Das Verflüssigen der Unterschiede

Kathrin Schmidts Gedichtband „waschplatz der kühlen dinge“

Von Iris HermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Iris Hermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während der Hundstage Kathrin Schmidts neuen Gedichtband zu rezensieren, ist schon des Titels wegen ein besonderes Vergnügen: waschplatz der kühlen dinge! Der Titel für die 46 Gedichte in konsequenter Kleinschreibung ist gut gewählt, denn womöglich geschieht hier gerade das: eine Behandlung der Dinge dieser Welt in einem Bad, einem kühlen, erfrischenden Nass der Sprache. Kathrin Schmidts Gedichtband ‚zusammenfassen‘ zu wollen, ist jedoch schwer bis unmöglich: zu heterogen die Formen, zu verschieden die Themen, zu entlegen die Metaphern und Neologismen, zu elegant bis schnodderig der Ton der  Gedichte.

Auffällig ist jedoch das Formbewusstsein der Lyrikerin, die mit ihrem Roman Du stirbst nicht Gewinnerin des Buchpreises von 2009 ist: In einem Sonettkranz, dessen barocker Bauweise sie mit Akribie folgt (15 Sonette mit der Wiederholung des jeweils letzten Verses als erstem Vers im folgenden Gedicht, das letzte Sonett zusammengesetzt aus Versen der vorhergehenden Sonette), wird eine ganz und gar aktuelle Problematik zur Sprache gebracht: die Flüchtlingsproblematik, die das Übersetzen („das boot setzt über“) wörtlich nimmt und die konkrete Flucht über das Mittelmeer in den Blick nimmt. Das Konkrete wird nicht verharmlost, es wird vielmehr in den Gedichten diskutiert, ob eine solche Form überhaupt in der Lage ist, das aktuell Politische zu fassen: „sonette oder stanzen nur stillgequälte formen in den bänden,“ dieser Vers benötigte eigentlich ein Fragezeichen. Kathrin Schmidt erreicht so, dass gerade dort, wo sie auf die Tagespolitik eingeht, die Gefahr der Formulierung, die allzu schnell zur Hand ist, gebannt bleibt. Die Sonette begegnen in ihrer Formstrenge der nackten Not der Flüchtlinge. Wem das zu verwegen erscheint, mag sich daran erinnern, dass das Sonett eine beliebte Gedichtform in der kriegssatten Zeit des Barock war.

„metaphern fliehn und lassen deutlichkeiten zurück“, so scheint eine der „Waschprozeduren“ am waschplatz der kühlen dinge auszusehen, zumindest klingt es so, poetologisch leicht zu entziffern, hier an. Gerade an diesem Zusammenfügen des konkreten politisch-gesellschaftlichen Problems mit der selbstreflexiven Verwobenheit des Poetologischen zeigt sich aber auch, dass diese so verschiedenen Dinge auch scheitern können und gelegentlich Stereotypen Platzhalter für bessere Verse werden: „wer hier zu spät kommt, der bestraft. Das leben / muss sich mit weniger zufriedengeben, / wer hier nichts sagt, beschäftigt die gerichte.“

Deutlich wird aber auch, dass hier die Verwendung von Sprache im Gebrauch der Medien verhandelt wird und sich mit der Reichweite der poetischen Sprache messen muss und, verglichen damit, immer weniger Spannbreite und Elastizität aufweist.

Der Gedichtband ist aber nicht in erster Linie politisch. In ihn sind viele Themen und mit den Themen auch sehr unterschiedliche Sprachspiele eingegangen. Beziehungen werden betrachtet, das eigene Ich und seine Sinnlichkeiten, Reisen werden unternommen und Widmungsgedichte geschrieben. Das ist kein Sammelsurium, aber das Vorgehen vereint ein Potpourri unterschiedlicher Schreibanlässe.

verfallen

im unruhigen garten der mohn kopf an kopf,
ein nebliges warten im gießwasser. frisch installiert
die widerborsten der kletten für enkels haar
oder für meins, falls ich ins gras falle. falls ich die falle
der zündschnüre nicht umgehen kann, die der sommer
hier auslegt,

denn hier zeltet die verpflichtung zum zeithaben, zum ausharren.
wenn ich am gestänge rüttle, höre ich nichts. Ich muss
wie toll aussehen und einen strengen winter
um den mund tragen, mein eisiger standpunkt
tritt sehr beherrscht auf und ködert
die temperaturen,

denn hier bleibt den sommer über der waschplatz
der kühlen dinge, die ich mitnehmen will, während im zelt
die schuldigkeit langsam dahingeht, kommt herbst,
kommt rat. womöglich in deiner gestalt, mit händen
wie deinen, die den vergehenden durst zum ende
in luft auflösen.

