Der Traum vom großen Glück
Im Roman „Das große A“ beleuchtet Giulia Caminito das faschistische Italien und dessen Handeln in den italienischen Kolonien
Von Liliane Studer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWir befinden uns gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in der Lombardei. Die 13-jährige Giadina, von allen Giada genannt, wächst hier getrennt von ihrer Mutter und den Geschwistern bei ihrer Tante, einer begeisterten Faschistin, auf. Die Tante ist nicht gut auf ihre Schwester zu sprechen:
Irgendwann dreht sie durch und lässt alles stehen und liegen, die Kinder, die zu dritt keine sechs Jahre alt waren. Der kleine Duccio kommt nach Cantù, die kleine Rina zu den Vighis und dieses nackte Küken zu mir. Natürlich kam das schlimmste von den dreien zu mir, kein Bündel Reisig kann man ihr aufladen, und sie nimmt nur Platz weg. Nicht einmal verheiraten kann man die, klein und schmächtig, wie sie ist […]. Meine Schwester hat sich seit Anfang des Krieges nicht mehr blicken lassen, nur ein paar Telegramme hat sie geschickt, ein Militärflugzeug hat manchmal ein paar Lire aus Afrika gebracht.
Giada ist nicht willkommen, weder bei der Tante noch in der Schule. Sie wird überall als Last gesehen, da ihre Mutter nicht für sie sorgt. Der Alltag während des Krieges ist schwierig, es gibt wenig zu essen, die Not ist groß. Zu Hause wird Giada oft geschlagen, in der Schule gilt es, den Duce zu verehren. Zum Schutz vor Einsamkeit und Ablehnung träumt Giada von einem Leben voller Luxus und Reichtum, wie es die Mutter in Eritrea führt. Vor dem Krieg besuchte sie die Mutter noch öfters im italienischen Dorf und weckt in ihrer Tochter die Sehnsucht nach dem Luxus, dem angeblichen. „Die Mama in ihrem Lancia Ardea herfahren zu sehen war wie ins Kino zu gehen.“ Das will Giada auch, ein abenteuerliches, unabhängiges Leben führen, bewundert werden, schnelle Autos fahren, eine Bar führen. Umso größer ist jeweils die Enttäuschung, wenn die Mutter nach ihren Besuchen in der Heimat wieder ins große A zurückkehrt, ohne die Tochter mitzunehmen.
Doch nach dem Krieg ist es endlich so weit. Giada besteigt kurz vor Weihnachten 1949 das Schiff, um zu ihrer Mutter zu fahren und dort zu leben. Für immer. Dass es anders werden würde als in ihren Vorstellungen, lernt sie schnell. Ernüchternd ist das Verhalten der Mutter ihr gegenüber, da ist nichts von der großen Freiheit und Unabhängigkeit, vielmehr soll die Tochter rasch verheiratet werden. Giada muss sich erneut ihren Platz erkämpfen und realisiert, so wird es immer weitergehen. Darüber hinaus ermöglicht der Roman auch einen Blick auf die italienische Community in Eritrea und später in Äthiopien und deckt einiges auf über die Kolonialmacht Italien. Dabei ergibt sich ein spannendes und widersprüchliches Bild.
Überzeugend im Roman sind Giulia Caminitos Erzählkunst und ihre bildreiche Sprache. Dieses Buch lebt von einzelnen Szenen, die nach der Lektüre haften bleiben. Die Autorin verwebt die einzelnen Momente ineinander. So gelingt ihr, die schwierigen Leben ihrer Protagonistinnen miteinander in eine Verbindung zu bringen und aufzuzeigen, wie viele Faktoren – Krieg, Kolonialismus, Machtverlust in den Kolonien, politische Veränderung u.v.m. – entscheidend sind.
Das große A ist Giulia Caminitos Debütroman und erschien im Original bereits 2016. Die damals erst 28-jährige Autorin erhielt in ihrer Heimat große Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, weil sie den nach wie vor wenig aufgearbeiteten italienischen Kolonialismus in Ostafrika literarisch beleuchtete. – Francesca Melandris Roman Alle, außer mir sollte erst zwei Jahre später erscheinen. – Dass nun endlich auch eine deutsche Übersetzung von Das große A bei Wagenbach in der überzeugenden Übersetzung von Barbara Kleiner ins Programm aufgenommen wurde, dürfte mit dem diesjährigen Gastlandauftritt Italiens an der Frankfurter Buchmesse zusammenhängen, mit dem es gelungen ist, aller Querelen zum Trotz, das Interesse für die reiche Literatur Italiens zu erhöhen.
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