Neue Perspektiven für die deutsch-türkischen Literaturbeziehungen?

Michael Hofmann entwickelt neue Konzepte für eine germanistisch-turkologische Literaturwissenschaft

Von Alexander HoffmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Hoffmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn sich Wissenschaft mit Phänomenen der Gegenwart beschäftigt, dann sind hin und wieder Studien wohltuend, die erreichte Etappenziele markieren und künftige Forschungsperspektiven formulieren. Das gilt auch dann, wenn sich Kulturwissenschaftler mit der deutsch-türkischen Begegnung beschäftigen: Auch hier verschaffen Bücher, welche die Entwicklung aus der Vogelperspektive darstellen, dringend nötige Orientierung.

Seit die ersten türkischen Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen und sich die sogenannte Gastarbeiterliteratur entwickelte, sind gut 50 Jahre ins Land gegangen. Die interkulturelle Literaturwissenschaft hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, zunächst vor allem mit einem starken Fokus auf der literarischen Produktion türkisch-deutscher Migranten. Der auf diesem Gebiet profilierte Germanist Michael Hofmann geht in seinem Buch „Deutsch-türkische Literaturwissenschaft“ über den Anspruch hinaus, eine Zwischenbilanz der deutsch-türkischen Begegnung in der Literatur zu skizzieren: Nichts weniger als die Konzeption der im Buchtitel angesprochenen deutsch-türkischen Literaturwissenschaft nimmt sich Hofmann vor – augenscheinlich ein strammes Programm für eine Schrift von überschaubarem Umfang. Dessen ist sich auch der Autor bewusst; darum schiebt er nach, hier nur den Anfang einer solchen Wissenschaft markieren zu können.

Warum sich Hofmann überhaupt für eine deutsch-türkische Literaturwissenschaft stark macht: Er will türkische Literatur mit germanistischem Blick lesen und sie so auf aktuelle Fragen der europäischen Kulturwissenschaft beziehen. Das soll neue Perspektiven entwickeln, die verdeckt blieben, solange vor allem die Migrationsliteratur im Fokus der Germanistik steht. Weil Hofmann der Dialog zwischen Germanistik und Turkologie wichtig ist, regt er genauso an, dass türkische Literaturwissenschaftler künftig deutschsprachige Texte lesen. So interessant seine Idee ist: Schade ist, dass sich Hofmanns Buch als Sammelband nur lose verknüpfter Einzelinterpretationen entpuppt. Wie eine grundlegende Forschungsperspektive aussehen könnte, wird nur ansatzweise erklärt. Der Autor gliedert den Band zwar in drei logisch aufeinanderfolgende Teile zu deutsch-türkischen Konstellationen im Allgemeinen, zu Studien zur bereits gut erforschten deutsch-türkischen Literatur sowie in innovativere Interpretationen zur türkischen Gegenwartsliteratur. Dabei wird aber kaum ein durchgehender Argumentationsgang deutlich, geschweige denn die angekündigte Konzeptualisierung einer neuerlichen Forschungsrichtung. Deshalb kann auch die schlüssig wirkende Anordnung der einzelnen Kapitel nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier thematisch verwandte Aufsätze aneinander gereiht wurden, ohne sie zu einer homogenen Schrift zu verbinden.

Gleichwohl ist dem Paderborner Germanisten mit seinem Buch insbesondere Zweierlei gelungen: Zunächst öffnet Hofmann den diskursiven Rahmen für seine Untersuchung weit genug, um auch politische und kulturwissenschaftliche Perspektiven einzubeziehen. Deshalb tauchen in seinem Buch neben der unvermeidlichen Sarrazin-Debatte auch Anmerkungen zum europäischen Moscheen-Streit auf. Außerdem wagt es Hofmann, aus germanistischer Perspektive an Texten der türkischen Literatur zu arbeiten. Und diese hermeneutisch tadellos gearbeiteten Einzelinterpretationen im dritten Teil der Schrift sind besonders lesenswert.

Dass sich Hofmann als Germanist an Studien zur türkischen Gegenwartsliteratur versucht, ist ganz für sich genommen ein Verdienst – und eine spannende Angelegenheit noch dazu. Die Bedenkenträger unter Hofmanns Kollegen argumentieren bei solchen Gelegenheiten gern damit, dass in Dilettantismus oder Beliebigkeit verfalle, wer sich nicht auf das beschränkt, was im Kern zu seinem Forschungsgegenstand gehört. Weil aber nichts bestehende Grenzen zwischen den Kulturen so mühelos einzureißen vermag wie die Literatur, darf auch die Literaturwissenschaft überlegen, sich von solchen Grenzen zu verabschieden – wenn sie deswegen ihre methodische Fundierung nicht verliert. Wie sich beispielsweise Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ und Nedim Gürsels „Turbane in Venedig“ aufeinander beziehen lassen, macht Hofmann nachvollziehbar deutlich. Die Botschaft des Paderborners: Die Germanistik kann nur profitieren, wenn sie sich den Beziehungen zwischen deutschen und türkischen Texten stärker widmet als bislang. Wie solche germanistischen Lektüren türkischer Texte aussehen können, demonstriert Hofmann so inspiriert wie inspirierend anhand von Orhan Pamuks „Das schwarze Buch“ und Mario Levis „Istanbul war ein Märchen“.

Als Leser hätte man sich von Hofmann allerdings eine intensivere Einordnung der in den einzelnen Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse gewünscht. Das wäre der angekündigten Konzeption einer deutsch-türkischen Literaturwissenschaft zugute gekommen, welcher Hofmann durchaus ein abschließendes Kapitel als synthetisierende Zusammenfassung der Ergebnisse aus den Einzelstudien hätte widmen können. Wie der Paderborner erklärt, komme es in der Nachfolge zu seinem Buch unter anderem auf einen verstärkten Dialog zwischen Germanisten und Turkologen an – auf dass längst vollzogene Kontaktaufnahmen von deutscher und türkischer Literatur auch in der Wissenschaft ihre Entsprechung finden.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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Michael Hofmann: Deutsch-türkische Literaturwissenschaft.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2013.
235 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826047268

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