Arno Schmidt? Zettels Traum?!? Um Gotteswillen!

Protokoll eines gescheiterten Überredungsversuches

Von Peter KockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Kock und Björn ZiegertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Björn Ziegert

Hallo B*,

seit geraumer Zeit liege ich Dir ja in den Ohren damit, es mal mit Arno Schmidt zu versuchen, der der prägende Autor meiner jungen Jahre war. 1968 habe ich ihn, als Unterprimaner, entdeckt und in rascher Folge alles von ihm gelesen, was bis dahin erschienen war. So bestellte ich mir mit Kaff (1960), das noch nicht als Taschenbuch erschienen war, mein erstes Hardcover; das war acht Jahre später (!) noch als Erstausgabe lieferbar, lag also offenbar wie Blei in den Regalen der Buchläden. Arno Schmidt notierte später grimmig, dass es ja auch keine geringe Leistung sei, Jahr für Jahr den Worstseller zu liefern.

Das sollte sich zwei Jahre später ändern, mit dem Hype um Zettel’s Traum, das 1970 erschien. Dieses Monsterbuch überlagert bis heute den Namen seines Autors: „Arno Schmidt? Ist das nicht dieser arrogante Schrat aus der Lüneburger Heide? Der mit so unlesbaren Riesenbüchern?“ – das ist eigentlich bis heute die Reaktion durchaus literarisch interessierter Zeitgenossen, wenn die Rede auf Schmidt kommt. Ich konnte mir damals, zu Beginn des Studiums, das Buch nicht leisten und habe mich an die beiden, bis Schmidts Tod 1979 noch folgenden Typoskriptbände gehalten, die auch deutlich lesbarer sind. Erst Jahrzehnte später habe ich dann die Lektüre aufgenommen und nach weiteren Jahren im letzen Frühjahr abgeschlossen (vgl. literaturkritik.de).

Nun hat sich die Arno-Schmidt-Stiftung entschlossen, ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen des Monstrums, eine Leseausgabe zu veröffentlichen. Der Herausgeber Bernd Rauschenbach, der Arno Schmidt noch persönlich erlebt hat, schreibt, es ginge darum, den Erzählbogen und die „Erzählkerne“ aus den rund 1500 DIN-A-3-Seiten herauszuarbeiten, sie auf rund 200 Normalseiten einzudampfen, unter Verzicht auf die berüchtigte Dreispalten-Technik des Originals, und vor allem die Material- und Zitatenfülle, insbesondere aus den Werken Edgar Allan Poes, um dessen Psycho-Anal-yse es ja in dem Buch mit seiner abstrusen, zumindest überzogenen „Etym“-Theorie vorwiegend geht, rigide wegzustreichen.

Das, was jetzt hier vorliegt, dürfte einem halben oder bestenfalls einem Prozent der gesamten Textmasse entsprechen. Susanne Fischer, die mit kühner Hand die Auswahl getroffen hat, gibt in ihren gelegentlich ironischen Überleitungen zu erkennen, dass das „überaus dozierende“ Wesen des Ich-Erzählers einem als Leser mächtig auf den Geist gehen kann; der FAZ-Rezensent Tilman Spreckelsen spricht von „geradezu ranzigen Passagen“ des Werks, was noch zurückhaltend formuliert ist. Ich glaube, man muss das Buch durchgängig gegen den Strich lesen. Es vermittelt aber genügend Einsichten in die Denk- und Schreibweisen Arno Schmidts und ist streckenweise wirklich witzig, so dass ich mich dann doch traue, Dir die Lektüre zu empfehlen.

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P*,

es ist, gelinde gesagt, eine Unverfrorenheit, mir so ein Buch zu empfehlen. Du weißt, wie sehr ich schon Joyce verabscheut habe. Und nun weitere Stunden des Lesens, die ich nur als schmerzhaft beschreiben kann.

