Aus dem Leben eines Fußballgotts
Martin Suters Biographieroman „Einer von euch“ über Weltmeister Bastian Schweinsteiger wandelt enttäuschend uninspiriert auf der Schwelle zwischen Fakt und Fiktion
Von Elena Hoch
„Ich bin einer von euch. Und werde immer einer von euch bleiben.“ So lauten die Abschiedsworte des Mannes, der im Fußball alles erreicht hat: Deutscher Meister, DFB-Pokalsieg, Champions League- und World Cup-Gewinner, Weltmeister – Bastian Schweinsteiger. In Einer von euch zeichnet Martin Suter Leben und vor allem Karriere des „Fußballgotts“ in Form eines Biographieromans nach. Begonnen in seiner Kindheit im bayerischen Oberaudorf, wo er seine ersten sportlichen Erfolge feiert, bis zu seinem Karriereende im Jahr 2019 begleiten wir ihn auf und abseits des Fußballplatzes. Darunter das Sommermärchen von 2006, zahlreiche Urlaube, Gespräche mit seinem Bruder im Kinderzimmer und mehr Restaurant- und Kneipenbesuche, als es für eine Biographie notwendig ist. Das Buch schildert jedoch nicht nur „Bastis“ Weg in den Profifußball, sondern gibt auch kleine Einblicke in die Karriere seiner späteren Ehefrau Ana Ivanović sowie ihre gemeinsame Liebesgeschichte.
Die Struktur des 373 Seiten langen Buches ist überhaupt nicht gelungen. Es ist in sieben unnummerierte Kapitel geteilt, die Überschriften tragen wie „Du kannst nicht beides werden“ und „Still im Haus“. Während „Du kannst nicht beides werden“ immerhin zeitweise davon handelt, dass Bastis Bruder ihn als Kind vergeblich zu belehren versucht, dass er sich irgendwann zwischen Fußball und Skifahren entscheiden werden muss, weil er nicht in beidem Profi werden kann, erscheint „Still im Haus“ als Überschrift nahezu willkürlich gewählt. Nur ein kurzer Abschnitt in diesem Kapitel thematisiert die Stille im Hause Schweinsteiger, nachdem die beiden Jungs, zum Leidwesen ihrer Mutter, bereits in jungen Jahren ausgezogen sind. Der Rest des Kapitels erzählt von Bastis ersten und fortgeschrittenen Erfahrungen mit Mädchen, seinen sportlichen Erfolgen (er entscheidet sich im Verlauf des Kapitels für Fußball), seiner Schullaufbahn und seinem Anfang beim FC Bayern München. Andere Kapitelüberschriften erscheinen ebenso wenig passend, beziehen sie sich doch meistens nur auf einen Abschnitt innerhalb des jeweiligen Kapitels.
Die Unterteilung der Kapitel in weitere kleinere Abschnitte kann ebenso wenig überzeugen. Mit kleinen Fußbällen (wenn es um Ana geht mit kleinen Tennisbällen) versehen, markieren sie neue Szenen innerhalb der Geschichte, die stets mit einem Orts- und Zeitwechsel einhergehen. Eine Szene ist dabei selten mehr als anderthalb Seiten lang, viele umfassen sogar nur wenige Zeilen. Ein Umstand, der dem Text zunächst etwas Dynamisches, sogar Filmisches verleiht, auf Dauer jedoch den Lesefluss stört. Gerade sind wir in der Szene angekommen, können Bastis Alter einschätzen – was nicht immer so leicht ist – und beginnen, uns in die Situation einzufühlen, in der er gerade steckt, da kommt schon das nächste Fußball-Symbol und das Ganze geht vorne los. Das Gefühl einer stringenten Geschichte will sich auf diese Weise nur schwer einstellen. Stattdessen bekommen wir Schlaglichter aus Bastis Leben präsentiert, denen jedoch jegliche Tiefe fehlt.
Ähnlich oberflächlich bleiben die Figuren des Romans. Obwohl seine Familie besonders am Anfang eine große Rolle spielt und als wichtige Stütze des Fußballstars erkennbar wird, haftet ihnen etwas statistenhaftes an. Noch farbloser bleiben Bastis Freundinnen, die keinerlei Charaktereigenschaften besitzen und sich lediglich durch ihre Namen unterscheiden. Und selbst unseren Protagonisten lernen wir erstaunlich wenig kennen. Wir begleiten ihn zwar bei den Höhepunkten und Tiefschlägen seiner sportlichen Karriere, durch die kurzen Textabschnitte fällt es aber schwer, eine wirkliche Bindung zu ihm aufzubauen und mit ihm mitzufühlen. So hat Basti zum Beispiel immer wieder mit Verletzungen und damit verbundenen Schmerzen zu kämpfen. Mehrfach steht die Frage im Raum, ob er je wieder professionell Fußball wird spielen können. Bevor uns aber das Herz allzu schwer werden kann, reißt uns ein Fußballsymbol aus der Szene und wir erfahren, dass Basti für die Nationalelf auf dem Platz steht und Tore schließt.
