Schönheit und Rückständigkeit

George Sand erlebt Mallorca

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die französische Adlige George Sand war eine der ersten Frauen, die unter einem männlichen Pseudonym schrieb. Einer ihrer damaligen berühmten Schriftstellerkollegen war der Ansicht, die Sensibilität der Beobachtungsgabe in Sands Werken ließe auf eine Frau schließen, wenn da nicht der Name wäre. Dieser scharfe, aber auch unnachgiebige Blick prägt auch Sands Eindrücke von einer mehrmonatigen Reise mit ihrem damaligen Geliebten Frédéric Chopin und ihren Kindern nach Mallorca. Diese unternahm sie 1838, um ihrem kranken Gefährten, dessen Leiden sich später als Schwindsucht (TBC) herausstellte, und dem Rheumatismus ihres Sohnes Linderung zu verschaffen.

Für Chopin und Sand, die auf der Insel mit der Niederschrift eines neuen Buches begann und ihre Kinder unterrichtete, erwies sich der Aufenthalt als überaus fruchtbar. Er musste allerdings infolge der Verschlechterung von Chopins Zustand bereits 1839 abgebrochen werden. Aus der anfänglichen Liebe zwischen der skandalumwitterten Autorin und dem Liebling der Pariser Salons wurde im Nachhinein eine dauerhafte Freundschaft.

Der 1842 erstmals mit Zeichnungen ihres Sohnes Maurice und Lithographien von Joseph-Bonaventure Laurens, einem Anreger Sands, erschienene Bericht mit dem Titel Ein Winter auf Mallorca wurde nun wieder neu übersetzt und herausgegeben. Er ist in drei Teile gegliedert, die inhaltlich lose dem Verlauf der Reise vom anfänglichen Aufenthalt in Palma und dem Wechsel in die Kartause von Valldemossa entsprechen, und wird begleitet von einem Auszug aus Sands Autobiografie, einem informativen Nachwort und ausführlichen Anmerkungen. Besonders aus der Geschichte meines Lebens sind einige der oben erwähnten persönlichen Informationen zu entnehmen, die der Reiseerzählung fehlen (darunter der Name Chopins), vielleicht in der Absicht, diese bewusst auf ein allgemeines Niveau zu heben. Eingeleitet wird das Buch, den Konventionen des literarischen Reiseberichts seit Johann Wolfgang von Goethes Italienischer Reise entsprechend, mit Ausführungen zu Geschichte, Geografie, Flora und Fauna sowie einer Vorstellung der Bevölkerung der Insel und ihrer Sitten.

Zeittypisch, aber gleichwohl störend ist die durchgehende Voreingenommenheit Sands gegenüber den Inselbewohnern, deren Sitten sie mit den ihr vertrauten Gebräuchen Frankreichs vergleicht und durchweg als zurückgeblieben abwertet. Dementsprechend ist der Text mit Stereotypen durchsetzt, wie der mangelnden Bildung, Faulheit und des religiösen Analphabetismus der Insulaner. Im größtmöglichen Kontrast dazu steht die Beschreibung der Naturschönheiten Mallorcas, insbesondere der heute noch gerühmten Mandelblüte. Auch hier wird jedoch das fehlende Wegenetz der Insel bemängelt, das einen Warentransport der landwirtschaftlichen Produkte an die Küste und deren Export (vor allem Schweine) erschwert. Wo Sand dennoch kulturelle Errungenschaften, beispielsweise in der Architektur der Klöster, entdeckt, schreibt sie diese den Mauren und nicht ihren Zeitgenossen zu. Immer wieder scheint auch ihr schwieriges persönliches Verhältnis zu den Einheimischen durch, die dem unverheirateten fremden Paar mit Misstrauen begegneten. Trotz dieser Einschränkungen ist es das Verdienst der Autorin, die damals abgelegene Insel mit ihrem Bericht erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt zu haben, weswegen sie vor einigen Jahren zu einer „Adoptivtochter Mallorcas“ ernannt wurde.

Titelbild

George Sand: Ein Winter auf Mallorca.
Neuübersetzung mit zahlreichen zeitgenössischen Abbildungen.
Übersetzt aus dem Französischen und kommentiert von Hermann Lindner.
dtv Verlag, München 2016.
372 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783423280990

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