Die Biografie eines Rätsellebens

Zur Neuauflage der Lou Andreas-Salomé-Biografie „Wie ich Dich liebe, Rätselleben“

Von Anja BeisiegelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anja Beisiegel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Welt, sie wird dich schlecht begaben, glaube mir’s! Sofern du willst ein Leben haben: raube dir’s!“ Das ist einer der Wahlsprüche, nach denen Lou Andreas-Salomé ihr Leben gestaltete. Michaela Wiesner-Bangard und Ursula Welsch spüren in ihrer Biografie diesem selbstbestimmten und freien Leben nach.

Bereits in den 1980er Jahren haben sich die beiden Autorinnen in ihrem Buch Vom „Lebensurgrund“ zur Psychoanalyse mit Lou Andreas-Salomé befasst. 2002 wurde diese Arbeit (gekürzt) im Reclam Verlag als Taschenbuch unter dem Titel Wie ich Dich liebe, Rätselleben veröffentlicht. Rolf Löchel bezeichnete dieses Buch in literaturkritik.de als „verstümmeltes Standardwerk“. Nun liegt – wieder bei Reclam – eine Neuausgabe vor.

Bereits Löchel bemängelte die Streichungen in der Bibliografie. Für die nun vorliegende Ausgabe wurde die Bibliografie nicht aktualisiert und nur minimal ergänzt (so fehlt zum Beispiel die Andreas-Salomé-Biografie von Kerstin Decker aus dem Jahr 2010). Diese Lücken mögen bedauerlich sein, stören die Lektüre jedoch kaum. Enttäuschend ist allerdings, dass auch bei der nun vorliegenden Neuausgabe auf Abbildungen völlig verzichtet wurde. So muss man beim Lesen auf das skurrile Foto der „Dreieinigkeit“ bestehend aus der noch jungen Lou Salomé (mit Peitsche auf einem kleinen Leiterwagen stehend), Friedrich Nietzsche und Paul Rée (gemeinsam die Deichsel haltend) leider verzichten. Ein Zitat aus dem „Lebensrückblick“ schildert, dass Nietzsche sich „persönlich und eifrig mit dem Zusammenkommen von Einzelheiten“ befasst hatte und sowohl für den „kleinen/ zu klein geratenen!) Leiterwagen“ als auch den „Kitsch des Fliederzweigs an der Peitsche“ verantwortlich zeichnete.

Sieht man von den bereits beklagten Mankos ab (und nimmt eventuell ergänzend die Bildbiografie von Ulrike Welsch und Dorothee Pfeiffer zur Hand, die 2007 bei Reclam erschienen ist), verschafft die Lektüre einen spannenden und anschaulichen Einblick in das ungewöhnliche und vielseitige Leben Andreas-Salomés.

Das gut gelungene Einbinden einer Fülle von Originalzitaten aus Andreas-Salomés Selbstzeugnissen und Briefen und den Berichten ihrer Zeitgenossen vermittelt ein plastisches Bild der vielen Facetten dieser besonderen Frau: Sie sammelte geistreiche Menschen um sich und lebte mit Rée und Nietzsche eine ungewöhnliche Ménage-à-trois. Später war sie Schülerin Sigmund Freuds und arbeitete engagiert in eigener Praxis als Psychoanalytikerin. Andreas-Salomé war in vieler Hinsicht ihrer Zeit voraus. Zeitlebens verzichtete sie darauf, sich Konventionen zu unterwerfen. Sie trug Reformkleidung, ernährte sich vegetarisch, gärtnerte und hielt in ihrem Garten Tiere.

Den Autorinnen gelingt ein umfassender Blick auf Lou Andreas-Salomés Leben und Schaffen. Sie setzen sich mit ihrer Stellung zur Frauenbewegung auseinander, beleuchten ihre Arbeit im Bereich der Psychoanalyse ebenso wie ihr schriftstellerisches Werk. Natürlich werfen sie dabei immer wieder einen Blick in ihr unkonventionelles und rastloses Privatleben.

Titelbild

Michaela Wiesner-Bangard / Ursula Welsch: Lou Andreas-Salomé. „…wie ich Dich liebe, Rätselleben.“. Eine Biographie.
Reclam Verlag, Stuttgart 2017.
296 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783150204863

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