Nur fort aus Europa!

In „Felix und Felka“ nähert sich Hans Joachim Schädlich in skizzenhaften Momentaufnahmen dem Leben eines aus rassistischen Gründen verfolgten jüdischen Künstlerehepaars

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Mittelpunkt der neuen Prosaarbeit von Hans Joachim Schädlich stehen der jüdische Maler Felix Nussbaum, geboren 1904 in Osnabrück, und seine Ehefrau Felka Platek-Nussbaum, 1899 in Warschau zur Welt gekommen. Beide wurden 1944 im KZ Auschwitz ermordet. Schädlich hat seinem Text über ein jüdisches Künstlerpaar, dessen jahrelange Flucht vor dem Zugriff durch die Nazis an jenem Ort ihr tragisches Ende fand, dessen Name fast zu einem Synonym für blindwütigen Rassenhass und dessen unmenschliche Folgen geworden ist, keine Genrebezeichnung gegeben. Und tatsächlich werden weder der Begriff „Roman“ noch der der „Biografie“ dem gerecht, was hier geleistet wurde, nämlich ein Stück Erinnerungsarbeit, bestehend aus vielen kleinen alltäglichen Szenen, die uns Felix und Felka näherbringen, ihre Not begreiflicher und ihr Ende erschütternder machen als jede auf dichterische oder biografische Objektivität abzielende Darstellung.

Felix und Felka reiht sich zum einen ein in die Reihe jener Werke Schädlichs, in denen er sich historischen Persönlichkeiten unter dem von ihm selbst so bezeichneten thematischen Aspekt „Die Unmächtigen und die Mächtigen“ widmete, wobei zwischen „unmächtig“ und „ohnmächtig“ für ihn noch einmal eine scharfe Trennungslinie verläuft. Andererseits findet sich die stilistische Kargheit als das auffallendste künstlerische Mittel dieses Buches auch bereits in seinen Vorgängern angelegt. „Es handelt sich um eine Reduktion. Ich habe in den letzten Büchern versucht, für den Leser oder Hörer durch die Reduktion auf das, was ich das Relevante nenne, […] einen Freiraum zu schaffen, der es ihm erlaubt, selbst den Text weiterzudenken und seine Fantasie zu entfalten.“ So begründete der Autor kürzlich diese künstlerisch-ästhetische Vorgehensweise in einem Interview mit Andrea Gerk für den Deutschlandfunk Kultur. Gerade in der vorliegenden Prosaarbeit funktioniert das hervorragend.

Beginnen lässt Hans Joachim Schädlich sein Buch mit einer Episode aus dem Mai 1933. Als Studiengast der römischen Villa Massimo musste Felix Nussbaum die Akademie nach einem Streit mit dem Maler Hanns Hubertus Graf von Merveldt vorzeitig verlassen. Eine Rückkehr nach Deutschland verbot sich aufgrund der dort herrschenden politischen Verhältnisse – seit dem 30. Januar 1933 war Hitler Reichskanzler, die offen judenfeindliche Politik der NSDAP bekannt. Dementsprechend blieb für Nussbaum und seine Lebensgefährtin, die er im Oktober 1937 heiratete, nur das Exil.

Das bedeutete für die beiden Künstler eine mehr als zehnjährige Odyssee, die sie von Italien (Alassio an der italienischen Riviera, Rapallo) über Frankreich (Paris) schließlich nach Belgien (Ostende, Brüssel) führte. Als die Nazis im Mai 1940 Belgien besetzten, wurden Felix Nussbaum und Felka Platek-Nussbaum noch einmal getrennt. Während sie in Brüssel blieb, erlebte er als Internierter die Schrecken des Lagers Saint-Cyprien an der französischen Mittelmeerküste, über das Walter Mehring schrieb: „Bin hinter Draht, im Sandgerölle,/ Genannt: ‚Die Pyrenäenhölle‘.“ Als die deutschen Internierten gemäß dem Waffenstillstandsabkommen Nazi-Deutschlands mit Frankreich im Juli 1940 ausgeliefert werden sollen, gelang Felix zusammen mit einem Freund auf dem Transport nach Deutschland in Bordeaux die Flucht.

