Erotik in der Savage Lane

Jason Starr regt mit „Phantasien“ sexuelle Gedankenspiele an

Von Raphael AmmonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Raphael Ammon

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man sollte meinen, es gebe schon genug schmuddelige Unterhaltungsliteratur auf dem Buchmarkt. Leider bildet Jason Starrs Roman Phantasien, der unter dem Deckmantel der Kriminalliteratur niederen Voyeurismus bedient, keine Ausnahme.

Mark und Deb Berman wohnen in einer kleinen Straße, der Savage Lane, in einem Nobelvorort von New York. Sie führen eine Ehe, die über die Jahre immer mehr an Zusammenhalt eingebüßt hat. So ist es nicht verwunderlich, dass beide Ehepartner ihr Interesse aneinander verloren haben und ihre erotischen Bedürfnisse anderweitig ausleben: Mark fühlt sich zu seiner Nachbarin und besten Freundin Karen hingezogen und glaubt, dass auch sie so empfindet. Er interpretiert jede noch so banale Nachricht als Liebesbeweis. Sie sucht nach ihrer gescheiterten Ehe auf diversen Online-Partnerbörsen ihr Glück und bleibt trotz einiger Dates erfolglos. Die 44-jährige Deb hingegen hat eine Affäre mit dem Teenager Owen Harrison, der es genießt, sie ganz und gar zu vereinnahmen und über sie zu bestimmen. Zu Beginn des Romans will sie sich von ihm lösen. Sie schämt sich für ihr Verhalten und dafür, dass sie solche starken Gefühle für einen wesentlich jüngeren Mann hegt. Als sie jedoch immer wieder seinen obszönen Kurznachrichten erliegt, tröstet sie sich mit Alkohol.

Jason Starr hat mit Phantasien einen Roman der niedrigsten Unterhaltungsstufe geschrieben. Marks sexuelle Gedankenspiele sind eines Mannes in seinem Alter nicht würdig. Auch die sehr detailreich geschilderten Sexualpraktiken zwischen Deb und ihrem Liebhaber sind einfach nur peinlich. Vielleicht wollte der Autor genau diese Gefühlsregungen bei den Lesern hervorrufen. Sie rufen jedoch den Drang hervor, die entsprechenden Stellen einfach zu überblättern. Auch der Umstand, dass die sexuellen Vorlieben der Eheleute dem jeweils anderen nicht bekannt werden, ist natürlich vorhersehbar. Hier kann Starr, den modernen Techniken sei Dank, auf die Mobiltelefonie verweisen. Smartphones und andere private Kommunikationsmedien ermöglichen den bis zuletzt unentdeckten SMS-Verkehr von Deb und Owen. Das Ehepaar Berman hütet seine sexuellen Geheimnisse gut voreinander.

Hinzu kommt, dass der Autor die Hauptfiguren seines Romans allzu klischeehaft gezeichnet hat: Mark arbeitet als Systemanalytiker und ist demzufolge kaum zu Hause. Seine einzigen Freizeitbeschäftigungen sind die häufigen Besuche im Country Club und das dortige Golfspiel. Deb hingegen ist Hausfrau und fährt die Kinder gelegentlich entweder zur Tanzstunde oder zum Schwimmtraining. Das bietet ihr die Möglichkeit, sich ungestört mit ihrem Liebhaber in einem Klassenzimmer der örtlichen High School zu treffen, um sich dort zu vergnügen.

Im zweiten Teil entspricht das Buch den Genreerwartungen an einen Kriminalroman. Deb wird von ihrem Liebhaber in einem vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Liebesakt erwürgt und anschließend verscharrt. Nun wäre es denkbar, dass der Tod seiner Frau für Mark eine Art Erweckungserlebnis ist und sich seine Phantasien Karen gegenüber verflüchtigen. Doch sie verstärken sich nur noch mehr. Mit Owen hat Jason Starr hingegen den abstoßendsten und gleichzeitig interessantesten Charakter des Romans gestaltet. Der Teenager verkörpert eine durch sexuelles Verlangen unkontrolliert gewordene Besessenheit gegenüber Frauen. Er betrachtet Erotik als ein Spiel, in dem sich die Frauen ihm unterordnen und seinen Wünschen Gehorsam leisten müssen. Trotz dieser in ihrer Widerwärtigkeit literarisch interessanten Figur bleibt Phantasien ein Roman, dessen Charaktere und Handlung zu durchschaubar sind. Da ist der dialoglastige Schreibstil nur ein schwacher Trost, der die Handlung zwar voranbringt, sie aber bedauerlicherweise nicht interessanter macht.

Titelbild

Jason Starr: Phantasien. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog.
Diogenes Verlag, Zürich 2018.
393 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783257244199

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