Der erschriebene Elefant

Zu Graham Swifts autobiographischem Werk „Einen Elefanten basteln“

Von Jens LiebichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Liebich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen Elefanten aus Sprache zu basteln – ist dies die Aufgabe, die sich Graham Swift mit diesem Buch gestellt hat? Vielleicht, denn bekanntlich hat der Elefant ein hervorragendes Gedächtnis und erinnert sich noch nach Jahren und Jahrzehnten an  für ihn bedeutsame Begegnungen und Situationen. Und so erscheint pünktlich zu Graham Swifts 70. Geburtstag sein von Susanne Höbel umsichtig und gewissenhaft übersetztes autobiographisches Buch. Als sein „jüngstes Buch“ kann man es dennoch nicht bezeichnen, denn bereits 2009 erschien die englische Originalausgabe Making an Elephant, die wiederum 2017 um drei kürzere Texte mit insgesamt 24 Seiten erweitert wurde und der Höbels Übersetzung folgt.

Wenn der Untertitel ankündigt, Vom Leben im Schreiben zu erzählen (im Original: Writing from Within), und somit – zumindest auf den ersten Blick – dem Schreiben nichts Geringeres als den Rang einer menschlichen Existenzform zuspricht, weckt dies einerseits hohe Erwartungen an den Text, andrerseits wird bereits eine thematische Einschränkung hinsichtlich des autobiographischen Materials angekündigt. Es geht – und dies bestätigt sich rasch bei der Lektüre – nicht um Graham Swifts Lebensweg im Allgemeinen, sondern um den Weg zum Schriftsteller im Besonderen. Und eben auf diesem Wege begegnen und begleiten ihn Menschen, die teils der literarisch interessierten Öffentlichkeit bekannt sind (bspw. Salman Rushdie, Kazuo Ishiguro und Caryl Phillips), teils aus Swifts privatem Freundeskreis stammen oder gar historische Persönlichkeiten sind, mit denen sich der Autor im Geiste verbunden fühlt. So unterschiedlich wie die Personen sind, ist auch die das Buch konstituierende Ansammlung nicht-fiktionaler Texte. Auf tagebuchartige Erinnerungen folgen Essays, Interviews und Gedichte, die alle lose dadurch miteinander verbunden sind, dass sie, wie es Swift angelehnt an Kipling formuliert, „etwas von mir“ enthalten – also zusammengebastelt sind: „Das Buch beginnt zu der Zeit, als ich sechs Jahre alt war, und endet mit einem Mann, der im sechzehnten Jahrhundert gelebt hat. Dazwischen kommt es zu manchen Sprüngen, vor und zurück.“

Gelegentlich wird durch diese Sprünge auch die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen bewusst gemacht. So liest man von einem jungen Graham Swift, der nach abgeschlossenem Studium 1974 seine zweite Griechenlandreise unternimmt, wo er trotz der Unruhen, die mit dem Ende der griechischen Militärdiktatur einhergehen, und des Bewusstseins, dass „die Griechen in der Unterdrückung lebten, so glücklich wie nie zuvor in [s]einem Leben gewesen war“. Während die Türken auf Zypern einmarschieren und die griechische Mobilmachung im Gange ist, geht für ihn das „hedonistische Wanderleben“ weiter. Diese fatalistisch anmutende Sorglosigkeit rührt wohl auch aus der zuvor nach langem Ringen gewonnenen Gewissheit, sich auf dem Weg zum Schriftsteller zu befinden und so der inneren Berufung – die Swift schon früh wahrnahm – folgen zu können. Dank eines  (zweckentfremdeten) Doktorandenstipendiums vermag er zuvor drei Jahre unbehelligt und finanziell sorgenfrei an seinem ersten Roman zu schreiben; dank der Griechenlandreise und der damit einhergehenden zeitlichen und emotionalen Distanz zum Manuskript, kann er dieses nach seiner Rückkehr einsichtig und ohne Qualen verwerfen, denn es war sofort klar, „dass der Text miserabel war. Er war nicht zu retten.“

Es geht jedoch nicht allein um das Werden eines Schriftstellers und die damit verbundenen Ängste und Sorgen, da man noch „erscheinen“ muss, oder um die Glücksmomente der Inspiration und des Erfolgs. Einen Elefanten basteln – und dies ist nicht abwertend gemeint – kann teilweise wie ein Ratgeber zum kreativen Schreiben gelesen werden, geht aber deutlich darüber hinaus. Swift teilt mit dem Leser berührende Erinnerungen an den Vater, erzählt von amüsanten Weihnachtsabenden mit Salman Rushdie, gibt in einem Interview mit Patrick McGrath Auskunft über die Entstehung von Wasserland und veranschaulicht auf diese und noch auf mannigfaltige andere Weise zahlreiche Episoden aus seinem Schriftstellerleben. Gewiss, alle Abschnitte enthalten „etwas von Swift“, doch vor allem enthalten sie Gedanken zum Leben, zum Glück menschlicher Begegnungen und zum Wesen und Wert von Literatur. Der papierene Elefant, den Swift hier erschreibt, ist  geschickt zusammengebastelt. Und gerade in dem daraus entstehenden Facettenreichtum liegt wohl nicht zuletzt der Reiz der Lektüre begründet.

Titelbild

Graham Swift: Einen Elefanten basteln. Vom Leben im Schreiben.
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Höbel.
dtv Verlag, München 2019.
454 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783423281843

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