Der Reihe nach:

Die „Lesebuch“-Ausgabe von Zettel‘s Traum scheint durchaus gelungen. Das Vorwort und die Einleitungen in die Kapitel sind hilfreich, die angehängten Materialien vielfältig – das Essay über Poe, vier von Schmidt übersetzte Poe-Gedichte, Interview, Erläuterungen und ein kurzer Brief von Schmidts Frau. Und das Klappcover mit dem originalen Typoskript auf der Innenseite ist eine schöne Idee. Ohne je zuvor ein Wort von Arno Schmidt gelesen zu haben, scheint mir Zettel‘s Traum nun recht vertraut. Insofern bin ich dankbar für den Einblick in eine doch sehr reiche Welt. Die analytische Tiefe, die vielen Schichten von Literatur und Sprache sind beeindruckend – auch wenn Schmidt in seinen Belehrungen elitär und, ja, unangenehm wirkt.

„120.000 Zettel“ also hat Schmidt gesammelt und aneinandergefügt. Und man spürt es. Die Sätze klingen gestückelt, zerhackt. Dazu ist eine Fülle von / „Satzz:eiche=n : !) in den Text gestreut. Sie wirken wie Glasscherben, die den Lesefluss unterbinden, und auf immer neue Bedeutungen und Aspekte hinweisen. Niemand soll überlesen, was Schmidt – diese „Ausnahmenatur“, wie er sich im abgedruckten Interview bezeichnet – aus der Sprache genagt hat. Und wer es wagt, bei so viel Größe auch nur einmal zu blinzeln, dem soll das Glas die Augen zerschneiden.

Was genau gefällt Dir an Zettel‘s Traum? Ich suche Gutes, und finde nur die kopflastigen Ausführungen eines Freud-Hörigen.

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Oha, B*, oder, wie man in meiner sonst eher wortkargen Heimat im Norden gern sagt: Ohauahauaha! Da bin ich ja noch mal knapp daran vorbeigeschrammt, dass Du wieder zum Sie übergehst!

Aber im Ernst, wenn Du schon fragst: Zettel’s Traum, als Buch und als „Projekt“ gewissermaßen, gefällt mir überhaupt nicht! Was mir gefällt, ist das zutiefst Widerborstige, ja Renitente an Schmidts Prosa, seine, um Dich zu zitieren, glasscherbenartige Art zu schreiben. Das fängt mit der Aufrauhung der sprachlichen Oberfläche an; kaum ein Wort ist ja wie ‚normal‘ geschrieben. Und natürlich nervt es zwar schnell, wenn Fouqué, über den Schmidt eine Biographie verfasst hat, „Fucké“ geschrieben wird und irgendwo ein „Fucktum“ festgehalten wird, womit Schmidt eben nicht ein „pornographisches Lachkabinett“ entwirft, sondern eher ein spätpubertäres Dauergezote betreibt. Aber wenn beispielsweise „hastig“ in passenden Zusammenhängen als „haßDich“ auftaucht und so eine Nebenbedeutung transportiert – oder nehmen wir nur mal die schöne Beschreibung, als der Ich-Erzähler unter einem Stacheldrahtzaun durchklettert und sich dabei als nicht nur „steiff“ bezeichnet (Nebenbedeutung: wie ein solches PuppenTier!), sondern auch als „alt + knieknakkIch“: also dieses Knirschen der Knie kenne ich gut! Und die vierfache Krümmung der kleinen „k“s und ihrer spitzigen Diagonalstriche – „knieknakkigk“ wäre auch denkbar! – veranschaulichen gleichsam die Mühsal des sich Hochrekelns.

