Teherans Schattenseite

Debüt-Regisseur Soozandeh überzeugt mit einem animierten Drama über Sex, Drugs und Ershad

Von Sarah MausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Maus

Nach außen den sittlich und religiös einwandfreien Schein bewahren – das ist die erste Regel in Ali Soozandehs packendem Debüt-Film Teheran Tabu. Die düstere, aber auch mutige Geschichte über das Leben junger Menschen in einem System mit ebenso strenger wie bigotter Sexualmoral, in dem, wie es in der offiziellen Beschreibung heißt, „Tabubruch zum Alltagssport wird“, feierte 2017 in Cannes Weltpremiere und ist eine von elf deutschen Einreichungen für die Oscarverleihungen 2019.

Der Animationsfilm entführt den Zuschauer nach Teheran. Die Hauptstadt des Iran ist hier eine für den Film animierte Kulisse, die, genau wie alle beteiligten Schauspieler, im Stil einer Graphic Novel künstlerisch verfremdet wurde. Was zunächst wie ein bloßer Kunstgriff anmutet, hat jedoch auch einen ganz pragmatischen Grund: Soozandeh bekam für Teheran Tabu keine Drehgenehmigung in der titelgebenden Metropole. Nicht verwunderlich, denn die Geschichte, die der gebürtige Iraner, der heute in Deutschland lebt und produziert, zu erzählen hat, wirft kein gutes Licht auf die Zustände in der iranischen Hauptstadt.

Man kommt sich fast vor wie in einem amerikanischen Unterweltfilm, wenn man den jungen Musiker Babak (Arash Marandi) und die Prostituierte Pari (Elmira Rafizadeh) durch ihren Alltag begleitet. Pari, die ihren fünfjährigen Sohn zu jedem „geschäftlichen“ Termin mitnimmt, lebt in Trennung von ihrem drogenabhängigen Ehemann, der jedoch der Scheidung nicht zustimmt, um den Unterhaltszahlungen zu entgehen. Der verantwortliche Richter nutzt die junge Frau sexuell aus, indem er ihr für ihre Dienste die schnelle Lösung des Problems in Aussicht stellt – ein Versprechen, dass er nie einhalten wird. Babak indes hat bei einem One-Night-Stand unwissentlich die junge Donja (Negar Mona Alizadeh) entjungfert, die ihn nun zwingt, ihr eine Wiederherstellung ihres Jungfernhäutchens zu bezahlen, da ihr Versprochener eine unberührte Ehefrau erwartet. Sollte er das Geld nicht aufbringen können, drohen den beiden drakonische Strafen. Klar, dass Babak die gesamte Filmdauer über mit Hochdruck daran arbeitet, die erforderliche Summe aufzutreiben. Absprachen mit Donja gestalten sich dabei schwierig, da Treffen zwischen Männern und Frauen von dem Ershad, der iranischen Sittenpolizei, nicht gern gesehen sind. Auch Ärzte, die Jungfernhäutchen wiederherstellen, gehen ihrem Handwerk ausschließlich illegal in zwielichtigen Kellern nach und sind entsprechend schwierig zu engagieren.

Aber nicht nur die Verschleierung von vorehelichen Vergnügungen und eine korrupte Justiz machen Probleme, auch der Alltag von Sara (Zhara Amir Ebrahimi) als einer verheirateten Iranerin hält einigen Druck bereit. So ist zum Beispiel Saras beruflicher Werdegang komplett von der Erlaubnis ihres Mannes abhängig, dieser wünscht sich jedoch ein Kind und kann mit seinem Stolz als zukünftiger Familienvater nicht vereinbaren, dass seine Frau berufstätig sein „muss“. Um dem heimischen goldenen Käfig nebst traditionell lebenden Schwiegereltern zu entgehen, hat Sara bisher jede Schwangerschaft heimlich beenden lassen. Die Schicksale der vier jungen Menschen verweben sich im Zuge der Filmhandlung und hängen am Ende alle irgendwie zusammen – für einige von ihnen mit tragischen Folgen. Für andere führt der Weg zurück in die gleichbleibende Frustration zwischen heimlicher Freiheit und sittlichem Schein. Die beste Metapher für die Gesellschaft, die Teheran Tabu widerspiegelt, ist wohl Saras Schwiegervater, der immer dann, wenn jemand sein Fernsehzimmer betritt, hastig vom Pornosender auf das staatliche Nachrichtenprogramm zurückschaltet.

Es wird schnell klar, dass dem Regisseur vor allem anderen am aufklärerischen Potenzial und der Botschaft seines Films gelegen ist. Der Stoff ist hoch brisant und greift fest in der Gesellschaft verankerte Vorstellungen und Tabus an. Das eigentliche Tabu, so erklärt der Regisseur, ist dabei nicht das Nichteinhalten der Regeln an sich, denn dass diese alltäglich immer wieder gebrochen werden, ist bekannt. Das Tabu ist das Sichtbarmachen der Verstöße, der Angriff auf die schimmernde Fassade, das Ignorieren des gesellschaftsinternen Kommunikationscodes.

Für die musikalische Ausstattung sorgt Ali N. Askin, der seit den 90er Jahren Filmmusik unter anderem auch für das deutsche Fernsehen produziert (Tatort: Das Muli; Türkisch für Anfänger).

Das comicartig verfremdete Bildmaterial hat, auch wenn es in dieser Form der Not gehorchend entstand, eine ganz besondere Wirkung.  Der Stil schafft einerseits Distanz, da sich der westliche Zuschauer zusätzlich zu den fast unvorstellbar fremden Lebensumständen auch noch mit der Künstlichkeit der Bilder konfrontiert sieht. Es wirkt surreal, wie eine urbane Dystopie. Packend und real, fiktiv und doch im Kern dokumentarisch zieht Teheran Tabu den Zuschauer schon mit der ersten Szene ganz in seinen Bann und lässt ihn mit einer Mischung aus Faszination, Unglauben und Beklemmung zurück.

Die Machart und die Atmosphäre erinnern an Vincent Paronnauds und Marjane Satrapis preisgekrönten Animationsfilm Persepolis (2007), in dem eine Iranerin Teheran aus Angst vor dem Golfkrieg und der Unterdrückung als junges Mädchen verlässt und nach Wien geht. Auch hier ist die Geschichte zeichnerisch erzählt und zeigt die Repression einer Gesellschaft durch einen autoritären Staat. Und auch Teheran Tabu hat eine Verbindung zu Wien, große Teile der deutsch-österreichischen Koproduktion wurden nämlich in Wien gedreht. Kaum vorstellbar, wenn man sich die Settings im fertigen Film ansieht.

Im Iran, da macht sich Regisseur Ali Soozandeh keine Illusionen, wird der Film offiziell nicht zu sehen sein, aber er ist zuversichtlich, dass Teheran Tabu das iranische Publikum auf anderen Wegen trotzdem erreichen wird.

Teheran Tabu
Deutschland, Österreich 2017
Regie: Ali Soozandeh
Darsteller*innen: Arash Marandi, Alireza Bayram, Zahra Amir Ebrahimi, Elmira Rafizadeh u.a.
Spieldauer: 96 Minuten

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

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