Dichter und Staat

Hans Dieter Zimmermanns Fontane-Buch erzählt, wie Preußen zu seinem besten Romancier kam

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Preußen-Romane, gibt es so etwas? Preußische Dramen, wenn auch im Sinne moralischer Tragödien, hat Heinrich von Kleist geschrieben. Aber Theodor Fontane? In der Forschung gilt er als Autor der Bismarck-Zeit, aber auch als Rundum-Kritiker der preußischen Idee. Nun hat, zum Fontane-Jahr 2019, der Berliner Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmermann sein Buch ausdrücklich dem „preußischen Romancier“ gewidmet.

Was damit gemeint ist, kommt in dem Kapitel „Zum Beamten nicht geeignet“ zum Ausdruck. Fontane hatte 1876 eine Stelle als ständiger Sekretär der Königlichen Akademie der Künste bekommen. Eine Beamtenstelle im preußischen Staat also, mit Festgehalt, Pensionsanspruch, Renommee und auch gewissem Einfluss. Doch nach nicht einmal drei Monaten reichte er seine Kündigung ein, offensichtlich frustriert von der Verwaltungsarbeit und dem preußischen Pflichtethos.

So kann man es lesen, aber da war mehr im Spiel. Fontane vermisste das symbolische Kapital, das der Schriftsteller, der er in „Preußen-Deutschland“ zu werden hoffte, nun einmal nötig hatte: die regierungsamtliche Anerkennung, eine Auszeichnung vom märkischen Adel, ein Ansehen im Staat, das sich auch rechnen ließ, mit seinen eigenen Worten: die „gesellschaftliche Stellung“. An seine Frau, die wohl lieber auf den Beamten als auf den Dichter setzte, schrieb er am 25. März 1880: „Das Geheimnis ist: man muss in Preußen etwas äußerlich sein oder haben.“

Die gute Nachricht ist: In der preußischen Amtsstube wurde der Romancier Preußens geboren. Günter de Bruyn hat ihn in seinem Essay Preußen, deine Dichter (1983) einmal prägnant beschrieben: als einen „Preußen-Kritiker, der ganz in Preußen lebt“, und der hinter die Bismarck-Zeit, wie er selbst 1889 sagte, ein „ernstes Fragenzeichen“ gemacht hat.

Zu Zimmermanns Biografie über den Romancier Preußens gehören neben den Wanderungen, den Theaterkritiken, den Gelegenheitsgedichten und populären Balladen sowie den Korrespondenzen vor allem die Kriegstagebücher. Für Preußens Glorie standen ja stets seine Armeen, nicht seine Dichter und Denker, und wenn es jemals einen preußischen Musenhof gab, dann hatten die Musen dort nicht Deutsch gesprochen, sondern Französisch. Hans Joachim Schädlichs Preußen-Novelle Sire, ich eile (2012) erzählt, wie Friedrich der Große zwar gnädig den Philosophen Voltaire bei Hofe empfing, ihn aber schamlos ausnutzte: „Man preßt eine Orange aus und wirft die Schale weg.“ In einer solchen Gesellschaft hätte aus Fontane beileibe nicht der Romancier werden können, als den wir ihn kennen.

Davon zeugen auch seine Frankreichbücher, Der Krieg gegen Frankreich 1870–71 (1873–75/76) und Aus den Tagen der Okkupation (1872). Fontane ist hier, wie Zimmermann erklärt, Kriegsberichterstatter und Reiseschriftsteller. Er urteilt über den deutsch-französischen Krieg, der vom „Duellkrieg“ zum „Volkskrieg“ wird, frei „von nationalen Tönen“. Er warnt das ‚neue Preußen‘ vor „Absolutismus, Militarismus und Spießbürgertum“ und will es sich, selbst in der Kriegsgefangenschaft, in die er zeitweise geriet, mit den Franzosen nicht verscherzen. Der Krieg gegen Frankreich – Ergebnis von zwei ‚Dienstreisen‘ 1870/71 – war übrigens nicht nur, nach den Darstellungen des deutsch-dänischen und des preußisch-österreichischen Krieges, seine letzte Arbeit dieses Genres, es war auch seine „letzte Auftragsarbeit überhaupt“ (Jürgen Ritte).

Zimmermann vergisst nicht den armen Apotheker und ehrgeizigen jungen Poeten, der in den „Kleindichterbewahranstalten“ (E. Geibel) – wie dem Platen- und dem Lenau-Verein – seine Fortüne suchte und das Genre der Ballade erneuerte, indem er den frühneuzeitlichen Bänkelsang an die damals beliebten Neuruppiner Landschafts-Bilderbögen anschloss: ein Zeichen seiner frühen Modernität. Zur Sprache kommen Fontanes ‚Dazwischenstehen‘, das in der Antisemitismusdebatte einige irritierende, ja peinliche Bemerkungen Fontanes zutage fördert, und das heitere ‚Darüberstehen‘ des Erzählers vor allem im Stechlin.

Zimmermanns Buch liefert eine grundsolide, sympathische Biografie, die Fontanes Weg zum Romancier Preußens, der sich nicht als preußischer Romancier eingemeinden lässt, aus dem Geiste eines menschenfreundlichen und zeitkritischen Schreibens nachzeichnet. Doch die Modernität Fontanes geht sicherlich über seinen Rang als „Romancier Preußens“ hinaus. Insofern ist es ratsam, Gerhard von Graevenitzʼ Studie über Fontane und die ängstliche Moderne hinzuziehen, sich bei Norbert Mecklenburg darüber zu informieren, wie souverän Fontane mit einer „Neugierde zwischen den Fronten“ (Alexander Kluge) die Vielfalt der Diskurse seiner Zeit inszeniert hat, und bei Iwan-Michelangelo DʼAprile (Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung, 2018) zu entdecken, dass Fontane vielfach in die neuen Medienformate seiner Zeit (Zeitung, Liste, Reklamesprache) hineingeschrieben hat.

Titelbild

Hans Dieter Zimmermann: Theodor Fontane. Der Romancier Preußens.
Verlag C.H.Beck, München 2019.
458 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783406734373

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