Und es sind nicht nur solche Neologismen, diese Aufspaltung und Neuzusammensetzung der Wörter, es sind auch die Sprachbilder, für die er zu Recht schon früh berühmt war. Günter Grass hat als Laudator bei einer Preisverleihung an Schmidt 1964 besonders dessen Metaphorik gewürdigt. Wenn man eine Seite von Schmidts Prosa neben die zur gleichen Zeit entstandenen Arbeiten von Grass, Böll, Lenz hält, sieht man sofort den Unterschied: ein gemütliches Hineinsinken in Schmidts Prosa ist eben wegen der Glasscherben nicht möglich! Und es gibt wunderbare Naturbilder, wenn er etwa die Landschaft bei aufkommendem Gewitter beschreibt: „Zackijer GrauRausch (…) WeizGelb; BleiGeister (…) Das Düstergrün der Eichenkuppeln“. Und überhaupt die Zartheit, die der Ich-Erzähler der Flora und Fauna, den Blumen und den „Kühleins“ (den Menschen deutlich weniger!) entgegenbringt. Dän beruhigt einmal einen bellenden Hund -: „Er befliß sich bereits des Wedelns. Und nickte dann, daß ihm die Ohren wakkeltn.“ Und angesichts „1 Kornblume“ am Wegesrand denkt sich der Erzähler: „die werden áuch immer seltener!; man kann sagn was man will : der Kosmos geht zurück!“ Das ist, möchte ich doch meinen, heute von verschärfter Aktualität.

Was mir noch gefällt, ist die Selbstironie, wenn Dän seine „Etymtheorie“ nicht als „Lehrgebäude“ bezeichnet wissen will, sondern höchstens als „Gartenhäuschen“ nach dem Motto, „Alles was man schreibt, ist zumindest ein bißchen wahr.“ Und wir können uns sicher schnell darauf einigen, dass die Theorie, die das Buch dominiert, überzogen, fehlerhaft, grotesk ist und seine Materialmenge erdrückend und nicht aufhellend wirkt. Lange Strecken lesen sich wie eine Selbstparodie!

Du billigst Schmidt ja „eine doch sehr reiche Welt“ und „analytische Tiefe“ zu, so weit würde ich gar nicht gehen wollen. Schmidt selbst hat ja empfohlen, nur das IV. und das VII. Buch mit den Verwandlungsszenen zu lesen, also das Ganze wie einen Steinbruch zu behandeln. Es ist aufschlussreich, dass Frau Fischer diese Szenen erwähnt, aber nicht aufnimmt: sie bilden in der Tat nur eine Verdopplung, wenn nicht Vervielfachung seines Zotenraums! Und, wenn wir gerade dabei sind, diese Ausgabe ist sicher verdienstvoll und verschafft einen guten Überblick darüber, worum es in dem Buch geht und dass Schmidt das, was er macht, mit großem Ernst betreibt. Aber der Handlungskern, von dem die Herausgeber sprechen, ist einfach haarsträubend: So „unrealistisch“ das gefühlt tausendfache Demütigen, Niedermachen, Bekritteln der Tochter durch die Mutter wirkt (ich habe ja den ganzen ZT durchgeackert), so wenig glaubhaft, ja abstoßend wirkt das permanente Sich-Anbiedern und Anschmachten des Erzählers durch die 38 Jahre jüngere Tochter – eine Altherrenphantasie, die einen als Leser peinlich berührt (wie erst als Leserin!).

Könnten wir ZT als Produkt eines sprachlich hochproduktiven, überschießenden Geistes sehen, der sich in seinem eigenen Gedankengebäude verfängt, um sich schlägt und letztlich nur, ja, Scherben hinterlässt? Unter denen sich eben auch Perlen finden lassen?

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P*, bei Gelegenheit sollten wir den Begriff „wunderbare Naturbilder“ etwas enger fassen. Deine Beispiele scheinen mir damit nicht optimal beschrieben. Halten wir fürs erste fest, dass Freude an experimenteller Sprache eine Bedingung zu sein scheint, um sich Schmidt ohne Unzufriedenheit zu nähern. Mir selbst ist diese Freude nicht zu eigen. Und die Worte, die ich beim Lesen gezischelt habe, vermag ich nicht zu verschriftlichen.

