Geiseln ihrer Vergangenheit

In Roger Smiths Roman „Mann am Boden“ gibt es niemanden, der ohne Schuld ist

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einmal falsch abgebogen auf der Straße des Lebens – und schon führt kein Weg mehr herunter von der schiefen Bahn. Nach diesem Schema funktionieren fast alle Geschichten, die der 1960 in Johannesburg geborene Roger Smith bisher in seinen Thrillern erzählt hat. Die meisten davon spielen in Südafrika. Erst in jüngster Zeit hat der Autor – der zuletzt auch unter zwei Pseudonymen veröffentlichte und mittlerweile in Thailand lebt – andere Schauplätze für sich entdeckt. Mann am Boden, im Original 2014 erschienen, spielt auf der Gegenwartsebene im Süden der USA, wohin sich sein Held, John Turner, vor zehn Jahren mit seiner Frau Tanya aus seiner südafrikanischen Heimat abgesetzt hat. Letztere ist in den zahlreich in den Roman eingebauten Rückblenden aber nach wie vor präsent.

Als erfolgreicher Unternehmer und Familienvater begegnet Turner dem Leser, wenn Smiths Roman beginnt. Der Importeur eines automatischen Poolreinigers, den er billig in Südafrika produzieren lässt und der es dank geschickt platzierter Werbung zu ansehnlichen Verkaufszahlen im nordamerikanischen Südwesten gebracht hat, hat binnen kurzer Zeit ein kleines Vermögen angehäuft. Haus und überdimensionaler Swimmingpool, teure Autos und eine Angestellte, die gleichzeitig seine Geliebte ist – kein Statussymbol fehlt dem Mann, der sich trotzdem nach einem anderen Leben zu sehnen scheint. Die Ehe mit der Anwältin Tanya existiert längst nur noch pro forma. Sein Traum, Schriftsteller zu werden – „Denis Johnson trifft Charles Bukowski trifft Hunter S. Thompson“ – wird wohl für immer Traum bleiben. Und gegen die Gespenster seiner Vergangenheit auf dem afrikanischen Kontinent kämpft er erfolglos mit Drogen und Alkohol an.

Wenn eines Tages plötzlich drei Männer in das Anwesen der Turners in Tucson/Arizona eindringen, John, Tanya und ihre kleine Tochter mit brutaler Gewalt zu Geiseln machen und offenbar mehr wollen als nur Geld und Wertsachen, zerbricht der falsche amerikanische Traum, in dem die Familie für eine Weile gelebt hat, augenblicklich. Nach und nach kommen all jene Dinge wieder ans Licht, aufgrund derer man Johannesburg ein Jahrzehnt vorher schnellstmöglich verlassen musste. Davon, dass jemand aus dieser Vergangenheit immer noch im Kontakt mit John Turner steht, ahnt dessen Ehefrau freilich vorerst nichts. Bis sie entdeckt, dass der Anführer des brutalen Trios ein alter Bekannter ihres Mannes ist. Was sie auf die folgenschwere Idee bringt, dass allein sie es ist, die hier zum Opfer eines abgekarteten Spiels gemacht werden soll.

Roger Smith erzählt, was in nicht mehr als ein paar Stunden im Hause der Turners geschieht, in einem atemberaubenden Tempo. Es ist eine sich bis ins fast Unerträgliche steigernde Gewaltspirale, die der Roman in Szene setzt. Dass das nichts für jene sprichwörtlich „zarten Gemüter“ ist, die sich nur gelegentlich in einen Thriller verirren, um dann Seite für Seite zu hoffen, am Ende werde „das Gute“ schon irgendwie siegen, ahnt man bereits nach ein paar wenigen der 66 auf fünf Buchabschnitte verteilten, kurzen Kapitel. Doch auch für Leser, die glauben, von nichts mehr schockiert werden zu können, was da an Gewalt in fiktiven Texten auf sie zukommt, dürfte die Lektüre des Romans nicht leicht sein. Vielleicht ist es in Mann am Boden sogar etwas zu viel an ungefilterter Brutalität, der sich der Leser ausgesetzt findet, hätte es Smith diesmal hier und da auch mit ein paar weniger drastischen Andeutungen gut sein lassen können. Allerdings beharrt der Autor, in Interviews immer wieder befragt nach der Rolle von Gewalt in seinen Büchern, hartnäckig darauf, diese komme nur deshalb so ungeschminkt vor, weil sie auch einen großen Teil der von ihm zu Literatur gemachten Wirklichkeit bestimme – und dem lässt sich nur schwer widersprechen.

Dass Roger Smith auch in seinem neunten auf Deutsch veröffentlichten Roman nicht von dem Trauma eines sich rasant in einen Selbstbedienungsladen für die jeweils Herrschenden entwickelnden Post-Apartheid-Südafrika loskommt, zeigen jene Kapitel, in denen die Vorgeschichte John Turners erzählt wird, der sich in Johannesburg, um sein Leben als kleiner Drogendealer zu retten, in die Abhängigkeit von einem weißen Polizisten begeben musste. Dieser so zynische wie abgebrühte Cop namens Bekker nutzt die sich verändernde Wirklichkeit in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts schamlos für seine eigenen Interessen aus. Allein der Plan, die Enkelin eines jener in der neuen Zeit zu Macht, Geld und Ansehen gekommenen Männer der Antiapartheid-Bewegung zu kidnappen, um Geld von deren reichem Großvater zu erpressen – gemeinsam gefasst mit dem korrupten Stiefvater des Mädchens –, endet in einem blutigen Desaster.

Nur seiner taffen, entschlossenen und für ihn mitdenkenden Frau hat es Turner letzten Endes zu verdanken, dass man Südafrika hinter sich lässt und in einem Land, das Tanya hasst, ein neues Leben beginnt. Doch während aus dem charakterlich labilen Drogendealer der angesehene Geschäftsmann wird, sorgt die einmal auf sich geladene Schuld dafür, dass die Turners auch in ihrem neuen Leben nicht zur Ruhe kommen. Bis sie mit brutaler Folgerichtigkeit von ihrer Vergangenheit eingeholt werden.

Titelbild

Roger Smith: Mann am Boden. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Tropen Verlag, Stuttgart 2018.
319 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783608502176

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