Von da an hält er sich illegal wieder in Brüssel bei seiner Frau auf, immer auf der Hut vor Spitzeln und misstrauischen Nachbarn. Nur ein paar Freunde, die das Ehepaar selbstlos unterstützen, wissen Bescheid. Am Ende ist es doch ein Gestapo-Zuträger, der sich in ihren Freundeskreis eingeschmuggelt hat, von dem Felix und Felka verraten werden. Mit dem letzten Transport, der das Sammellager Mechelen in Richtung Auschwitz verlässt, vollendet sich das tragische Schicksal der beiden Künstler.

Als „Maler-Touristen“ bezeichnet Felix Nussbaum in einer der ersten kleinen Szenen des Buches seine Existenz und die seiner Frau im Exil. Ständig auf der Flucht, ohne ein festes Zuhause und auf die Hilfe von Freunden und Bekannten angewiesen, weil die kleinen Arbeiten, die man Felix und Felka gelegentlich anträgt, sie kaum ernähren können, vermag das Paar sich dennoch nicht zu entscheiden, Europa zu verlassen. Amerika, wohin ein Förderer sie einlädt, ist ihnen „ein bisschen zu weit“, Palästina ebenfalls keine Alternative, weil sie als Maler dort unbekannt sind und doch nicht loslassen können von ihrer Kunst, die für sie das Leben bedeutet. Insgeheim hoffen sie immer darauf, dass alles nicht so schlimm kommen werde wie befürchtet, weil sogar Felixʼ Eltern aus der Schweiz zurückziehen nach Deutschland, da deren Sehnsucht nach einem Zuhause größer ist als die Angst vor dem herrschenden Ungeist. Bis es dann eines Tages für alle zu spät ist zur Flucht. Ein „Memento“, mit dem Hans Joachim Schädlich das Buch beschließt, dokumentiert, dass kein Einziger aus den Familien von Felix und Felka den Wahnsinn der Hitlerjahre überlebt hat.

Schädlich ergänzt die fiktiven Szenen, mit denen er die Schwierigkeiten des Alltags der beiden von ihrer Heimat getrennten Exilanten aufs Äußerste verknappt – und gerade deshalb umso wirkungsvoller – darstellt, mit Zeit-Dokumenten, kurzen Erläuterungen zu geschichtlichen Hintergründen sowie einer Reihe umfangreicher Brief-Zitate von Felix Nussbaum an seine amerikanischen Mäzene, die Familie Klein in Buffalo. Ein 5-seitiges Verzeichnis von „Quellen und Zitatnachweisen“ stellt das Erzählte in einen größeren Zusammenhang und weist Interessierten zugleich den Weg über den Text hinaus in die künstlerischen Welten von Felix Nussbaum und Felka Platek-Nussbaum. Mit kunsthistorischen Erläuterungen und Einordnungen geht Schädlich dagegen äußerst sparsam um. Sie waren, wie er in dem eingangs erwähnten Interview bekennt, auch nicht sein Ziel. Ihm ging es darum, den Alltag von Menschen darzustellen, denen rassistische Verfolgung ein normales Leben unmöglich machte – und damit zugleich zu warnen vor antisemitischer Hetze in unseren Tagen.

In einem Traum, den Schädlich Felix Nussbaum gegen Ende des Textes, im Sammellager Mechelen, getrennt von seiner Frau und wartend auf die Deportation träumen lässt, tauchen sie dann aber doch noch auf, zumindest mit ihren Titeln, die Bilder seines Lebens. Es ist die Fiktion der großen Ausstellung, die der Maler nach 1933 nie mehr hatte, sich aber im Geheimen sehnlichst wünschte. Beginnend bei den Landschaftsbildern aus den 1920er Jahren und endend mit den immer dunkler werdenden späten Selbstbildnissen, eines davon Im Totenhemd benannt, ein anderes Mit Judenpass überschrieben; Zeugnisse eines Kraft, Mut und Selbstvertrauen aussaugenden, entbehrungsreichen Lebens in der Fremde, bedroht und nur durch die Liebe seiner Frau und die Leidenschaft für die Kunst noch lebbar. Und ganz zum Schluss das letzte Werk: Triumph des Todes – menschliche Skelette, die inmitten einer kollabierenden Welt zum finalen Tanz aufspielen nach der Melodie von „Nur fort aus Europa!“. Ein Weg, der Felix und Felka freilich verwehrt blieb.

Titelbild

Hans Joachim Schädlich: Felix und Felka.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018.
203 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498064372

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