Auswanderer und Davongejagte

Der Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Stefan Zweig verfolgt die Verästelungen ihrer lebenslangen Beziehung

Von Galina HristevaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Galina Hristeva

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Dichter sind die geborenen Seismographen tragischer Verkettungen.“ Diese Wahrheit gilt in der deutschsprachigen Literatur in besonderem Maße für Thomas Mann und Stefan Zweig. Eindrücklich enthüllt wird dieser wichtige Schnittpunkt zwischen ihnen in der neuen, als 51. Band der Reihe „Thomas-Mann-Studien“ veröffentlichten Edition des Verlags Vittorio Klostermann in Frankfurt am Main. Herausgeber des Bandes sind Katrin Bedenig, Leiterin des Thomas-Mann-Archivs der ETH Zürich, und Franz Zeder, ein ausgewiesener Kenner Thomas Manns. Von ihm stammt auch der oben zitierte Satz. Neben der Korrespondenz zwischen Mann und Zweig enthält der vorliegende Band auch eine Fülle an Dokumenten, Materialien und von Franz Zeder verfasste, umfangreiche Analysen „zu den Stationen einer lebenslangen Begegnung“ der beiden Autoren „im Schnittpunkt von Literatur, Politik und Musik.“

Die nicht immer einfache Beziehung zwischen Thomas Mann und Stefan Zweig entfaltete sich zwischen mehreren persönlichen Begegnungen – der ersten 1920 bei Thomas Mann im Münchener Bogenhausen und der letzten im Jahre 1939 wieder bei Thomas Mann in Princeton. Besuche Thomas Manns auf dem Kapuzinerberg bei Salzburg, in Stefan Zweigs grandiosem Domizil, sind ebenfalls belegt. Der vorliegende Briefwechsel selbst beginnt im Jahre 1911 mit Thomas Manns Brief an Zweig vom 10. November, in dem sich Mann für die Zusendung von Zweigs Novellensammlung „Erstes Erlebnis“ bedankt, und endet mit Manns Brief an Zweigs Ex-Ehefrau Friderike Zweig vom 15. September 1942, in dem er seine Stellung zu Zweigs Selbstmord erläutert. Der letzte hier abgedruckte Brief von Zweig an Mann stammt vom 29. Juli 1940 und wurde in New York geschrieben. Wie Zweig in diesem Brief bekundet, ist Emigration eine „Verschiebung des Gleichgewichts“, eine „Gleichgewichtsstörung“, von der sowohl er selber als auch Thomas Mann betroffen war. So präsentiert sich die Korrespondenz als Geschichte und Dokument dieser Gleichgewichtsstörung, des Umgangs mit ihren Ursachen und Folgen.

Bis zur Emigration spiegelt der Briefwechsel die Geschichte zweier hoch begabter, hoch kultivierter Schriftsteller, für die Literatur nicht zuletzt eine „Gabe“, ein „schönes wertvolles Geschenk“ ist (Thomas Mann) und die durch die Zusendung ihrer literarischer Erzeugnisse einander Respekt zollen und Freude bereiten. Am 9. September 1917 lobt beispielsweise der sonst eher kühlere Thomas Mann überschwänglich Zweigs Drama „Jeremias“:  „Nehmen Sie meinen aufrichtigen und wahrhaft respektvollen Dank für Ihre kühne, großartige Dichtung. Ich stehe noch ganz unter ihrem Eindruck, vorderhand noch ein wenig betäubt von ihrem alttestamentarischen Pathos.“ Voller Elan – auch wenn die Briefe meist kurz und ziemlich förmlich sind – kommentieren die beiden Künstler und Kunstbetrachter ihre eigenen Texte sowie andere literarische und ästhetische Fragen, zum Beispiel die „plastisch-epische“ Welt Lew Tolstois, die sie von der abgründigen Welt Fjodor Dostojewskijs abzugrenzen versuchen (Mann an Zweig am 28. Juli 1920).

Doch immer wieder mischt sich Thomas Manns Unbehagen an der Entpolitisierung der Literatur in den Diskurs ein. Zweig versäumt es auch nicht, schon am 7. Februar 1933 Mann für seine „aufrechte und kühne Haltung“ in einer Zeit, in der „mit Dreck geschmissen wird“, zu loben, war doch Mann unverzüglich nach Hitlers Machtergreifung auf Distanz zu den neuen Machthabern gegangen. Der Verfasser des Dramas „Jeremias“, der nie um eine düstere Vorhersage verlegen war, prophezeite hier: „Sie werden noch viel Unbill zu erdulden haben, weil Sie von Ihrer Überzeugung sich nicht zur Bequemlichkeit oder Conjunctur abdrängen liessen“.

