Die Welt der Pilze

Martin Suters Geschichte von einem Trip mit Folgen

Von Heiko SeibtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heiko Seibt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Martin Suters eigenwillige Geschichte "Die dunkle Seite des Mondes", in der er die Persönlichkeitsveränderung eines angesehenen Wirtschaftsanwalts beschreibt, ist ein beklemmender Thriller. Sein Protagonist Urs Blank, Fachmann für Fusionsverhandlungen, hat es bislang stets verstanden, seine Emotionen zu zügeln und sich den Ansprüchen seiner Mitmenschen zu beugen. Das ändert sich erst, als er die junge Lucille kennenlernt.

Mit Urs Blank und Lucille stellt der Autor geschickt zwei Figuren gegenüber, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: der biedere Mittvierziger, der allmählich beginnt, sich in seinem öden, geregelten Dasein zu langweilen und der junge Hippieverschnitt mit indischem Flohmarktstand und einer Vorliebe für Joints und halluzinogene Pilze.

Von Lucille angestiftet macht Blank bald selbst Bekanntschaft mit der Welt der psychedelischen Pilze, doch es wird ihm schon beim ersten Trip zum Verhängnis. Ein zyanblauer Pilz verändert seine Persönlichkeit gravierend und fördert sein dunkles Alter ego zutage.

Die Schilderungen von Blanks Psilocybin-Trip stecken voller Witz und Situationskomik. So läßt Suter seinen anfangs noch relativ fade wirkenden Helden unter Einfluß halluzinogener Wirkstoffe plötzlich euphorisch tanzend eine Schellentrommel schlagen und ein vermeintlich geniales Gespür für Musik entwickeln. Alle anderen jedoch sehen in ihm weiterhin nur den spießbürgerlichen Wichtigtuer ohne Gespür für Rhythmen und Klänge.

Bei seinen Trip-Beschreibungen mischt der Autor surreale Bilder mit der Wirklichkeit und setzt sie zu einem schwindelerregenden Ganzen zusammen. Aber als sich herausstellt, dass das Pilzexperiment bei dem Protagonisten ungeahnte Folgen nach sich zieht, schlägt die bislang eher spielerische Stimmung ins Gegenteil um. Fortan gibt der einst so disziplinierte Blank jeder Gefühlsregung nach, mag sie auch noch so gefährlich sein. Suter verdeutlicht Urs Blanks ausweglose Situation dadurch, dass er ihn die Kontrolle über sein Handeln verlieren und daraufhin aus Furcht vor seinen eigenen unberechenbaren Emotionsschwankungen in den Wald fliehen lässt.

In seiner sprachlich präzisen und raffiniert erzählten Geschichte "Die dunkle Seite des Mondes" verknüpft Martin Suter die plötzliche Persönlichkeitsveränderung des Staranwalts Blank, seinen Ausbruch in eine "unzivilisierte" Welt und eine dramatisch verlaufende Verfolgungsjagd, bei der die Grenzen zwischen Opfer und Täter, zwischen Verfolgern und Verfolgtem am Ende verwischen, zu einem phantasievollen Thriller.

Titelbild

Martin Suter: Die dunkle Seite des Mondes.
Diogenes Verlag, Zürich 2000.
315 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3257062311

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch