Die Nähe des fernen Fremden

Tobias M. Schwaiger untersucht, wie die Science in die Fiction kommt

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

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Ein Raumschiff tanzt im Weltraum, dazu die Klänge von Johann Strauß’ Donauwalzer. Wir beobachten ein Medium im Film. Mit der Musik stimmt die sogenannte Atmo, das Tonmilieu des Films, Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssee. Doch dann ein Schnitt, die Kamera ist jetzt im Cockpit des Raumschiffs, und wir stellen fest, dass die Astronauten das Stück hören, das auch wir hören. Der Film reflektiert durch diese transmediale Täuschung nicht nur seine eigene Medialität, er zeigt auch die Schnittstellen und Grenzen medialer Beobachtung und medialer Darstellung, die Nähe des fernen Fremden.

Das erfordert im Science-Fiction-Film besondere Aufmerksamkeit, da er versucht, das zu beobachten und darzustellen, was noch nicht – oder vielleicht gar nicht – beobachtbar und darstellbar ist, „Science-Fiction“ nämlich in der Konstellation von wissenschaftstheoretischen Entwürfen in filmischer Fiktion. Gerade Kubricks Film bietet sich für Tobias M. Schwaigers Untersuchung Darstellungen des Unbeobachtbaren. Eckpunkte einer Medientheorie des Science-Fiction-Films an. 2001 wurde ja nicht zuletzt deshalb legendär, weil er vor der ersten bemannten Mondlandung technische Requisiten der Raumfahrt inszenierte, auf die spätere Filme vom Star Trek-Epos und den Alien-Filmen über Blade Runner bis Interstellar immer wieder Bezug nahmen: Das Pad im übergroßen Handyformat, die Frucht-Smoothies zum Astronautenfrühstück, die Raumfähren.

Schwaigers Interesse ist ein medientheoretisches. Es richtet sich auf die Frage, wie das Unbeobachtbare im Science-Fiction-Film zur Darstellung kommt und welche Folgen das für den Status des Mediums – der „Fiction“ – und für den Status des Dargestellten – also der „Science“ in der Fiktion – hat. Anders ausgedrückt, wird der Prozess wissenschaftlicher Beobachtung im Science-Fiction-Film simuliert. Der Film formuliere, so Schweiger, eine Medientheorie, die sich als Wissenschaftstheorie tarnt. Dabei gilt die Unterscheidung: Wissenschaftstheorie hat ihren Gegenstand zur Beobachtung, Medientheorie aber zur Darstellung.

Es ist hier nicht der Ort, das medientheoretische Fundament nachzuzeichnen, auf dem Schwaigers Studie aufbaut. Es geht um Objektivismus und Konstruktivismus, um die Frage, ob das Nichtbeobachtbare im Film seine Funktion als Fenster, durch das man auf eine unsichtbare Wirklichkeit schaut, oder als Rahmen, der die Verfasstheit und Künstlichkeit futuristischer Welten ausstellt, spiegelt. Der Autor hat Niklas Luhmann und dessen Schüler gelesen – und er hat das auf eine so erhellende, ja innovative Weise getan, dass man besonders in den exemplarischen Analysen von 2001: Odyssee im Weltraum (1968), Contact (Robert Zemeckis, USA 1997), Event Horizon (Paul W.S. Anderson, USA 1997), Donnie Darko (Richard Kelly, USA 2001), Solaris (Steven Soderbergh, USA 2002) und Interstellar (Christopher Nolan, USA 2014) auf seine Kosten kommt. Die Studie, die als Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegt wurde, hat das Zeug, medientheoretisch und filmhistorisch ausgeweitet zu werden.

Titelbild

Tobias M. Schwaiger: Darstellungen des Unbeobachtbaren. Eckpunkte einer Medientheorie des Science-Fiction-Films.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2019.
226 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783826066207

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