Von erotischen Träumen und träumenden Erotomanen

Abdoulaye Samaké vergleicht „Liebesträume in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Erzählliteratur des 12. bis 15. Jahrhunderts“

Von Verena BrunschweigerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Verena Brunschweiger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Franz Liszts Liebestraum für Piano solo ist ein absoluter Favorit innerhalb des klassischen Repertoires. Liebesträume kann man aber nicht nur hören, sondern auch lesen und genauer beleuchten. Diesen Versuch unternimmt nun Abdoulaye Samaké in seiner Dissertation.

Sein Korpus setzt sich aus nicht weniger als zehn Texten (partiell noch differenziert nach Versionen und Handschriften) zusammen, in denen Minne durch einen Traum ausgelöst wird oder umgekehrt. In einem Forschungsüberblick geht Samaké zunächst bis ins Jahr 1896 zurück; anschließend werden ausgewählte Traumtheorien vorgestellt.

Der große Hauptteil der Arbeit beginnt zunächst mit einem fünfzeiligen Zitat darüber, was Minne bedeutet. Immer wieder liest man dazu passend Satzteile wie „wie bereits in der Inhaltsangabe erläutert“ oder „Nach diesem kleinen Inhaltsreferat“, was für eine Dissertation nun doch eher ungewöhnlich anmutet. Natürlich macht es Sinn, unbekanntere Texte in gebotener Kürze den Rezipient*innen zu präsentieren, aber allzu oft sieht man sich elaborierten Inhaltszusammenfassungen und unfassbar langen Zitaten gegenüber.

Der erste analysierte Text ist der Roman des Sept Sages de Rome und man erhält den Eindruck, dass sich der Autor von einer Schule des close reading her den Versen annähert. Im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven manifestiert sich, dass der Traum, seine Deutung und Prophezeiung ganz der weiblichen Sphäre angehören. Ein Exkurs thematisiert in diesem Kontext Kriemhilds Falkentraum – und wieder einmal stellt sich heraus, dass sich als Zwischenfazit festhalten lässt, dass der Umgang mit der (Liebes-)Traumthematik sehr „facettenreich“ ist. (Auch anlässlich des Guillaume de Palerne wird diese Phrase von Samaké benutzt, dito bezüglich des Lancelot en prose.)

Obwohl Gender ein Parameter ist, der dem Autor durchaus am Herzen liegt, attestiert er doch Kriemhild anfangs eine „Männerfeindlichkeit“, was meines Erachtens nicht haltbar ist. Außerdem bezeichnet er Lavinia im Eneasroman als „naive, ahnungslose junge Dame“, und es bedarf nicht erst Claudia Lauers neuer Monographie über die Kunst der Intrige, um zu konstatieren, dass diese Einschätzung nicht unbedingt zutrifft.

Durch Manipulation evozierte erotische Träume suchen in erster Linie männliche Figuren heim, wohingegen weibliche solche eher erfinden, was gemäß Samaké daran liegt, dass selbige mit Magie und oder Intrigen einfach mehr Umgang haben.

Bérouls Tristan et Iseut ist ein weiterer Text, den sich der Autor vornimmt. Der Löwentraum der Protagonistin ist für ihn die Inszenierung der Dreiecksbeziehung, der sie zum Handeln motiviert. Ein Vergleich mit anderen Versionen des Tristan-Stoffs führt zur Erkenntnis, dass Iseut in besonderem Maße in den Mittelpunkt gerückt wird.

Im Rahmen der Schlussfolgerungen werden wir darüber informiert, dass Emotionen „bei der Darstellung und Funktionalisierung der Liebesträume eine besondere Rolle spielen“.

Unklar ist, nach welchen Kriterien man sich dafür entschied, eine Übersetzung anzubieten oder eben auch nicht. So werden diverse Zitate aus dem Französischen oder Italienischen nicht übersetzt, einige – im Übrigen auch exorbitant lange – aus dem Mittelhochdeutschen jedoch sehr wohl (beispielsweise umfangreiche Passagen aus Gottfrieds von Straßburg Tristan).

Die Untersuchung ist ein ambitioniertes Projekt, und die komparatistische Perspektive ist stets eine ungemein reizvolle, aber vollumfänglich eingelöst wird dieser Anspruch nicht. Ein bisweilen schon exorbitant repetitiver Stil trübt leider zudem immer wieder das Lesevergnügen. Eine besondere Ironie liegt daher darin, dass Mario Baratto von Samaké folgendermaßen zitiert wird: „Il Boccaccio sapeva bene di non ripetersi“ („Boccaccio verstand es sehr gut, sich nicht zu wiederholen.“)

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Abdoulaye Samaké: Liebesträume in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Erzählliteratur des 12. bis 15. Jahrhunderts.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2020.
383 Seiten, 132,00 EUR.
ISBN-13: 9783770564774

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