Von dem, was uns angeht

Corina Caduff versucht sich in einem Essaybändchen an „Szenen des Todes“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Tod geht uns nichts an, befand der griechische Philosoph Epikur vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden. Das Argument, das er für diese nicht ganz alltägliche Ansicht vorbrachte, war gar nicht einmal so schlecht: „Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr“. Dennoch werden sich nicht alle von ihm überzeugen lassen. Und für eben diese ist Corina Caduffs Essaybändchen „Szenen des Todes“ ein wunderbares Geschenk.

In den sieben Essays erkundet die Autorin diverse Aspekte rund ums Sterben, Leichname und das Jenseits, so es denn eines gibt. Merkwürdig abwesend bleiben allerdings Freitod und Sterbehilfe.

Zunächst lädt Caduff ihr Publikum zum Besuch eines Krematoriums ein. Man fühlt sich bei der Führung, die ihr dessen Leiter Herr Zimmermann gewährt, tatsächlich geradezu an ihrer Seite. Nur ist sie die Führende der Lesenden. Der eher persönliche Text mit einigen fast schon intimen Passagen mag gleichwohl auf theoretische Betrachtungen nicht verzichten. So merkt die Autorin etwa an, dass es sich bei Krematorien um Heterotopien im Foucault’schen Sinne handelt. Angesichts dieses doch etwas funeber anmutenden Ortes ist es geradezu folgerichtig, dass ihm ein Text mit dem Titel „Leichen sehen, Tote zeigen“ folgt. Hier beweist Caduff nicht zu letzt ihr aphoristisches Talent. Etwa wenn sie über den Leichnam schreibt, „er bezeugt den Tod, jedoch ohne zu offenbaren, was dieser ist“. Umso unangenehmer berührt in ihrem Bericht über eine „Totenfotografie“, die sie in Kathmandu aufnahm, daher das Ulkwort „nichtsdestotrotz“. Die Negativfolie zum sakralen Akt indischer Totenverbrennung bieten die an den in Mausoleen ausgestellten Leichnamen kommunistischer Führer unter strenger Aufsicht vorüberziehenden Menschenmassen.

Dass sich auch dies noch unterbieten lässt, belegt das „Sterben im Boulevardformat“. Allerdings gewinnt die Autorin selbst noch der niederländischen Sendung „Over Mjin Lijk“, in der an Krebs sterbende junge Menschen mehr als „Fernsehevent“ inszeniert, denn begleitet werden, eine „Ambivalenz“ ab, die „nicht ruhigzustellen“ sei.

Auch das Selbstexperiment scheut die Autorin nicht und begibt sich getrieben von einem untertäglichen Tinnitus in die Hände eines ‚Heilers‘. Ging es in den ersten Essays angemessen pietätvoll zu, wird es nun einigermaßen bizarr. Der übersinnlich begabte Mann stellt ihr Linderung aus dem Jenseits in Aussicht, nachdem er ausfindig gemacht hat, dass ihr verstorbener Vater den Ton im Ohr nutzt, um ihr etwas mitzuteilen.

Da mag man den Kopf schütteln. Abwegiger als ihre Erfahrungen in einem buddhistischen Phowa Kurs, der verspricht, die Teilnehmenden „bewusstes Sterben“ zu lehren, ist das allerdings auch nicht. Der fernöstlichen Weisheitslehre gemäß verlässt der Geist den Körper durch eine von dessen fünf Öffnungen und muss darum ein ums andere Mal wiedergeboren werden. Erlösung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten ist zu erlangen, indem man mittels Meditation eine weitere Öffnung in der Schädeldecke schafft, durch die der Geist auf immer selig entschweben kann. Caduffs Erlebnisse während des Kursus streifen das Groteske. Der leicht ironisierende Ton des Essays ist also durchaus am Platz. Viel absonderlicher aber als in einer Kirche, Moschee oder Synagoge wird es dort bei Lichte betrachtet aber wohl auch nicht zugegangen sein.

In einem der letzten Essays stellt das Bändchen nicht nur seine Diesseitigkeit, sondern auch seine Heutigkeit unter Beweis, denn es gilt dem „eTod“. Es ist sicherlich nicht sonderlich gewagt, wenn Caduff prognostiziert, „dass das Internet bald schon mehr Statements von Toten als von Lebenden bergen wird“. Ihre „Streifzügen durch die virtuelle Grabeswelt“ hinterlassen bei ihr nicht viel mehr als „eine trübe Müdigkeit“. Die Lesenden laufen bei der Lektüre ihrer Essays hingegen nicht einen Moment Gefahr, dass sich ihrer eine ähnliche Ermattung bemächtigt.

Titelbild

Corina Caduff: Szenen des Todes. Essays.
Lenos Verlag, Basel 2013.
241 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783857874345

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