Die damalige politische Lage beschreibt Thomas Mann am 25. Februar 1933 knapp und erbarmungslos: „Deutschland ist in einem unglaubwürdigen Zustand. Viele werden sich nachher doch wohl schämen.“ Aus der viel wortreicheren Feder Zweigs kommt dann am 18. April 1933: „Denn Dementieren gibt es heute nicht mehr, die Lüge spannt frech ihre Flügel und die Wahrheit ist vogelfrei; die Kloaken stehen offen und die Menschen atmen ihren Gestank ein wie einen Wohlgeruch.“ Im Jahre 1936, als Thomas Mann seine deutsche Staatsangehörigkeit verlor, sollte Stefan Zweig seinem deutschen Kollegen mit einem ironischen Seitenhieb gegen die Nazis zur „öffentlichen Ernennung zum Weltbürger bei gleichzeitiger Entziehung des Staatsbürgertums“ gratulieren.

In der Beziehung der beiden „repräsentativen Autoren einer zu Ende gehenden Epoche des Humanismus“ (Franz Zeder) mangelt es jedoch auch nicht an Misstönen. Diese erschließen sich weniger aus der Korrespondenz selbst, in der die gegenseitige Wertschätzung dominiert, als aus den weiterführenden Texten und Materialien im zweiten Teil des Bandes. So vermerkte Mann in seinem Tagebuch über Zweigs Buch „Maria Stuart“, es sei „trivial“ und „schmalzig geschrieben“. Die Hauptkontroverse entwickelte sich aber in der Frage nach der Verantwortung des Schriftstellers, seiner Haltung in einer stürmischen Zeit. Thomas Mann konnte sich vor allem mit Stefan Zweigs Pazifismus nicht anfreunden. Dessen Selbstmord kommentierte er in seinem Brief an Friderike Zweig folgendermaßen: „War er sich keiner Verpflichtung bewusst gegen die Hunderttausende, unter denen sein Name groß war, und auf die seine Abdankung tief deprimierend wirken mußte? Gegen die vielen Schicksalsgenossen in aller Welt, denen das Brot des Exils ungleich härter ist, als es ihm, dem Gefeierten und materiell Sorgenlosen war?“ Bekanntlich sollte Thomas Mann aber sein Urteil über Stefan Zweigs Pazifismus später anlässlich seines zehnten Todestages relativieren: „Aber seitdem wir erfahren haben, wie auch ein guter Krieg nichts als Böses zeitigt, denke ich anders über seine Haltung von damals – oder versuche doch, anders darüber zu denken.“

Der hier vorliegende Briefwechsel ist die erste vollständige Edition der Briefe zwischen Thomas Mann und Stefan Zweig, wobei mehrere Briefe zum ersten Mal veröffentlicht werden. Die Originalbriefe Thomas Manns aus dem Zeitraum von 1911 bis 1933 sind nach Auskunft der Herausgeber in der National Library of Israel in Jerusalem zu finden, Manns restliche Briefe an Zweig befinden sich im Privatbesitz. Die Originalbriefe Stefan Zweigs wiederum gehören zu den Beständen des Thomas-Mann-Archivs der ETH-Bibliothek in Zürich.

Nach der doch recht schmalen und überschaubaren Korrespondenz erhellen die Analysen, Dokumente und Materialien, die den Großteil der Edition ausmachen, verschiedene Aspekte der Mann-Zweig-Beziehung, die jeweiligen Positionen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Schriftstellern. Es ergibt sich ein ungemein dichtes Netz an Querverbindungen. Ergänzt wird der Band durch mehrere ,Seitenblicke‘ (etwa auf die „beschwerliche Freundschaft“ zwischen Stefan Zweig und Klaus Mann, der in seinem Tagebuch Zweig als „sehr charmant, gesprächig, jedoch durchaus würde- und charakterlos“ bezeichnet hat), durch ein „Zwischenspiel“ über Stefan Zweig im Tagebuch von Thomas Mann sowie ein „Endspiel“ und einige „Nachspiele ab 1945“  im Schnittpunkt von Musik und Literatur.

