Wie kann es weitergehen?

Barack Obama und Bruce Springsteen suchen nach Wegen zur Überwindung der Spaltung ihres Landes

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Corona-Pandemie hat viele Menschen dazu gebracht, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig im Leben ist. Wenn sich aber der frühere US-Präsident Barack Obama und Rockstar Bruce Springsteen an ein Mikrofon setzen, sich genau diese Frage stellen und den Zustand ihrer Nation reflektieren, erzeugt dies Aufmerksamkeit. Ihre als Podcast veröffentlichten Gespräche erschienen Ende 2021 unter dem Titel Renegades. Born in the USA als Buch – angereichert mit zahlreichen Fotografien, Songtexten sowie Springsteens handschriftlichen Notizen, mit denen er sich auf die Aufnahme des Podcasts vorbereitet hatte.

Barack Obama und Bruce Springsteen sprechen über Rassismus, Black-Lives-Matter-Proteste, die Corona-Pandemie und den Sturm auf das Capitol. Tief ist die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. „Wie konnte es so weit kommen“, fragt Obama im Podcast. Wie kann man eine gespaltene Gesellschaft zu einer neuen Gemeinsamkeit führen; wie kann man die USA wieder einen? Springsteen antwortet mit der – in Amerika sicherlich utopischen – Forderung nach überparteilicher Zusammenarbeit. Man müsse mehr miteinander reden. Er fordert eine Rückbesinnung auf „gemeinsame Erfahrungen“ und das Finden einer neuen nationalen Identität, welche ein multikulturelles Bild der Vereinigten Staaten umfasst. Schließlich seien die USA von Menschen aus der ganzen Welt aufgebaut worden – „egal welcher Hautfarbe, welcher Herkunft oder ökonomischen Situation“, ergänzt Obama und bezeichnet die USA als ein Experiment, „bei dem behauptet wird, alle Menschen seien gleich“. Jetzt müsse das Land wieder geeint werden, um zu beweisen, dass es auch funktioniert.

Ein Suchen ohne Richtung beginnt. Obama und Springsteen lachen zusammen, sie plaudern und philosophieren. Lesende erfahren in den vertrauten Gesprächen, welchen Bezug zu Autos sie haben, wer sie inspirierte, dass man über Bob Dylan nicht streiten kann und welche Bedeutung Springsteens genialer Song „My Hometown“ hat. Unweigerlich entsteht ein Gefühl, den Sprechern wirklich näher zu kommen. Obama und Springsteen berichten aus ihrer Kindheit, von ihren Erfahrungen als Außenseiter und ihrer Konfrontation mit Neid und Vorurteilen. Es geht um Männlichkeit, um Stärke und Werte sowie ihr Hereinwachsen in Vaterrollen. Es geht darum, „wie Leute ihren Selbstwert definieren“. Beide stimmen darin überein, dass jeder Mann versucht, den Erwartungen seines Vaters oder dessen Fehlern gerecht zu werden. Und hernach erklären die beiden Alphatiere genau, weshalb sie Frauen als Ebenbürtige, als Partner in Beruf und Privatleben und „nicht nur als ein Anhängsel“ brauchen. Obama unterstreicht, es werde in unserer Gesellschaft „zu oft von der Frau erwartet, dass sie sich anpasst“. Seine Frau und er hätten ihre Töchter zu „gestandenen Frauen“ erzogen, die „stark und unabhängig“ seien und sich „nie ausnutzen lassen werden“. Springsteen und Obama erklären, dass auf diesen Stärken „eine neue, einigende Geschichte unseres Landes [erzählt werden kann], die unseren höchsten Idealen gerecht wird“. Sie umschreiben, dass ein Teil der in ihrer Generation noch als traditionell männlichen – und längst auch für die starke moderne Frau geltenden – Werte wie Durchsetzungsvermögen, Meinungsstärke oder Kampfgeist angesichts der gesellschaftlichen Spaltung eine große Bedeutung haben.

