Elefanten sind die Größten

Rüdiger Schapers Portrait „Elefanten“ spürt imaginären und realen Rüsseltieren nach

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Elefantengeschichte ist Menschheitsgeschichte“, behauptet Rüdiger Schaper in seinem neuen Buch Elefanten, das zugleich liebevolles Rüsseltier-Portrait und eindringliche Mahnung ist. Schaper mahnt, wir Menschen arbeiteten „mit Hochdruck“ daran, Elefanten „aus der Wildbahn verschwinden zu lassen“. Er lässt Verhaltensforscher zu Wort kommen, gewährt Einblicke in seine Elefantenpräsenzbibliothek, zitiert aus Rilkes Versen, George Orwells Erzählung Einen Elefanten erschießen und dem Physiologus aus dem 2. Jahrhundert („Geschichte von Adam Elefant und Eva Elefant“, meint Schaper). Er blickt auf japanische und europäische Elefantengeschichten, auf Hannibals Kriegselefanten ebenso wie in die indische Mythologie.

Wer saß nicht als Kind im Zirkus und war fasziniert von den sanften Riesen, die greifbar nah und wie in Zeitlupe durch die Manege trabten? Sie schienen zu lächeln, wenn sie ihre Rüssel hoben und Kunststücke vollbrachten. Dass sich Elefanten nicht freiwillig so verhielten wie in der Hörspiel-Folge Nr. 45 von Benjamin Blümchen, in der ein Zirkus für seine „einmalige Elefantennummer“ wirbt, die man „für lächerlich wenig Geld erleben“ könne, kommt einem Kind nicht in den Sinn. Ob der gemobbte Zirkuselefant Dumbo, der aufrecht gehende Babar oder die marschierende Elefanten-Frühpatrouille im Dschungelbuch: Unvergessliche Kindergeschichten „rühren das Herz und quälen den Verstand“ – es ist „schwer, sich der Magie zu entziehen“, gesteht Rüdiger Schaper ein. Besonders faszinierend ist daher ein in Schapers Buch eingeflochtener Bericht einer Reise in Thailands Norden, auf welcher der Autor eine intensive Woche mit Elefanten im Camp von Bodo Förster verbrachte. Sich an die Ausritte auf der Elefantenkuh Mowa erinnernd gerät er ins Schwärmen: „Es ist ein Gefühl des Geduldetseins, der Erprobung, als ich dort oben sitze“. Er sinniert: „Das Camp schenkt Zeit und Kontakt mit den Tieren. Ich habe beides sonst nicht“. Der Leser kann es ihm nachempfinden.

Elefanten einzusperren, bezeichnet er zwar als eine „absurde Idee“: „Alles spricht dagegen, seine Stärke, seine Größe“. Auf seiner Suche nach einem guten Ort für Elefanten landet der Journalist und Leiter des Kulturressorts des Berliner Tagesspiegels dennoch im Zoo Leipzig. Hier hätten die Elefanten große Laufflächen, medizinische Betreuung, man gehe auch auf die mentalen Bedürfnisse der Tiere ein. Zoologischen Gärten kommt heute eine sehr große Bedeutung beim Artenschutz zu.

Zugleich versucht Schaper, Elefantenmythen zu entzaubern. Sie seien „hochempfindlich“, hätten eine „unerwartet weiche Haut“ und seien mitnichten Dickhäuter. Benjamin Blümchen, der sich in den Hörspielen einst selbst als „sensibler Elefant“ bezeichnet, hat Angst vor Mäusen. Es sei kein Scherz, dass Elefanten Angst vor Mäusen haben, behauptet Rüdiger Schaper und legt in seinem Buch eine Theorie vor: „Angekettet und zusammengepfercht auf engstem Raum, leiden Zirkuselefanten unter Mäuseattacken. Die Nager, oft eher Ratten als Mäuse, verbeißen sich in die Elefantenfüße.“ Im SPIEGEL zitierte Forscher würden Schaper widersprechen und stattdessen behaupten, Elefanten fürchteten sich allgemein vor kleinen Tieren wegen der Erfahrung schmerzhafter Stiche von Bienen. Ob Bienen, Mäuse oder andere Tiere Ängste der Elefanten evozieren, scheint schwer zu beurteilen. Einige Mythen müssen wohl bestehen. Der erste Satz des Buches lautet daher auch: „Beim Elefanten kennt die Fantasie keine Grenzen.“ Viele Legenden ranken sich gar um fliegende, weiße oder mehrköpfige Elefanten. Die viel wichtigere Realität ist, dass es unsicher ist, ob Elefanten auf der Erde eine Überlebenschance haben.