Ein Wort zu der Etym-Theorie, der vierten Instanz, die den Freudschen Dreiklang vervollständigen soll, und die Du „überzogen, fehlerhaft, grotesk“ nennst. Die meisten Bewunderer Freuds werden seine originalen Schriften nie gelesen haben. Anders ist der Zuspruch kaum zu erklären. Jenseits von Freuds – allerdings nicht zu überschätzenden – Enttabuisierung von Sexualität findet sich wenig Tiefgang. Die Anziehung liegt wohl in der Erregung, die Menschen meinen, nun endlich spüren zu dürfen, und in der Geschlossenheit und inneren Stimmigkeit von Freuds Theorie, die so viel Sicherheit vermittelt. Zwischen diesen beiden Polen pendelt auch Schmidt. Und an seinen Formulierungen („Freuds Untersuchungen …… haben ja nachgewiesen …“) ist abzulesen, wie fest sein Glaube ist. In dem im Buch enthaltenen Essay über E.A. Poe – dessen überholte biographische Merkwürdigkeiten ich dem Entstehungszeitraum der 60er Jahre zuschreiben will – meint Schmidt nun, sexuelle Motive zu finden, die mehr über ihn selbst erzählen, als über Poe. Auch ist seine Wortwahl dergestalt, dass man versucht ist, ihm mehr Leichtigkeit zu wünschen. Es klingt hart und befremdet, wenn „Sexualität einer der massivst=stählernen Triebfedern unseres ganzen Wesens“ sein soll. Und wenn das „üblich=normale … die Ineinanderschiebung der Geschlechtsteile“ wäre, könnten wir sicher alle ein Schuss Gefühl gut gebrauchen. Schmidts Übertragung der Freudschen Denkfolie auf die Sprache – zum Beispiel das ständige Bohren nach sexuellen Nebenbedeutungen der Worte – wirkt gewollt und mechanisch. Zettel‘s Traum ist das Bemühen, in der Sprache zu finden, was Schmidt in sich selbst beobachtet. Welchen Anteil seine inneren Dunkelgründe haben und welchen Anteil die Trauer darüber, dass ihm „durch das Klimakterium seine stärkste Waffe langsam entzogen wird“, mag ich nicht beurteilen. Aber die von Dir genannte „Selbstironie“ verkleidet nur ungenügend die Bitterkeit und die Empörung darüber, dass einem Künstler, der „Zeit seines Lebens … etwa das 5=fache eines Normalen gesehen, und sich auch 3=mal soviel davon gemerkt“ hat, offensichtlich nicht die Vergottung winkt.

Also nicht „überzogen, fehlerhaft“. Sondern ein menschliches Defizit und dessen vermeintliches Gegengewicht. Es ist das Psychogramm eines Mannes, der aus Befremden über sich selbst einen inneren Olymp geschaffen hat. Einen hohen Berg diesseits des Gartenzaunes in der Lüneburger Heide.

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Lieber B*,

da wären wir ja mitten in einer schönen kleinen Diskussion über Freud – wäre ja nicht das Schlechteste, wenn ZT auch noch dazu anregt! Den alten Herrn sehe ich allerdings deutlich positiver als Du, in erster und auch noch zweiter Linie als wirklichen Bahnbrecher, der fast im Alleingang aus dem Kern des Bürgertums heraus, könnte man vergröbernd sagen, die verdrängten und dunklen Teile unseres Seelenlebens analysiert hat. Dass wir heute, ein Jahrhundert später, nicht mehr den Impetus des Sumpfaustrocknens teilen (wie es in dem programmatisch-erhabenen „Wo Es war, soll Ich werden“ zum Ausdruck kommt), ist deutlich, vor allem erkennen wir den übermächtigen Drang zur geschlossenen Systembildung als Schwäche. Ich habe Ende der 60er Jahre alle damals publizierten Freud-Taschenbücher studiert, also zur selben Zeit wie Schmidts Arbeiten, und finde in meiner zerbrochenen Ausgabe der „Traumdeutung“ anlässlich der Beschreibung der „Mechanismen“ der „Traumarbeit“ (allein diese mitunter ingenieurhafte Sprache!) angestrichen, was mich schon damals leicht irritiert hat: „Die Umkehrung, Verwandlung ins Gegenteil, ist übrigens eines der beliebtesten, der vielseitigsten Verwendung fähigen Darstellungsmittel der Traumarbeit. (…) Man darf darum, wenn ein Traum seinen Sinn hartnäckig verweigert, jedesmal den Versuch der Umkehrung mit bestimmten Stücken seines manifesten Inhaltes wagen, worauf nicht selten alles sofort klar wird.“

