Warum rebelliert ein zufriedener Mann?

Joseph Roths kleiner Roman „Die Rebellion“ in einer revidierten Neuausgabe

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Keine Sorge, die Rebellion findet nicht wirklich statt, stattdessen hat Joseph Roth mit seinem kleinen Roman Die Rebellion eine Fallstudie vorgelegt, wie aus einem zufriedenen und abgesicherten Mann ein Sozialfall, ein Sträfling und ein Rebell werden kann. Was es dafür braucht? Nicht mehr als die Konfrontation des kriegsbeschädigten Drehorgelmanns Andreas Pum mit einem entnervten Herrn Arnold, einem Posamenteriehändler mittleren Alters.

Die beiden geraten in einer Straßenbahn aneinander, als der bürgerliche Herr in Aufruhr keinen Millimeter rückt, um den einbeinigen Pum auf die Straßenbahn zu lassen. Der Wortwechsel beginnt, er wird heftig, Arnold beschuldigt Pum, ein Bolschewik zu sein, Pum fühlt sich in seiner Ehre als lizenzierter Leierkastenmann herabgewürdigt, ein Straßenbahnschaffner und ein Polizist greifen ein – zugunsten des besseren Herrn, Pum schlägt um sich und erhält eine Vorladung. Der er nicht nachkommen kann, weil ihn die Polizei bei Gericht abführt. Pum wird also zu einer Haftstrafe verurteilt. Das Gefängnis verlässt er als alter und gebrochener Mann, er wird Toilettenmann, ein Greis, der Seifen und Handtücher verkauft und die Toilette reinigt. Das ist vielleicht nicht schlechter als die Drehorgel zu spielen, aber Pum genießt nicht mehr die Protektion der Regierung, sondern nur noch die eines halbkriminellen Zimmernachbarn, der mit der Bewirtschaftung von Gasthaustoiletten zu Geld gekommen ist. Pums Vertrauen in die Regierung ist verloren gegangen, was schließlich aber nicht in die Revolte mündet, sondern in einer Beschwerde, die Pum nach seinem Tod an den Ursprung aller hochherrschaftlichen Ordnung richtet, den Herrn selbst.

Dabei war am Anfang alles gut, denn Andreas Pum ist da noch mit dem Lauf der Dinge zufrieden, obwohl er im Krieg ein Bein verloren hat. Denn was hat er im Ausgleich dafür bekommen? Eine Auszeichnung und die Gewissheit, dass die Regierung für ihn sorgen wird, mit einer Lizenz welcher Art auch immer, die ihm ein Auskommen und die Anerkennung der Regierung sichern wird. Was ist im Vergleich dazu ein verlorenes Bein? Nichts. Hat er Grund zu klagen? Nein, und damit erst recht keinen Grund, sich gegen die gottgewollte Ordnung aufzulehnen, zu rebellieren.

Aber dann ist auf einmal alles anders, „die Unordnung, der Untergang, die Revolution“ geschehen. Der Krieg ist vorbei, der Umsturz kommt und die Regierung, auf die Pum sich verlassen hat, wechselt. Immerhin gelingt es Pum trotzdem, die gewünschte Lizenz als Leierkastenmann zu erhalten. Neben dem verlorenen Bein braucht es dazu ein Zitterleiden, das sich glücklicherweise rechtzeitig für die Vorstellung bei der Kommission einstellt, die über Lizenzen zu entscheiden hat. Pum kann zufrieden sein. Er hat seine Auszeichnung, seine Lizenz, sein Auskommen – ja, er heiratet sogar und weiß sich auch in dieser Sache versorgt. Aber dann überkommt Herrn Arnold das Liebessehnen des Herrn mittleren Alters, er zwingt das Tippfräulein, das auf den schönen Namen Lenz hört, zu einem Kuss, was allerdings nicht zu neuen Höhepunkten führt, sondern zu einem Skandal, das dem Händler und Familienvater schlecht bekommen würde. Er ist also höchst übellaunig, als er die Straßenbahn besteigt, die ihn mit Andreas Pum zusammenführen wird.

Joseph Roths Roman Die Rebellion gehört nicht zu den bekannten Texten des großen österreichischen Autors, der so viele Jahre in Berlin lebte und dort zu einem der bekanntesten und begehrtesten Feuilletonisten aufstieg. Aber Roth wollte mehr, er wollte Literatur. Für Die Rebellion verzichtete er einige Zeit sogar auf Zeitungstexte, um sie hinterher unverdrossen wieder aufzunehmen.

Obwohl Roth den Roman sehr schnell schrieb, handelt es sich um einen beachtlichen Text, der nun aus dem Manuskript heraus neu herausgegeben worden ist. Damit werden die Mängel der Werkausgabe behoben, aber auch die fehlenden Passagen der Erstausgabe – insgesamt etwa zwei Druckseiten – aus dem Jahr 1924 werden berücksichtigt. Der Text liege damit, so der Herausgeber Ralph Schock, in einer Ausgabe vor, die den Intentionen des Autors entspreche – wobei über die Gründe, die zu dem Verlust der beiden Seiten für den Erstdruck führten, nichts bekannt zu sein scheint. Ein redaktioneller Eingriff ist damit ebenso möglich wie ein pures Versehen. Das wird man allerdings nicht weiter hinterfragen wollen, denn anders als im Fall von Hans Falladas „Kleiner Mann, was nun?“ reichen die Eingriffe nicht weit und sind nicht systematisch. Mit dieser Ausgabe liegt jetzt ein hinreichend gesicherter Text vor, der aus erster Hand stammt und dessen Textgestalt nicht weiter fraglich ist.

Dass Roth seinen Roman nicht aus dem Nichts heraus geschaffen hat, zeigen die mitgelieferten Texten, mit denen aus dem schmalen Roman ein veritables Buch wird. Roths Feuilletons aus den Jahren 1919 bis 1924 behandeln anschließende Themen oder erscheinen wie Urformen von Szenerien oder Figuren seines Romans. Auch hier kommen Leierkastenmänner und Versehrte vor, obwohl Roth hier vor allem die Klassenstruktur der Gesellschaft behandelt, die alle Ordnungsprinzipien, denen die Protagonisten zu folgen meinen, durchzieht. Ordnung ist eben nicht gleich Ordnung. Pum muss darunter leiden. Aber anders als im Roman zeigt Roth in den Feuilletons vor allem die Welt der Armen und Ärmsten, die nie auch nur irgendeine Chance haben, und als die dann noch vertan war, noch mehr ins Elend abrutschen. Wie etwa der Zigarettenstummelsammler, der keine Stütze erhält, weil er keine Meldeadresse hat. Ein Zimmer könnte er sich aber erst dann leisten, wenn er Arbeitslosenunterstützung beziehen würde. Dass Roth aus dieser Perspektive heraus kein Verständnis für den Überfluss hat, in dem die Reichen der Zeit baden, ist wohl nachvollziehbar.

Titelbild

Joseph Roth: Die Rebellion. Roman.
Nach dem Manuskript ediert und mit einem Nachwort herausgegeben von Ralph Schock.
Wallstein Verlag, Göttingen 2019.
280 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783835334854

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