Dass beim Lesen so wenige Emotionen aufkommen, liegt jedoch nicht nur an den knappen Textabschnitten, sondern auch am schlichten Schreibstil. Er besteht aus überwiegend kurzen, parataktischen Sätzen; Metaphern oder andere stilistische Mittel gibt es kaum. Am Anfang des Romans ist Basti noch ein kleiner Junge. Der einfache Erzählstil erscheint hier angemessen, um die Handlungen, Gedanken und Gefühle eines Kindes zu beschreiben, das sich vor dem Tatzelwurm (einem alpenländisches Fabelwesen) fürchtet und nicht den Unterschied zwischen einer Nachrichtenreportage und einem Spielfilm kennt. Spätestens aber, wenn es heißt: „Er war jetzt sechszehn und hatte eine eigene Wohnung“ erwartet man, dass die Sprache sich der Entwicklung des Protagonisten anpasst. Diese Erwartung wird jedoch enttäuscht.
Zur strukturellen und stilistischen Schwäche kommt eine inhaltliche Schwierigkeit: Was ist Fakt und was ist Fiktion? Einer von euch ist ein Biographieroman. Von Suter wird das im Vorwort wie folgt erklärt:
‚Biografisch‘ bedeutet, dass ich aus dem Leben von Bastian Schweinsteiger und Ana Ivanović erzähle. ‚Roman‘ bedeutet, dass die Ereignisse, die darin vorkommen, auch frei erdacht sein dürfen. Oder dass sie zwar tatsächlich stattgefunden haben, aber so beschrieben sind, wie ich mir als Romancier vorstelle, dass sie sich hätten abspielen können.
Von Autorenseite ist dies sicher ein reizvolles Projekt: die Verknüpfung von realen Ereignissen mit der eigenen Vorstellung; sich ähnlich einer Fanfiction das Leben einer bekannten Person – hier Bastian Schweinsteiger – auszumalen und somit Einblicke in Momente zu erschaffen, die so oder so ähnlich stattgefunden haben könnten. Als Lesende lässt uns diese undurchsichtige Vermengung von Wahrheit und Fantasie allerdings mit gemischten Gefühlen zurück. Auf der einen Seite kommt es uns nach der Lektüre vor, als wüssten wir nun eine Menge über unseren Basti – seinen Musikgeschmack zu verschiedenen Zeiten, seine Kindheit und Jugend, seine Art das Leben zu akzeptieren, wie es kommt und seinen Wunsch, nur das zu tun, was ihm Freude bereitet. Auf der anderen Seite müssen wir gerade bei den Ereignissen abseits des Fußballfeldes und Situationen, die nicht von Kameras festgehalten wurden, vorsichtig sein. Vielleicht hat Basti fasziniert mit seiner Mutter die Hochzeit von Lady Diana und Charles im Fernsehen verfolgt, vielleicht ist er als Jugendlicher dabei erwischt worden, wie er nachts in ein Schwimmbad eingebrochen ist und vielleicht hat ein Bericht über seine spätere Ehefrau Ana ihn dazu inspiriert, nach Paris zu reisen. Vielleicht ist aber auch all das niemals passiert. Wir kommen nicht umher, uns stetig zu fragen: Was ist Teil der Biographie und was Teil des Romans?
Das mag eine Schwierigkeit sein, die dem Genre grundsätzlich innewohnt. Sie kann allerdings vernachlässigt werden oder zumindest weniger prominent sein, wenn stattdessen die Vorzüge dieser Art, eine Lebensgeschichte zu erzählen, in den Vordergrund treten. Anstatt uns mitzureißen und uns Bastis ereignisreiche Karriere mit den Augen unseres (Fußball-)Helden miterleben zu lassen, begegnen uns in Einer von euch jedoch leider überwiegend unauthentische Dialoge eines immerzu positiv gestimmten, erfolgreichen Protagonisten, der nie (ver-)zweifelt, stets freundlich und am Boden geblieben ist und eigentlich doch nur Fußball spielen und dabei Spaß haben will. Ecken und Kanten oder gar einen schlechten Tag scheint Basti – trotz so mancher Widrigkeiten – nicht zu haben. Dazu nimmt er sämtliche Wendungen in seinem Leben einfach hin, ohne je einer geplatzten Möglichkeit nachzutrauern. Das wird dann immer damit erklärt, dass er ein „Jetzt-gerade-Mensch“ sei, wie es ungefähr hundert Mal im Buch heißt. So ist beispielsweise die Freude bei Basti groß, als Inter Mailand ihn als Spieler möchte. Ein Umzug in das Ursprungsland seiner Lieblingsküche klingt für ihn fantastisch! (Dass Inter Mailand einer der angesehensten Fußballclubs der Welt ist, der ihn karrieretechnisch voranbringen könnte, findet an dieser Stelle übrigens keinerlei Erwähnung. Lieber wird zum ebenfalls hundertsten Mal betont, wie gerne Basti italienisch essen geht.) Als der Deal überraschend platzt, lautet dessen nüchterne Reaktion jedoch nur: „Okay, dann melde ich mich heute nicht zum Italienischkurs an.“ Ähnlich ungerührt und unmotiviert zieht er um, unterzieht sich Operationen, fliegt in den Urlaub und trennt sich von seinen Freundinnen. Nur der versemmelte Elfmeter im UEFA-Champions-League-Finales 2012 gegen FC Chelsea, der nimmt ihn ernsthaft mit und Basti ist sogar einen Abend mal nicht fröhlich, sondern eher schweigsam.