Darin steckt schon die ganze Schmidtsche Methodik! Man nimmt einfach das Gegenteil des Gemeinten, wischt den Widerspruch des Analysanten beiseite, und schon hat man das gewünschte Ergebnis. Kein Zufall, dass Schmidt immer gern Freuds trockenen Konter auf das Beteuern eines Patienten zitiert, ein Traum sexuellen Inhalts meine keinesfalls seine Mutter: „Also war es die Mutter!“ Ich erinnere mich noch gut, welche Empörung in mir Freuds kalte Beschreibung der „Mechanismen“ der „Trauerarbeit“ auslöste, als meine Frau Irit gestorben war und ich nach Klarheit suchte, was Trauer eigentlich ist: „Die Realitätsprüfung (…) erläßt nun die Aufforderung, alle Libido aus ihren Verknüpfungen mit diesem Objekt abzuziehen.“ Warum diese „Lösung der Libido (…) so außerordentlich schmerzhaft ist, läßt sich in ökonomischer Begründung gar nicht leicht angeben.“ Diesen Überschuss, dieses Überwältigende der Gefühle kann Freud nicht in sein Raster der ökonomischen Triebenergieverschiebung pressen, gibt das aber wenigstens zu!

In Zettel’s Traum wird das Freudsche Diktum positiv zitiert, in dem sein ganzer Klassenhabitus aufscheint: „das Gesindel lebt sich aus, und Wir entbehren!“ Schmidts Ich-Erzähler radikalisiert dieses Motto noch, als er dem jungen Mädchen eine Widmung ins Buch schreibt: „Der Pöbl lebt sich aus. Wir wolln uns tot arbeitn.“ Beides prägt und vergiftet, leider!, den ganzen Buchklotz. Es sind nicht nur einzelne „ranzige“ Ansichten über Frauen, die man dort findet, das komplette Opus ist von Ressentiment gegens „Ausleben“ einfacher Leute, gern auch von „Gammlern“, wie der Ich-Erzähler die jungen Studenten nennt, zu schweigen von Südländern aller Art durchtränkt – was allen Arno-Schmidt-Anhängern heute nur noch zutiefst peinlich ist. Und es spricht für die Herausgeber, dass sie den Brief von Schmidts Frau in das Lesebuch aufnehmen, in dem sie beklagt, dass ihr Mann über Zettel’s Traum alle Beziehungen abgebrochen hat und danach ein Wrack war. Damit lässt sich dieses Buch aber auch als Zeugnis einer Selbstzerstörung lesen, als erschütternde Tragödie, die die Wut der Leserin oder des Lesers dann doch wieder abmildert. Der Versuch der Selbstvergötterung, wie Du es nennst, steht doch in seiner ganzen Kärglichkeit vor uns. Und es spricht für Schmidts Ehrlichkeit, dass er in seiner Selbstentblößung sehr weit geht, sich uns LeserInnen, sofern wir durchhalten, ausliefert.

Es scheint also nicht schwer, dass windschiefe „Gartenhäuschen“, das er an das große Gebäude der Freudschen Theorie ankleben wollte, auseinander zu pusten. Dass er leider nicht, „in jeglicher Hinsicht, nun humaner & großzügijer denkn“ (S. 169) konnte, wie er sich das gewünscht hat, erfüllt mich fast mit Traurigkeit – dann aber stoße ich auf Formulierungen wie „wenn die Welt ein Schuh wäre, möchte ich sagn, Du habest bisher nur das Oberleder davon gesehen“. Oder wenn der dozierende Ich-Erzähler von seinen Freunden nach dem lateinischen Wort für „Gänsehaut“ gefragt wird, keine Antwort weiß und improvisiert „Die Altn Römer ? – : Die kannten sowas gar nich : Die hatten überhaupt kein Wort dafür !“ Das verrät einen Esprit, eine Situationskomik und einen Formulierungswitz, der seinesgleichen sucht und der aus dem Gefängnis Zettel’s Traum gleichsam herausstrebt.