So sehr der von Franz Feder vorgelegte, überaus wuchtige Materialienteil die eigentliche Korrespondenz zu übertönen droht, erweist er sich als ein tiefgründiger und differenzierter Beitrag zur Forschung sowohl über Thomas Mann als auch über Stefan Zweig. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Zeder die Ablehnung von Zweigs „Maria Stuart“ mit Thomas Manns allgemeiner Ablehnung des Genres des biografischen Romans begründet, oder wenn er zeigt, dass Thomas Manns „indolente Erbarmungslosigkeit“ bei der Verurteilung von Stefan Zweigs Selbstmord „nicht purer Süffizanz entsprang“. Hiermit baut Zeder Brücken zwischen der Mann- und der Zweigforschung. Vermissen lassen sich in dieser sehr detaillierten Auseinandersetzung mit der Beziehung der beiden Autoren hingegen konkretere Informationen und Kommentare über die Geschichte und den Charakter des hier abgedruckten Briefwechsels.

Hauptsächlich chronologisch geordnet, ist dieser souverän zwischen Zweig und Mann balancierende Beitrag Franz Zeders zugleich eine Art Biografie über das Doppelobjekt Mann-Zweig. Die Parallelführung, die Zeder verfolgt und größtenteils erfolgreich durchsetzt, zeigt zunächst den Kontrast zwischen Mann, dem Zweig das „Ethos der Verantwortlichkeit“ bescheinigte, und Zweig, dem viele Zeitgenossen Resignation und Eskapismus attestierten – zwei unterschiedliche Umgangsweisen mit der Gleichgewichtsstörung „Emigration und Exil“. So gesehen mögen Mann und Zweig als Antagonisten erscheinen. Zeder selbst schließt seine Analysen mit der melancholischen Schlussfolgerung über diese „Freundschaft“, die „nicht existiert hat“: „Thomas Mann und  Stefan Zweig waren zueinander weder ‚Freund‘ noch ‚Feind‘. Die beiden Titanen der Erzählkunst begegneten einander sachlich und distanziert und durchlebten nur einige wenige Phasen des näheren Zueinanderrückens. Man darf diese verhaltene Performanz bedauern als ein Versäumnis der deutschsprachigen Literatur- und Exilgeschichte“.

Zusammen mit den vielen, im Buch minutiös aufgedeckten und erörterten Schnittpunkten, ergeben Briefwechsel und Analysen jedoch ein harmonischeres Bild der Beziehung der beiden „Seismographen tragischer Verkettungen“. Sei es, wenn es um das gemeinsame Interesse am Humanisten Erasmus von Rotterdam oder um den Einsatz für andere Emigranten und die Beteiligung an einer Zahl von Hilfsprojekten ging (hier lautet Zeders Fazit über Zweig: „Diskreter und großzügiger, blieb sein öffentliches Engagement hinter Thomas Manns Initiativen nicht zurück“), es lassen sich viele Übereinstimmungen zwischen beiden Autoren finden, die nahelegen, dass es wenig Sinn ergibt, sie gegeneinander auszuspielen: Beide waren durch das Band des „Leidens an Deutschland“ und an ihrer Zeit verbunden und aus dem Gleichgewicht gebracht. Am 24. April 1933 schrieb Thomas Mann an Stefan Zweig: „Sie haben auch zu leiden, ich hätte das kaum geglaubt, und es verstärkt die Gefühle des Abscheus gegen die Art von Historie, die wir verdammt sind, zu erleben.“

Bereits am 18. November 1933 hatte Zweig Thomas Mann seine wichtigsten Prioritäten mitgeteilt: „Ob es denkbar ist weiter bei einem deutschen Verleger zu bleiben [sic] wird mir immer zweifelhafter, denn an eine Freiheit des Wortes und des persönlichen Handelns ist dann kaum mehr zu denken.“ Dass diese Werte auch Thomas Mann wichtig waren, steht außer Frage. Als Manns „Lotte in Weimar“ 1939 erschien, wurde das Buch von Zweig in seinem Brief vom 8. Dezember 1939 als „die denkbar edelste Absage an das Deutschland des Dritten Reiches zugunsten des unvergaenglichen“ charakterisiert. Beide – der „Genius der Verantwortlichkeit“ Thomas Mann und der „Genius der Begeisterung“ Stefan Zweig – hatten sich der „Verbreitung des Guten“ (Thomas Mann) in einer „Zeit des Irrwitzes“ (Stefan Zweig) verschrieben, um, „den lebendigen deutschen Geist durch Nacht und Winter hindurch zu führen“ (Thomas Mann).

Titelbild

Katrin Bedenig / Franz Zeder (Hg.): Thomas Mann – Stefan Zweig. Briefwechsel, Dokumente und Schnittpunkte.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 2016.
464 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-13: 9783465039532

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