Ebenso anstrengend wie die schlichtweg unrealistische Leichtigkeit, mit der Suters Protagonist durchs Leben geht, sind die plakativen Anspielungen auf spätere Ereignisse. So wird Basti in der Schule einmal von seiner Englisch-Lehrerin beim Schummeln erwischt und bekommt daraufhin zu hören: „Spick nicht. Wenn du mal eine Freundin hast, die nur Englisch spricht, kannst du auch nicht spicken.“ Fast als wüsste diese Lehrerin, dass Basti später mal eine Ehefrau haben wird, mit der er sich ausschließlich auf Englisch unterhält! In einer anderen Szene geht Basti in ein Geschäft, um einen hochwertigen Füllfederhalter zu kaufen (der nie wieder im Roman relevant sein wird) und schreibt zur Probe immer wieder seinen Namen. Nachdem er noch einmal auf die vielen Papierbögen mit seiner Unterschrift schaut, denkt er darüber nach, „ob er jemals wieder so oft seinen Namen schreiben würde“. Wie witzig, dass er gerade das denkt, schließlich wird unser Basti doch schon ein paar Jahre später berühmt sein und ganz viele Autogramme geben! Es scheint, als wollte Suter mit aller Macht Verbindungen zwischen Bastis jungen Jahren und seiner späteren Karriere knüpfen. Ein Vorhaben, das geradezu peinlich scheitert. Ähnlich künstlich lesen sich Momente, in denen sich die Wege von Basti und seiner späteren Frau auf regelrecht magische Weise immer wieder kreuzen, als hätte das Schicksal sie schon viele Jahre vor ihrer ersten Begegnung für einander bestimmt. Was beim Lesen verträumte Seufzer hätte hervorrufen sollen, lässt uns spätestens nach 200 Seiten genervt die Augen rollen.
Insgesamt kommt die Liebesgeschichte zwischen den beiden deutlich zu kurz, dafür, dass der Roman so prominent damit umworben wird. Lediglich im letzten Kapitel dreht sich plötzlich alles um Bastis Ana. Davor gibt es zwar immer mal wieder kurze Einschübe über ihr Leben, diese werden allerdings im Verlauf des Buches zunehmend seltener. Schade eigentlich, denn die wenigen Einblicke in das Leben der (ehemaligen) Profi-Tennisspielerin Ana Ivanović lassen den Gedanken aufkommen, dass ihr Leben sich für eine Biographie möglicherweise noch viel besser geeignet hätte als das ihres Mannes.
Alles in allem ist das Buch nicht, was es hätte sein können. Auf dem Klappentext wird uns eine „bewegende Story einer Weltkarriere“ sowie „ein berührender Liebesroman“ versprochen. Was wir tatsächlich bekommen sind ein paar ganz niedliche Kindheitsanekdoten und eine platte Aneinanderreihung von Ereignissen aus dem Leben von Bastian Schweinsteiger. (Oder auch nicht, vielleicht hat Suter sie ja auch nur erfunden). Durch die seltsame Strukturierung, den einfallslosen Schreibstil und die schlichtweg verwirrende inhaltliche Gewichtung ist viel Potenzial verschenkt worden. Man stelle sich vor: Die Geschichte eines fußballbegeisterten Buben aus Bayern, der in jungen Jahren entdeckt wird, beim Sommermärchen 2006 seinen Traum lebt, anschließend aufgrund vieler Verletzungen zu scheitern droht, dann aber mit dem WM-Sieg 2014 den Höhepunkt seiner Karriere erreicht und schließlich sogar noch die Frau fürs Leben findet, mit der er ein paar Jahre später zwei süße Kinder hat. Was hätte das für eine Achterbahnfahrt der Gefühle werden können! Entstanden ist jedoch eine Runde auf dem Kinderkarussell. Wir leiden nicht unter dem Druck vernichtender Medienberichte und spüren auch nicht den Rausch, wenn ein ganzes Stadion laut „Fußballgott!“ ruft. Stattdessen stellen wir uns spätestens ab der Hälfte des Romans die Frage: Hätte es eine normale Biographie nicht auch getan?
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