Bruce Springsteen betont im Podcast schmunzelnd und zugleich ernst, dass es eine Portion Größenwahn braucht, um als Sänger oder als Redner vor Zehntausende von Zuhörern zu treten und zu glauben, dass die eigene Stimme es wert ist, gehört zu werden. Und Obama versucht Worte dafür zu finden, wie es sich anfühlt, ein Teil der Geschichte zu werden. Es sei völlig klar, dass man die eigene Bedeutung und damit einhergehende Verantwortung nutzen muss, um etwas zu verändern. „Weißt Du, ich witzele immer: ‚Ich will auf die Bühne treten und euer Leben verändern.‘ Nur dass es eigentlich kein Witz ist. Das ist abends meine Aufgabe“, sagt Springsteen. Und diese Aufgabe sehen beide als nicht vollendet an.

Was hat sich ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Renegades“ getan? Im Jahr 2022 folgte Krise auf Krise. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, die Energienotlage und noch immer die Corona-Krise sowie ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Psyche der Menschen belasten. Überall sind Erschöpfung und Überforderung zu spüren. Umso wichtiger ist der starke Wille, daran nicht zu verzweifeln und ein Ziel zu haben. Der Mut und Durchhaltewillen des ukrainischen Volkes, das von Russland in Kälte und Dunkelheit geschickt wird, kann anderen Nationen Vorbild sein und sollte den Wert der Freiheit unterstreichen. Obama ist überzeugt davon, dass die Menschheit lernt, zusammenzuleben und zu kooperieren und die Würde des jeweils anderen anzuerkennen, schrieb er in seinen Memoiren (Ein verheißenes Land, Penguin Verlag 2020). Hieran knüpft er in „Renegades“ an und macht deutlich, dass es keine Entschuldigung dafür gibt, wenn die Dinge bleiben wie sie sind. Weil die Menschheit ansonsten mit dem Klimawandel oder im Krieg untergeht. Womöglich sind wir mit dem Jahr 2022 weiter an den Abgrund gerutscht. Springsteen und Obama haben aber deutlich gemacht, dass man sich weder das Elend schönreden noch sich in das Leid hineinsteigern sollte.

Wer während der Corona-Pandemie darüber nachgedacht hat, was wirklich wichtig im Leben ist, der müsste stattdessen zur Erkenntnis gelangen, dass nichts von Dauer ist. Diese Erkenntnis kann befreiend sein. Menschen steht nur ein kurzes Zeitfenster des Lebens zur Verfügung. Die Konzentration auf unser kurzes Leben lässt uns Schönheit und Bedeutendes erschaffen – Songs wie Springsteen und Reden wie Obama zum fünfzigsten Jahrestag des Marsches über die Edmund-Pettus-Brücke in 2015. Das Manuskript jener bedeutenden Rede ist im Buch abgedruckt, mit Obamas handschriftlichen Ergänzungen und Veränderungen (eine einzigartige Einladung, seine Arbeitsweise nachvollziehen zu können!). Mit ihren Taten und Songs stemmen sich Persönlichkeiten wie Obama und Springsteen gegen die Vergänglichkeit. Sie hoffen, etwas bleibt trotz aller Krisen bestehen.

Unabhängig davon, wie flüchtig das Geschaffene sein mag, sehen Springsteen und Obama mit Optimismus auf die junge Generation, welche „mit überwältigender Mehrheit“ daran glaubt, „dass alle Menschen gleich sind“. So wird das Ende des Buches schließlich zur Übergabe des Staffelstabes von zwei Männern, welche sich zeitlebens bemüht haben, die Welt zu verändern, an eine neue Generation. Über ihre Gespräche, die einem Suchen ohne Richtung gleichen, entsteht ein Bild, eine Botschaft: Der Sinn des Lebens ist, alles dafür zu tun, dass es weitergeht. Wir sind noch hier. Ähnlich formulierte es Obama in seiner Rede 2015. Springsteen: „Man muss die Laterne am Leuchten halten, mein Freund.“

Titelbild

Bruce Springsteen / Barack Obama: Renegades. Born in the USA – Träume ▪ Mythen ▪ Musik.
Besonders hochwertige Ausstattung mit exklusiven Fotos aus den Privatarchiven der Autoren.
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner und Henriette Zeltner-Shane.
Penguin Verlag, München 2021.
320 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783328602439

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