Auf der Pflanze für die Ewigkeit

Zara Zerbes „Phytopia Plus“ lotet die Möglichkeiten der Unsterblichkeit aus

Von Bozena BaduraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bozena Badura

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Traum von der Unsterblichkeit bewegt die Menschheit seit dem Anbeginn ihrer Geschichte. Doch während es früher nur durch herausragende (leider nicht nur positive) Taten möglich war, zumindest den Namen und das Lebenswerk unsterblich zu machen, bietet die rasante Entwicklung der Technologie bald sicherlich für alle Interessierten eine Möglichkeit, unser Bewusstsein nach dem Tod der sterblichen Hülle ins Digitale zu übertragen und auf diese Weise unsterblich zu machen. Einer dieser Möglichkeiten geht Zara Zerbe in ihrem Debütroman Phytopia Plus nach, indem sie eine Welt entstehen lässt, in der der Traum vom Leben nach dem Tod zum Geschäftsmodel eines Hamburger Biotech-Konzerns Drosera AG wird. Phytopia Plus ist mehr als nur eine düstere Zukunftsvision. Denn es thematisiert nicht nur den Klimawandel und die Manipulation des pflanzlichen Erbguts, sondern auch die sozialen Ungerechtigkeiten und systemischen Machtstrukturen.

Im Zentrum der Handlung steht Aylin, eine junge Frau aus armen Verhältnissen mit einer Leidenschaft für Pflanzen. Da natürliche Ressourcen, insbesondere samenfestes Saatgut sowie Obst und Gemüse, zum gefragten Gut werden, bessert sie ihr Einkommen mit dem Verkauf von Setzlingen auf dem Schwarzmarkt auf. Seit einiger Zeit arbeitet sie in einem der Treibhäuser des umstrittenen Unternehmens und versorgt Pflanzen, auf denen gegen eine Gebühr von 350.000 Euro menschliche DNA für die Ewigkeit gespeichert werden kann. Seit sie den Zugang zu seltenen Pflanzen hat, die durch eine besonders schöne Maserung auffallen, lässt sie immer wieder Ableger mitgehen, bis sie ins Visier der Geschäftsleitung gerät.

Die Handlung ist gut strukturiert und überzeugt durch anhaltende Spannung, die nicht zuletzt durch die Krimielemente erzeugt wird. Dabei ist die emotionale Grundeinstellung des Romans weder Nostalgie der vergangenen Zeit gegenüber noch die Dämonisierung der Zukunft. Vielmehr konzentriert sich der Roman auf das Hier und Jetzt, was jedoch die Ausweglosigkeit der aktuellen Situation unterstreicht. Auch wenn die Unterteilung der Gesellschaft in Reiche und Arme deutlich dargestellt wird, begehrt die Protagonistin nicht gegen das Klassensystem auf, sondern willigt stumm in die vorherrschenden Strukturen sowie in die Macht der künstlichen Intelligenz ein, der nun die meisten führenden und kontrollierenden Aufgaben übertragen werden. In diesem Sinne ist Aylin keine Rebellin, sondern erinnert vielmehr an den Typus des „Kleinen Mannes“, der versucht, in Krisenzeiten über die Runden zu kommen. Sowohl die Protagonistin als auch die Nebenfiguren sind nuanciert dargestellt, auch wenn die Autorin – insbesondere zur Beschreibung der privilegierten Teile der Gesellschaft – auf klischeehafte Bilder zurückgreift.

Besonders interessant ist die Darstellung der Pflanzen als kommunizierende Gemeinschaft und die Kraft der Natur, die sich vor menschlichen Eingriffen zu schützen vermag.

Der Roman lotet die Grenzen der Wissenschaft aus und wirft ethische Fragen auf, ohne jedoch auf der Textebene in eine explizite Diskussion einzutreten. Spannend ist dabei das dem Roman zugrunde liegende Paradox: Denn während die Menschen die Natur u.a. durch die Genmanipulation zerstören, sollen es die Pflanzen sein, die das Weiterexistieren des menschlichen Bewusstseins garantieren. Dadurch, dass die Situation nun doch gänzlich außer Kontrolle gerät, weist der Roman die Menschheit in ihre Schranken zurück und nimmt Stellung ein.

Insgesamt präsentiert Zara Zerbe mit ihrem Debüt einen inspirierenden Roman, der zum Nachdenken über komplexe Themen anregt, wie soziale Ungleichheit, leitende moralische Prinzipien, die Weiterentwicklung der KI und ihr Einfluss auf die Gesellschaft. Phytopia Plus ist ein fesselnder und tiefgründiger Roman, der jedoch trotz der Schwere mancher der behandelten Themen nichts von seiner erzählerischen Leichtigkeit einbüßt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Zara Zerbe: Phytopia Plus. Roman.
Verbrecher Verlag, Berlin 2024.
300 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783957325815

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