wird. Er gehörte zu jener ominösen Polizeistation Tynecastle, in der „Rassismus, Sexismus, Meineid und Konspiration mit Verbrechern“ nur die Spitze eines Eisbergs von Korruption, Vertuschungsaktionen und Beteiligung an schweren Straftaten darstellten. Nun versucht er verzweifelt, über seinen Anwalt einen strafmildernden Umstand für sich geltend zu machen, indem er behauptet, sich durch den psychisch belastenden Dienst eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zugezogen zu haben, die ihm zeitweise die Kontrolle über sich verlieren lässt.
Als Entgegenkommen seinerseits, sollte man seinen Gewalttaten gegenüber mildernde Umstände walten lassen, bietet er an, die Ermittler darüber zu informieren, was in Tynecastle über Jahrzehnte an der Tagesordnung war und wer von seinen ehemaligen und aktuellen Mitstreitern auf der Wache sich dabei auf die eine oder andere Art besonders hervorgetan hat. Natürlich sorgt das für Unruhe weit über die betroffene Dienststelle hinaus. Als Haggard deshalb kurz darauf tot aufgefunden wird, scheint der Fall klar zu sein: Einer seiner alten Kameraden hat wohl verhindern wollen, dass die ungeschminkte Wahrheit ans Licht kommt. Aber so einfach ist es dann doch nicht.
Einer der Vorzüge der Polizeiromane von Ian Rankin besteht darin, dass sie ihre Spannung in der Regel mehr aus den inneren Widersprüchen ihrer Figuren gewinnen. Mit Action-Momenten hingegen geht Rankin relativ sparsam um. Gewalt in ihrer expliziten Form rückt kaum je in den Vordergrund seiner Romane – und das, obwohl Protagonisten wie der Edinburgher Gangsterboss Morris Gerald Cafferty, kurz „Big Ger“ genannt, durchaus nicht vor blutigen Attacken zurückschrecken. Doch auch Cafferty ist – genau wie sein ewiger Gegenspieler Rebus – in die Jahre gekommen und gerade damit beschäftigt, für sein kriminelles Imperium aus Drogen-, Immobilien- und Wettgeschäften Nachfolger zu finden. Außerdem sitzt er, seit er sich zuletzt ein paar Kugeln eingefangen hat, im Rollstuhl und beobachtet, was in seiner Umgebung vorgeht, in der Regel nur noch aus der Vogelperspektive seiner im achten Stock eines Hochhauses gelegenen Wohnung.
Rebus und Cafferty – im „Ermittlersteckbrief“, der sich in jedem Rebus-Band auf der vorderen Umschlagklappe findet, taucht Letzterer als die „Nemesis“ des Ex-Ermittlers auf – pflegten stets ein besonderes Verhältnis zueinander. Im Laufe der Jahre stellte sich immer wieder heraus, dass sie sich beide, obwohl auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes stehend, gar nicht so unähnlich waren. Diesmal ist es Cafferty, der Rebus um einen Gefallen bittet. Ein vor Jahren abgetauchter Mann, der die Unterweltgröße um eine erhebliche Geldsumme erleichtert hat, ist wieder aufgetaucht und Rebus soll helfen, den Mann ausfindig zu machen. Aber hat „Big Ger“ wirklich vor, sich bei dem Abtrünnigen zu entschuldigen, oder ist er auf eine späte Rache aus?
Wie man das aus den letzten Romanen um Rankins Helden gewohnt ist, sorgen dessen Einmischungen in die aktuelle Ermittlungsarbeit seines früheren Teams erneut für zahlreiche Irritationen. Rebus selbst stört das wenig und die Chuzpe, mit der er oft gegenüber Zeugen und Verdächtigen als eigentlich Außenstehender auftritt, ist manchmal schon bewundernswert. Auch sind seine Instinkte nach wie vor so gut ausgeprägt, dass es sich für Siobhan Clarke häufig lohnt, ihn bis zu einem gewissen Grad in die Nachforschungen ihrer Abteilung miteinzubeziehen. Allein seine Verstrickung in die Vorfälle auf der Polizeistation Tynecastle macht es diesmal besonders riskant, auf den Rat eines ehemaligen Polizisten zu vertrauen, der, was die Methoden betraf, mit denen er bei der Verbrecherjagd zu seinen zahlreichen Erfolgen kam, nie wählerisch war.
Und doch geht es auch bei der Suche nach dem Mörder von Francis Haggard schneller mit als ohne Rebus. Die Antwort darauf, warum der sich eingangs in Untersuchungshaft befand, geben schließlich die letzten Seiten des Romans. Sie fällt genauso überraschend aus wie die Lösung des Falls um den ermordeten Polizisten und bringt ein kleines Ungleichgewicht in die gesamte Rebus-Welt der Zukunft. Wenn es denn eine solche überhaupt noch geben sollte. Denn ein aus dem Gefängnis heraus die Polizeiarbeit unterstützender John Rebus ist eigentlich nicht vorstellbar. Doch mit Roman Nummer 25 steht ein kleines Jubiläum an – und vielleicht hat Rebus gar nicht so unrecht mit seinem Argument, dass sein ganzes zurückliegendes Leben als Polizist „strafmildernd“ wirken sollte. Aber wird er den Gerichtssaal wirklich als ein freier Mann verlassen? Der letzte Absatz des Buches hält einiges noch in der Schwebe. Geduld ist also nötig – etwas, dass man, wenn es um das Warten auf ein neues Buch von Ian Rankin geht, leider nicht im Übermaß besitzt.
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