Aber ich sehe ein, es war ein schwerer Fehler, Dir den späten Arno Schmidt als Pseudo-Gott im Eigen-Knast zu empfehlen. Alles, was er in dem langen Jahrzehnt zwischen seinem Erstling Leviathan (1949) und Kaff (1960) publiziert hat, wird Bestand haben: da gibt es drastische Beschreibungen des Flüchtlingselends, finstere Dystopien über einen drohenden dritten Weltkrieg, zarte Liebesgeschichten, antikisierende Erzählungen und heitere Capriccios. Und ich will mich jetzt nicht als „Schuhexperte“ der 50er, 60er Jahre aufspielen, wenn ich behaupte, sein Esprit und seine Wut richteten sich damals gegen das ideologische Klima, in dem eine erzkonservative CDU im Bündnis mit Klerus, Kalten Kriegern und gestützt auf Ex-Nazis die Wiederbewaffnung betrieb, Frauen noch die Erlaubnis ihrer Männer zum Arbeiten brauchten und und und – was dann in der 68er Bewegung aufbrach, das hatte ein unabhängiger Geist wie Arno Schmidt mit vorbereitet, was er überhaupt nicht kapiert hat, weil er schon auf dem Weg in seinen selbstgebauten Knast war.

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P*,

nach der Mondlandung geboren zu sein, heißt sicher, dass ich ‘68 voraussetze. Und dass mir das Ringen darum weniger bahnbrechend vorkommt. Auch mein Bild von Freud hätte zu anderen Zeiten wohl nicht so ausgesehen – obwohl Dein Begriff des „Alleingangs“ eines ernsten Gespräches bedarf.

Lass mich abschließend auf einen Punkt im Vorwort zu sprechen kommen: auf die Einschätzung, Zettel‘s Traum „dürfe sich ‚zwischen Joyce und Proust niederlassen‘“. Was die drei eint, ist das Streben nach eigener Größe. Doch sie unterscheiden sich im Herangehen: Joyce hadert mit dem Vater, dem Alkohol, der Kirche – und der Religion, deren Wesen er nicht versteht. Also bastelt er im Ulysses dieses sakrale Zitate-Puzzle, eine fiktive Spur, als hätte er alles von dem ‚Geheimnis‘ verstanden. Als sei er so besonders, dass sich ganze Generationen mit ihm beschäftigen müssten. Und alles nur, um zu verschleiern, was er nicht weiß, und wie sehr ihm jeder Selbstwert fehlt.

Arno Schmidt ist befremdet von eigenen Wesensteilen, die er vom Kopfe her zu begreifen sucht. Und sein Kopf wird größer und größer, bis er mit Zettel‘s Traum etwas schafft, das dann aber ganz sicher als Avantgarde gilt. Seine Einschätzung, „es werde keine zwei= oder dreitausend Jahre mehr dauern“, bis sich die Dreispaltigkeit von Zettel‘s Traum durchsetzt, lässt hinter der Ironie eine ähnliche Melange aus Hybris und Minderwertigkeit vermuten. Proust schließlich beginnt bei sich, bleibt bändeweise bei sich und endet bei sich. In Vollendung badet er in einem Meer aus sich selbst.

Alle drei schauen nach innen. Wer sich darin wiederfindet, mag die Lektüre schätzen, doch weit geht der Blick nicht – zumal, wenn nur Freud dieses Innere erhellt. Freuds „großes Gebäude“, wie Du schreibst, ist nicht für jeden groß. Der Materialismus, der Unfug in seinen kulturtheoretischen Schriften und sein Bild der menschlichen Psyche sind nicht alternativlos. Und die Unbedingtheit, mit der Freud seine Methode bewahrt sehen wollte, erinnert an die Selbstüberhöhung bei Joyce, Proust und Schmidt. So scheint mir doch eher Gartenhäuschen an Gartenhäuschen zu lehnen – in der Laubenkolonie der blasierten Denker.

Mit Dank – doch in Maßen. Und den besten Grüßen.

B*