Warnung vor den Frauengeschichten eines Mannes

Von Jörg Wesche

Letzte Werke. Ein nicht einfaches Thema. Auch großen Dichtern ist hier mitunter wenig Glück zur Hilfe geeilt. So ist es offenbar auch der berühmten Stimme eines anderen Deutschlands ergangen, die im Nachkriegslärm wie die Fahrt in einer Luxuslimousine aus den 20er Jahren klingt. Zwar ist dem Autor zuletzt noch die Fragment gebliebene Geschichte über ein Glückskind gelungen; die letzte abgeschlossene Erzählung jedoch ist vor allem eines: eine Geduldsprobe.

Liebe und Altersunterschied. Sowieso ein entnervendes Thema, das allenfalls bei Fontane einigermaßen erträglich bearbeitet wird. Hier, in der umgekehrten Reihenfolge der Geschlechter, wird es jedenfalls nicht besser. Auf der einen Seite eine von Thümmler – adlige Sphäre; auf der anderen Seite Ken Keaton, der jugendstrotzende Amerikaner als weltläufiger Hauslehrer der behinderten Tochter. Schon beim Namen des späten Lenz-Abkömmlings bleibt man ratlos zurück. Diese Liebesgeschichte mit toy boy kann nur schiefgehen. Was soll auch dabei herauskommen, wenn man sich die Gleichsetzung der Wechseljahre mit dem Verlust der Weiblichkeit zum Grundthema erwählt und die vermeintliche ‚Blüte des Blutes‘ im späten Körper dann auch noch als Gebärmutterkrebs entlarvt. Und an Ken, dem Sehnsuchtsobjekt der Mutter, soll nicht zuletzt die frisch erworbene Amerikakenntnis des Autors zum Glänzen gebracht werden.

Das Ergebnis: „Ken war, wie er bei Tische erzählte, in einer kleinen Stadt eines östlichen Staates geboren, wo sein Vater in wechselnden Berufen tätig gewesen war, einmal als broker, einmal als Leiter einer Tankstelle, und im real estate business hatte er zeitweise auch etwas Geld gemacht. Der Sohn hatte die High School besucht, wo man, wenn man ihm glauben sollte,– ‚nach europäischen Begriffen‘, wie er respektvoll hinzufügte – überhaupt nichts lernte, und war dann […] in Detroit, Michigan, in ein College eingetreten, wo er sich das Studium durch seiner Hände Arbeit, als Geschirrwäscher, Koch, Speisenträger, Campus-Gärtner verdient hatte.“

Bei der Gartenarbeit trägt Ken übrigens „gar nichts am Oberkörper, aber Handschuhe“, weshalb der Thümmlerin die magische Faszinationskraft seiner schönen Hände erklärlich wird. Und schließlich kommen auch noch ‚ambivalente‘ Leitmotive aus der Natur wie die giftige Herbstzeitlose oder – das hätte man wirklich lieber bleibengelassen – der anziehende Moschusduft eines „mit Schmeißfliegen […] umflogene[n] Unrathäufchens“ hinzu. Überhaupt hält einen gerade die peinlich ausgearbeitete Geruchskulisse des Romans auf Distanz. Betrachtet man es aus dieser, hat die Literaturgeschichte Düsseldorfs sicher bessere Deutschlandmärchen zu bieten. Wer sich dennoch entschließt, das Buch zu lesen, fühlt sich am Ende um Lebenszeit betrogen.

Ein Beitrag aus der Rubrik „Stiftung Jahrestest 2016“

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen