Wie die Moderne nach Leipzig kam

Der Band „Impressionismus in Leipzig“ bringt mehr als nur Lokalhistorisches

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Leipzig galt zwar um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert als Stadt der Messe, der Musik, der Wissenschaft und der Buchkunst, aber keineswegs der bildenden Kunst. Das sollte sich jedoch im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg ändern. Es waren die deutschen Impressionisten Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt, die durch ihre Ausstellungen in Leipziger Galerien und im Leipziger Kunstverein ein neues Verständnis für die Kunst der Moderne hervorriefen. Liebermann durch eine mehr kühle, ausgewogene, farbig verhaltene Interpretation der Natur, bei der, trotz „hyroglyphenartig“ abgekürzter Gegenstandsangabe, Raumordnung und zeichnerische Bestimmtheit bewahrt bleiben, Corinth durch eine Malerei voll vitaler Leidenschaft, die schon zum Expressionismus überleitet, und Slevogt, angeregt namentlich von der Welt des Theaters, mit einer Darstellungsweise von beschwingter, heiterer Musikalität. Damit spielte Leipzig nun zwar keine Vorreiterrolle, ordnete sich aber doch in die Reihe der favorisierten Kunststädte Berlin, Dresden und München ein.

Als Umschlags- und Vermittlungsort impressionistischer Kunst in den Jahren 1900 bis 1914 ist Leipzig in einer dreiteiligen Ausstellung des Museums der bildenden Künste präsentiert worden, die die Werke des „Dreigestirns des deutschen Impressionismus“, die damals gezeigt wurden, wieder zusammenführte (Liebermann bis 16.2., Slevogt bis 19.4., Corinth bis 1.6.). Dem Aufbruch Leipzigs zu einer modernen Großstadt – vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges – soll nachgespürt werden. Welche Gemälde wurden seinerzeit in Leipzig gezeigt, wie wurden sie damals eingeschätzt? Wer waren die Galeristen oder Privatsammler, die sich um diese Maler bemühten? Welche Rolle spielte damals der Leipziger Kunstverein? Und – das ist eine Frage, die angesichts der sich zu dieser Zeit in der sächsischen Metropole häufenden Ausstellungen besonders interessiert: Warum hat das Museum der bildenden Künste damals keine oder nur wenige Werke angekauft?

Der von Marcus Andrew Hurttig und Alfred Weidinger herausgegebene Katalog gibt umfassend Auskunft. Zunächst einmal stellt Hurttig eine genaue Recherche der Leipziger Impressionisten-Ausstellungen in diesem Zeitraum an. Man muss ja dabei bedenken, dass der Impressionismus in Deutschland drei Jahrzehnte später als in Frankreich kam. Es war die Kunsthalle P. H. Beyer & Sohn in Leipzig, die 1903 die erste Personalausstellung von Lovis Corinth offerierte, darunter Hauptwerke wie Selbstporträt mit Skelett, eine Auseinandersetzung mit der idealistischen Malerei, die dem Glauben an die Transzendenz huldigt, Diogenes, Versuchung des hl. Antonius und Odysseus im Kampf mit dem Bettler, mythologische Neuinterpretationen mit einer Vielfalt menschlicher Gesten und Stellungen, oder Mädchen mit Stier, das symbolisch – und selbstironisch – die aktuelle Beziehung des Künstlers zu seiner späteren Frau Charlotte Berend zeigt.

1904 fand auch durch den Leipziger Kunstverein die erste Einzelausstellung mit Liebermanns verfeinerter Sinnenkunst statt, darunter Hauptwerke wie die in Thema wie Komposition schon in die Zukunft weisenden Altmännerhaus in Amsterdam, Kartoffelernte in Barbizon, Kleinkinderschule in Amsterdam, Die große Bleiche, Münchener Biergarten, Schweinemarkt in Haarlem und Papageienallee. Noch im gleichen Jahr folgte Slevogt, mit dem Triptychon Der verlorene Sohn, das den Moment der Überraschung über das Wiedersehen als spontane Reaktion hervorhebt, Sommermorgen, das Slevogts souveränen Umgang mit dem Licht zeigt, Tiger im Zoo, Der Ritter und die Frauen und mehrere Porträts des Opernsängers Francisco d’Andrade. Der Triumph des Lichtes ließ sich in der Farbgestaltung seiner Gemälde spannungsvoll und abwechslungsreich darstellen.

1907 wurde abermals Liebermann, zusammen mit Leistikow, ausgestellt. Jetzt würdigte die Leipziger Presse Liebermanns Nähe zu den französischen Impressionisten, zu Claude Monet und Auguste Renoir, die sie drei Jahre zuvor vermieden hatte, und konstatierte, dass er dieser Kunstströmung in Deutschland zum Durchbruch verholfen habe. Dann – 1910 – wurde Slevogt, dem zeitweiligen Rivalen von Liebermann und Corinth, zum zweiten Mal eine Einzelausstellung gewidmet. Dennoch wurde damals kein Werk von Liebermann oder Slevogt vom Museum für bildende Künste angekauft.

Anfang 1911 zeigte der Leipziger Kunstverein Corinths monumentales Golgatha-Triptychon, das dieser 1910 für seine Vaterstadt Tapiau in Ostpreußen geschaffen hatte und das seit 1944 als verschollen gilt. Im Herbst 1911 folgte die erste große Einzelausstellung Corinths in Leipzig. In der Presse wurde er weniger stark als Impressionist wahrgenommen, wohl weil vor allem biblische Themen gezeigt wurden – die altdeutsche Malerei, Matthias Grünewald, Rembrandt und Peter Paul Rubens wurden als Vorbilder angegeben. Doch auch hier blieb ein Kauf durch das Museum aus. Der Museumsdirektor Theodor Schreiber und auch sein Nachfolger Julius Vogel hatten eine deutliche Präferenz für Max Klinger. Dessen Gemälde Die Blaue Stunde wurde 1904 für eine hohe Summe angekauft. Und für das Beethoven-Denkmal, das 1902 in der Wiener Secession ausgestellt war, wurde extra ein „Komitee zur Gewinnung der Beethovenstatue Max Klingers“ gegründet; trotzdem zog sich die Finanzierung über zehn Jahre hin. Erst 1912 durfte die Stadt Leipzig das imposante Werk „ihr Eigen nennen“. 1918 wurde dann auch Klingers Monumentalgemälde Die Kreuzigung erworben.

Auf Klingers Initiative hatte der Deutsche Künstlerbund 1911 in seiner zweiten Jahresausstellung eine deutschlandweit beachtete Schau zeitgenössischer – und auch expressionistischer – Künstler veranstaltet, in der Liebermann mit seinen Strandlandschaften, Corinth mit zwei großformatigen Figurenbildern, Harem und Schmiede des Vulkans, und Slevogt mit Porträts vertreten waren. Schon länger schwelende Differenzen im Künstlerverein führten zur Gründung eines Vereins Leipziger Jahresausstellung (LIA) mit Klinger als Vorsitzenden – Conny Dietrich berichtet im Katalog darüber. 1912 führte der Verein seine erste Jahrestagung mit über 900 Werken von 280 Künstlern durch, darunter die in Deutschland noch weithin unbekannten Künstler Paul Cézanne, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Camille Pissarro, Monet und Renoir, aber auch jüngere Vertreter wie Henri Matisse und Pablo Picasso.

Doch wie verhält es sich nun mit Werkkäufen der drei deutschen Impressionisten durch das Museum für bildende Künste? Birgit Brunk weist den Vorwurf, dass zu wenig zeitgenössische Kunst erworben wurde, entschieden zurück. Ja, sie macht sogar darauf aufmerksam, dass sich das Museum in die öffentlichen Sammlungen einreihte, die frühzeitig Liebermann erwarben, so bereits 1896 Rast in den Dünen und ein Jahr später Die Konservenmacherinnen. Das nächste Liebermann-Gemälde, Studie aus Holland, war eine Schenkung, während wiederum das Selbstbildnis mit Strohhut 1912 angekauft, (allerdings 1937 gegen ein Gemälde Klingers eingetauscht) wurde. Dagegen wurden erst 1909 vier Druckgrafiken Corinths erworben, 1910 erhielt das Museum dessen Kreuzabnahme (1895), Ausdruck einer verzweifelten menschlichen Tragödie, als Geschenk, was allerdings auf widersprüchliche Reaktion stieß. Der mit beiden Armen ausgreifenden Gebärde der Christusfigur antwortet der im Profil mit entblößter Brust gegebene Halbakt der Maria Magdalena. Es war übrigens das erste Bild, das der damals 17-jährige Corinth verkaufen konnte. 1908 fanden zunächst Lithografien von Slevogt Eingang in die Grafische Sammlung. Die Galerie Ernst Arnold in Dresden verkaufte dem Museum 1915 dann das Bild Godramstein. Es war der Heimatort seiner Frau, den Slevogt öfter als Motiv seiner Bilder verwendete.

Dazu kommt, dass führende Galerien wie Ernst Arnold in Dresden oder Paul Cassirer in Berlin Verkaufsausstellungen im Leipziger Museum, eben auch mit Werken Liebermanns, Slevogts und Corinths, veranstalteten. Wenn man dann noch weiß, wie sich auch Leipziger Galerien wie die Kunsthalle Beyer & Sohn oder Pietro Del Vecchio für die Moderne eingesetzt haben, wie viele Privatsammler es in Leipzig gab – Dietulf Sander gibt hier einen beeindruckenden Überblick –,  die hervorragende Werke der deutschen Impressionisten in ihrem Besitz hatten und sie Ausstellungen zur Verfügung stellten, dann kann man schon eine erstaunliche Bilanz über die Impressionismus-Rezeption in Leipzig ziehen. Leipzig hat Liebermann, Slevogt und Corinth mit zur deutschlandweiten Geltung verholfen.

Titelbild

Marcus Andrew Hurttig: Impressionismus in Leipzig 1900-1914. Liebermann, Slevogt, Corinth.
Henschel Verlag, Berlin 2019.
191 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-13: 9783865024251

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