Die Affektivität manichäischer Weltdeutungssysteme – Stefanie Schüler-Springorum und Jan Süselbeck haben den Band „Emotionen und Antisemitismus. Geschichte – Literatur – Theorie“ herausgegeben

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Tausenden von Jahren haben Menschen das Judentum als Projektionsfläche missbraucht. Anhand manichäischer Weltdeutungssysteme identifizierten sie ‚die Juden‘ dabei stets mit ‚dem Bösen‘. Selbst Auschwitz konnte dieses Phänomen nicht zum Verschwinden bringen. Der Judenhass erlebt in unserer Gegenwart eine besorgniserregende weltweite Konjunktur. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass der Antisemitismus auf dem dringenden Wunsch nach extremen, als befreiend empfundenen Emotionen beruht, die nach Möglichkeit mit einer mithassenden Gemeinschaft geteilt werden sollen. „Man schwelgt in diesem Gefühle“, stellte österreichische Schriftsteller Hermann Bahr bereits Ende des 19. Jahrhunderts fest: „Wer Antisemit ist, ist es aus der Begierde nach dem Taumel und dem Rausche einer Leidenschaft.“

Die dabei offensichtliche Bedeutung von Gefühlen wie Angst, Ärger, Empörung, Ekel, Wut oder Hass wurde von der Antisemitismusforschung seit 1945 jedoch sträflich vernachlässigt. Eine vergleichbare Ignoranz gegenüber der Affektivität des Judenhasses ist auch in der noch relativ jungen Forschung zum literarischen Antisemitismus festzustellen.

Um die Persistenz des Antisemitismus zu verstehen, muss man sich endlich gezielt mit seinen Emotionen beschäftigen. Was für Gefühle werden auf welche Weise in der Literatur, durch visuelle Darstellungen, unterschiedliche mediale Inszenierungen oder pogromartige Gewaltexzesse erzeugt? Wie machen sich antisemitische Propagandisten, Publizisten und Täter diese Affektstrategien zunutze? Wie wurde die Relevanz der Emotionen im Antisemitismus zu unterschiedlichen Zeiten theoretisch reflektiert und was bedeutet dies für die Möglichkeiten seiner Bekämpfung?

Der von Stefanie Schüler-Springorum und Jan Süselbeck herausgegebene Band Emotionen und Antisemitismus. Geschichte – Literatur – Theorie bietet zehn geschichts- und literaturwissenschaftliche Modellstudien zur Affektivität des Antisemitismus vom 19. bis zum 21. Jahrhundert – verfasst von der Herausgeberin und dem Herausgeber sowie von Birgit Aschmann, Hans-Joachim Hahn, Irmela von der Lühe, Samuel Salzborn, Julijana Ranc, Uffa Jensen, Kristoff Kerl und Zoltán Kékesi.

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Titelbild

Stefanie Schüler-Springorum / Jan Süselbeck (Hg.): Emotionen und Antisemitismus. Geschichte – Literatur – Theorie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021.
250 Seiten , 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783835339057

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