Über Grenzen hinweg
Ein Blick auf die „Wirtschafts- und Sozialgeschichte Westeuropas seit 1945“
Von Stephan Hieronymus und Marie-Fabienne Walk
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVon verfeindeten Nationen zu europäischen Partnern: Manuel Schramm setzt sich in seinem neuesten Werk das Ziel, die westeuropäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte seit 1945 in einem Überblick darzustellen. Der promovierte Historiker zählt Konsum-, Wissens- und Umweltgeschichte zu seinen Forschungsschwerpunkten. Die Tatsache, dass in diesen Forschungsbereichen bisher fast ausschließlich Publikationen mit einem regionalen oder nationalen Fokus erschienen sind, nimmt er zum Anlass, ein umfassendes Werk auszuarbeiten, das diese Lücke schließen soll. Dabei möchte er in erster Linie ein Überblickswerk für Studierende schaffen, welches – in drei Zeitabschnitte (1945–1950; 1950–1970; 1970–2000) untergliedert – wirtschaftliche, soziale und politische Perspektiven Westeuropa betreffend anhand zahlreicher Einzelkapitel aufgreift. Als Grundlage für letztere dienen unter anderem statistische Daten des Bundesarchivs, der Europäischen Kommission, aber auch Abbildungen aus der Datenbank Wikimedia Commons. Jedes Kapitel schließt mit weiterführenden Literaturempfehlungen, ein abschließendes Quellen- und Literaturverzeichnis fehlt. Der kurze zeitliche Abstand zum Untersuchungszeitraum, der Umfang des Themas und die Tatsache, dass es sich bei den zu vergleichenden Nationen sowohl um föderalistisch als auch um zentralistisch geprägte Länder handelt, machen das Werk insgesamt zu keinem einfachen Unterfangen, wenngleich die Thematik in Zeiten der Globalisierung und Bedeutsamkeit gemeinsamen europäischen Handelns passend daherkommt.
Der erste Zeitabschnitt wird mit der unmittelbaren Nachkriegszeit eingeleitet. Hinsichtlich der sozial-politischen Umstände betrachtet er u.a. die Entnazifizierung seitens der Alliierten. Den aktuellen Forschungsstand resümierend schließt er mit der Feststellung, dass der parteiübergreifende Nachkriegskonsens im Westen Europas entgegen früherer Forschungen nicht bis in die Siebzigerjahre andauerte, sondern vielmehr bereits Ende der Vierzigerjahre beendet war. Den zweiten Zeitabschnitt widmet Schramm dem von ihm so genannten „Zeitalter des Massenkonsums“ (1950–70), indem er den nun einsetzenden „Wirtschaftsboom“ mit der wachsenden Massenkonsumgesellschaft begründet. Der Autor betrachtet dabei das „Wirtschaftswunder“ als westeuropäisches, wenn nicht sogar als weltweites Phänomen. Aus der sozialen Perspektive diskutiert Schramm die neue Bildungspolitik, den sich entwickelnden Sozialstaat, die Migrationsbewegung der 1950/60er Jahre, die geschlechtsspezifische neue Rollenverteilung sowie den Rückgang der Religiosität. Bezüglich der Entwicklung im Bildungssektor kommt er zu dem Schluss, dass es sich um einen „mehrdimensionalen Prozess, der Bildung letztlich zum Massenkonsumgut mache“, handele. Aus politischer Warte begreift der Autor diesen Zeitabschnitt besonders prägnant: Er diagnostiziert – ähnlich wie bei Unternehmen – eine zunehmende Orientierung der Parteien am Marktgeschehen, d.h. am Konsumentenverhalten. Über die Umweltverschmutzung der 1950er und 1960er Jahre, die in dieser Zeit kaum in der Politik diskutiert wurde, wird der Bogen zum dritten großen Zeitabschnitt geschlagen. Dieser beschäftigt sich mit dem „Zeitalter der Globalisierung“ und untersucht die Zeit von 1970 bis 2000. Zentrales Thema ist auch hier wieder der Konsum. Weitere für den Autor wichtige Themen im Rahmen der Globalisierung sind der Sozialstaat, der Streik als neues öffentliches Druckmittel, politischer Terrorismus, die Bildungspolitik im Hinblick auf die Hochschulexpansion und den Bologna-Prozess, die Umwelt- sowie Innen- und Außenpolitik.
Schramm versprach in seiner Einleitung, ein Überblickswerk zu schaffen, welches Studierenden einen umfassenden Einblick in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Westeuropas seit 1945 ermöglichen soll. Seinem Anspruch wird er mit diesem gelungenen Einstiegswerk vollkommen gerecht. Das Leseerlebnis wird auch nicht dadurch geschmälert, dass die Auswahl der Untersuchungsaspekte, wie z.B. die Auflistung der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, an einigen Stellen beliebig wirkt. Auf einen Anmerkungsapparat wird der Gattung entsprechend verzichtet – eine Übersicht über die wichtigsten verwendeten Quellen und Archive wäre aus studentischer Sicht jedoch für eine mögliche zweite Auflage hinsichtlich der eigenen Weiterarbeit wünschenswert.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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