Das Gedicht mit dem titelgebenden Vers ist so positiv heiter, dass selbst der nahende Herbst nicht die Melancholie ankündigt, die ihm traditionell eigen sein könnte. Hier ist der Herbst die Gewissheit, dass ein Du kommt, das die unmittelbaren Bedürfnisse des Ich zu lesen und zu stillen weiß. Wo gibt es in einem modernen Gedicht eine solche Zuversicht, die aber dennoch nicht kitschig wirkt?

Diese Zuversicht ist jedoch nicht der Tenor des Bandes, der auch vor Schreckensthemen nicht Halt macht, wie der schon erwähnte Sonettkranz zeigt.

Dieser ist nicht der einzige Zyklus im Band. In „allertage“ findet sich ein Wochenzyklus: „montagssachsen“, „dienstagshaken“, „mittwochsstichling“, „donnerstagsnil“, „freitagsschwarz“, „samstagsofen“ und „sonntagskrimi“. Es sind ganz verschiedene Zeitzeichen, von denen „donnerstagsnil“ eindrucksvoll zeigt, wie Sprache die größten Verschiedenheiten verbinden kann:

ich springe zurück, während bücher
aus dem regal in den fluss stürzen.
schließlich bilden sie  inseln für die pharaonen,
färöer, muss ich noch denken, als mir schon kalt wird.
und siehe da: ich sitze mit alten ägyptern
im nordatlantik und warte auf eine fähre zurück
in mein zimmer.
wo hoffentlich immer noch nil ist.

Nicht zuletzt sind die Gedichte auch Erinnerungsprojekte, zumindest diskutieren sie, solche zu sein. „ich gäb fett ins erinnern“ sinniert das Ich, damit sich das Wortgedächtnis entfaltet, in diesem Kontext wird auch die Herkunft ein Thema: „monatelang schlief ich rückwärts, auf kindheit zu“. Die Herkunft, die Wurzel des Lebens, ist insbesondere im Gedicht „wurzelgleiche“ ein Thema, dieses Gedicht ist Robert Schindel gewidmet und lässt an dessen Gedicht und Gedichtband Wundwurzel denken. „wurzelgleiche“ stellt eine Verbindung her zu Schindels jüdischen Wurzeln und ruft die „religionsfregatten“ auf, um festzustellen, sie treibe „wurzelgleiche gewächse“ hervor: „schlomo, shalom. suleiman. salam“, um dann etwas respektlos zu kalauern: „ich selbst mag salami, das schwein grüßt rot aus dem speck“. Eingerahmt sind diese Überlegungen in „kopfschmerz“. Die Wundwurzel wird nicht geheilt, der Schmerz nicht weniger, sondern maßlos. Es ist eine Hommage an den Dichter, der für Schmidt vielleicht ein Vorbild ist, Ähnlichkeiten fallen durchaus auf, die Neologismen, das Aufmerken auf die Körperbegehrlichkeiten des Ich, das Verwirbeln der Worte und der Dinge in einem sinnlichen Spiel der Sprache.

Die Freiheit des Sprechens am waschplatz der kühlen dinge ist im allgegenwärtigen Bild des Flüssigen wie auch in den Bildern der grostesken Entgrenzung präsent. Sie findet sich in Naturbildern ebenso („hab ich den Ausblick gern / der den Himmel auf seine gläsernen Schultern nimmt“) wie in grotesken Körperbildern, die die Welt aufdehnen, die Präsenz von Ich und Du, Innen- und Außenwelt verflüssigen und Zeit und Ort flexibel werden lassen. So können sich Ich und Du nicht mehr selbstverständlich wahrnehmen, sondern müssen begreifen: als ich ans festhalten dachte, / bist du auf und davon.“

So sind auch diese Gedichte, so unterschiedlich ihre Form, so verschieden auch ihr Blick auf die Welt: Oft ist er schmerzhaft, immer aber auf diejenigen gerichtet, die mehr vermögen als das eigene Ich: in der Erinnerung, in der Erweiterung des Blicks in den Naturraum vor allem des Wassers und der Lüfte. So wird diese Sprache zum waschplatz der kühlen dinge, sie verwandelnd in Prozeduren des Verflüssigens der Unterschiede. So werden aus scheinbar festen Differenzen überraschende Verschiedenheiten.

Titelbild

Kathrin Schmidt: Waschplatz der kühlen dinge. Gedichte.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018.
93 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783462050912

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