Am 23. Dezember 2020 vermeldeten verschiedene Nachrichtendienste, dass vier Elefanten in roten Weihnachtsmannkostümen und mit riesigen Corona-Schutzmasken Schülern in Thailand eine besondere Überraschung beschert hätten. Die Elefanten trugen mit ihren Rüsseln Körbe voller Corona-Schutzmasken für die Kinder in der Stadt Ayutthaya. Die Tagesschau übernahm die Meldung beispielsweise in ihren Corona-Nachrichtenticker. Tierarzt Jan Schmidt-Burbach von der Naturschutzorganisation WWF kritisierte die Aktion und sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: „Die Kinder nehmen die Elefanten dadurch als Entertainer und Clowns wahr und nicht als die Wildtiere, die sie eigentlich sind.“ In Thailand berief man sich auf eine lange Tradition. Doch in Wahrheit ging es schon immer nur darum, sich an den größten lebenden Landtieren zu ergötzen. Ob im 19. Jahrhundert – während der Karnevalssaison 1818 bis 1819 wurde zum Beispiel ein Elefant nach Venedig gebracht, der ausbrach und nur mit zwei Kanonenschüssen niedergestreckt werden konnte – oder im 20. Jahrhundert: Im Jahr 1950 fuhr während einer Zirkus-Werbeaktion eine Elefantenkuh mit der Wuppertaler Schwebebahn, brach aus und stürzte in die Tiefe. Elefanten „garantieren Zulauf und versprechen den Schaustellern gute Geschäfte“, schreibt Schaper.

Die Rettung der Tiere ist daher ein Ringen um Menschenwürde. Der französische Schriftsteller Romain Gary – keine Elefantenliteratur habe seine „poetische und intellektuelle Kraft“ erreicht, urteilt Schaper – hatte es in seinem Brief an den Elefanten 1968 auf den Punkt gebracht, als er erklärte, Elefanten seien wegen des Fleisches und wegen des Elfenbeins Tausende von Jahren gejagt worden, aber erst der zivilisierte Mensch kam auf die neurotische Idee, zum Vergnügen zu töten und aus Elefanten eine Trophäe zu machen. Die Mahnungen sind aktueller denn je. Der WWF berichtet, dass der illegale Handel mit Elfenbein die Zahlen von getöteten Elefanten aktuell in die Höhe schnellen lässt. 2019 erlaubte der Präsident von Botswana, Mokgweetsi Masisi, wegen einer angeblichen Überpopulation wieder die Jagd auf Elefanten in seinem Land.

Der von Schaper besuchte Bodo Förster ruft aktuell im Internet zum Spenden für seine Elefanten in der Corona-Krise auf. Ohne Touristen hat er keine Einnahmen für den Erhalt seiner Unternehmung in den thailändischen Bergen. Auch der Tierschutz leidet unter der Pandemie. Es bleibt zu hoffen, dass das liebevolle Buch von Rüdiger Schaper viele Leser erreicht, das Wilderei-Problem mehr Aufmerksamkeit erhält, für sinnvolle Schutzprojekte möglichst viel Geld gesammelt und den zärtlichen Riesen damit eine Chance gegeben wird.

Titelbild

Rüdiger Schaper: Elefanten. Ein Portrait.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020.
160 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783751802017

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