Mörderischen Familiengeheimnissen auf der Spur

Pascale Robert-Diard legt einen packenden Tatsachenbericht zu einem brisanten Kriminalfall der französischen Gegenwart vor

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Allerheiligen 1977 verschwindet die millionenschwere junge Erbin einer wohlhabenden Familie der Côte-d’Azur spurlos. Es gibt jahrzehntelang kein Lebenszeichen von ihr, ihre Leiche wurde nie gefunden. Ein spannender Plot, der die Grundessenz für einen nicht minder fesselnden Kriminalroman oder Thriller hergeben könnte. Allerdings ist dies keine erfundene Geschichte, sondern beruht auf den Tatsachen eines der größten Kriminalfälle, die die französische Justiz in den vergangenen vier Jahrzehnten in Atem hielten. Die damals 29jährige Agnès Le Roux, Erbin des berühmten Spielcasinos Palais de la Méditerranée kehrt nach einem Kurzurlaub mit ihrem Liebhaber in Italien nicht mehr zurück. Ihr Liebhaber, Maurice Agnelet, Anwalt, verheiratet und Vater von drei Söhnen, ein charismatischer, aber skrupelloser Playboy, gerät bald unter Verdacht, in das mysteriöse Verschwinden der Frau verwickelt zu sein. Erschwerend kommt hinzu, dass er sie als ihr Anwalt überredete, ihre geerbten Casino-Anteile einem zwielichtigen Konkurrenten zu übertragen und den dafür erhaltenen Millionenbetrag offenbar auf eigene Konten abzweigte.

Pascale Robert-Diard, langjährige Gerichtsreporterin von Le Monde, hat diese packende Tatsachenstory nach jahrelanger Recherche und intensivem persönlichen Kontakt mit einem der Söhne, Guillaume Agnelet, in einem spannenden, gerade einmal 150 Seiten fassenden Buch verschriftlicht, das nun endlich auch in einer deutschsprachigen Übersetzung im Wiener Zsolnay-Verlag vorliegt. Jahrzehntelangt kämpfte Maurice Agnelet, der im Laufe des Berichtes von Robert-Diard zusehends als psychisch kranker, manipulativer und berechnender Charakter skizziert wird, gegen die französische Justiz. Untersuchungshaft, Verurteilung, Aufhebung des Urteils bis hin zu Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof – Maurice Agnelet durchwandert so ziemlich alle Etappen der französischen Justiz und kann einer rechtskräftigen Verurteilung jahrzehntelang entgehen. Erst 2014 wird er durch die belastende Aussage seines Sohnes Guillaume wegen des Mordes an Agnès Le Roux rechtskräftig verurteilt.

Pascale Robert-Diard erzählt in einer nüchternen, schnörkellosen Sprache aber weniger von den zahlreichen juristischen Schachzügen des Verdächtigen. Sie entwirft vielmehr das Psychogramm einer Familie, die an dem Mitwissen des Verbrechens letztendlich zerbricht und daran zugrunde geht. Man muss das Buch fast in einem Stück lesen, so allgegenwärtig erscheint die Abfolge der tragischen Ereignisse, so faszinierend und abstoßend zugleich ist die Schilderung des Charakters des Verdächtigen, sind seine vernichtenden Spuren, die er im gesamten Umfeld seiner Mitmenschen zieht. Ein Verbrechen, das eine Familie zerstört – ein zeitloses Thema wird hier auf 150 atemberaubenden Buchseiten skizziert, einzigartig referiert und lesenswert aufbereitet.

Titelbild

Pascale Robert-Diard: Verrat. Das dunkle Geheinmis der Familie Agnelet.
Übersetzt aus dem Französischen von Ina Kronenberger.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2017.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783552058576

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