Durchglüht von Farben

Neue Bildbände über die Klassiker der Moderne Paul Gauguin, Franz Marc und Wassily Kandinsky

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei engagierte Bildbände unternehmen den Versuch, Künstlerbiografie, Sozial- und Zeitgeschichte anhand der entstandenen Kunstwerke darzustellen. Begonnen wird mit der Zeit im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, als in Europa der Gedanke der Moderne und der Glaube an den Fortschritt ihrem Höhepunkt zustrebten – aber letzterer zugleich auch schon entschieden hinterfragt wurde. Was sind die Inhalte dieser Moderne in den Werken von Paul Gauguin, Franz Marc und Wassily Kandinsky, ihre Sprache und Ausdrucksmöglichkeiten, ihre besonderen Merkmale, Erscheinungsformen und Erfahrungen? Was verbindet die großen sozialen und politischen Umwälzungen und Entwicklungen mit der Kunst ihrer Zeit, welche Kräfte haben die Künstler daraus geschöpft, aber auch, welche haben sie dadurch verloren?

Paul Gauguin – Von Pont Aven nach Tahiti. Auf der Suche nach der großen Utopie

Karin Sagner, eine Spezialistin der französischen und deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts – zuletzt ist von ihr ein Kunst- und Reiseband Monet – Einladung nach Giverny erschienen – , hat ein informatives Buch über Gauguin herausgebracht, das die Biografie des Künstlers mit anschaulichen Bildinterpretationen verbindet und diese durch Briefauszüge und Zitate des französischen Bahnbrechers der Moderne ergänzt.

Nachdrücklich weist sie darauf hin, dass Gauguin bereits ein wichtiger Vertreter der symbolistischen Malerei in Paris gewesen war, als er auf der Suche nach einem „natürlichen“ und „unentfremdeten“ Leben seine Expeditionen in die Südsee antrat. Ein Rückzugsort wurde ihm schon die Bretagne, wo er bereits als „Wilder“ und „Primitiver“ leben konnte. In „spirituellen“ Bildern stellte er in damals schockierenden, antinaturalistischen Farben ritualisierte Formen kollektiver Glaubensbezeugung dar (Vision nach der Predigt, 1888). Der „Indianer“ Gauguin, der sich auf seine Inka-Herkunft berief, wurde dann zu einem der frühen Entdecker des bildkünstlerischen Potenzials Tahitis. Aber Tahiti erwies sich nicht als das erhoffte Gegenmodell zur verkommenen europäischen Zivilisation – die Bevölkerung war schon ihrer religiösen und kulturellen Identität beraubt –, und schließlich sollte ihm der Aufenthalt auf den Maquesainseln neue Perspektiven öffnen.

Gauguin fand das Paradies allerdings weniger in der Realität als vielmehr in seiner Vorstellung, und aus dieser Vorstellungskraft sind seine Bilder entstanden. Es kam nicht auf die äußerliche Reise an, es war die Reise ins eigene Innere, das geheimnisvolle „Zwerchfell“. Hier allerdings wird es besonders schwer, den Künstler Gauguin aus den Legenden herauszulösen, die sich um ihn gebildet haben. Er förderte seine eigenen Legenden noch, indem er unter dem Titel Noa Noa halb fiktionale idyllische Berichte über dieses Leben und seinen Aufenthalt in der Südsee verfasste. Wir wissen aber aus seinen Briefen, dass sein Leben dort keineswegs so ablief, wie er es in seinen Bildern dargestellt hat.

Welche Gefühle auch immer von den vibrierenden Farben und wirbelnden Formen Gauguins aufgerührt werden – sie sind zugleich beherrscht durch die Harmonie der Figuren und den inneren Frieden, den sie ausstrahlen. Gauguin schuf in seinen Bildern die Mythologie eines tropischen Paradieses, das ihm das Leben grausam vorenthielt. In diese geheimnisvolle, erträumte Welt integrierte er Darstellungen aus der Kunst unterschiedlichster Kulturkreise.

1897 malte er ein riesiges Bild Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?. Es ist mit Symbolen überfrachtet, von der tahitianischen Eva, die im Mittelpunkt des Bildes von einem tropischen Paradiesbaum eine Frucht pflückt, bis hin zu den flüsternden Gestalten und der alten Sibylle, die wie eine peruanische Mumie gebückt hockt. „Ein philosophisches Werk“, schrieb Gauguin einem Freund in Frankreich, „über ein Thema, das aus der Bibel stammen könnte“.

Auf dem Gemälde Herrliches Land (1892) ist ein nacktes junges Mädchen vor einer üppigen Landschaft zu sehen – es handelt sich wohl um die 13-jährige Tehaamana, mit der Gauguin skandalöserweise zusammengelebt hatte –, aber dahinter steht die Idee von Eva und dem Sündenfall. Gauguin verweist auf die Freudlosigkeit eines christianisierten Tahiti und auf den Sündenfall im Kontrast zur ungehemmten Ausübung alter Riten, wie sie durch geheimnisvolle Wesen oder Gesichter im Bildhintergrund zu sehen sind. In Der Mond und die Erde (1893) befindet sich eine junge Maori als  Rückenakt, Hina, die Mondgöttin verkörpernd, im Zwiegespräch mit einem überlebensgroßen männlichem Haupt, es ist ihr Sohn Fatu, der Gott der Erde. Hina fleht ihn an, den Menschen Unsterblichkeit zu verleihen. Doch Fatu besteht darauf, dass die Erde, die Vegetation und auch die Menschen sterben müssen. Die Geschichte von Hina und Fatu hat Gauguin auch einer seiner Skulpturen, die er aus Baumstämmen schnitzte, oder auch dem Holzschnitt Die Götter der Suite Noa Noa von 1893/94 zugrunde gelegt. Vor allem aber knüpft an den Titel Gauguins Künstlererzählung „Noa Noa“ an. Wenn auch Gauguin schon in der Bretagne mit Doppelbildern dieser Art zu spielen begonnen hatte, so lotete er ihr Potenzial, die Kluft zwischen der Phantasie des Künstlers und der Realität der Welt anzudeuten, doch richtig erst in seinen tahitischen Arbeiten aus.          

Aus Gauguins letzter Schaffensphase stammt Der Zauberer von Hivaoa (1902), der als der mit Gauguin befreundete Zauberer Haapuani identifiziert wurde und dessen Frau Tohotaua der Künstler im gleichen Jahr in den Gemälden Barbarische Erzählungen und Mädchen mit Fächer porträtierte. Der Zauberer erscheint als mythischer Mittler zwischen Wildnis und Zivilisation, zwischen Leben und Tod. Am Ende war Gauguins Begeisterung für die Inseln nicht mehr die gleiche, und er fühlte sich in dem Mythos, den er geschaffen hatte, unrettbar gefangen. Den Visionär seines eigenen Lebens überfiel das Heimweh. Das Bild, das sich bei seinem Tod im Atelier auf der Staffelei befand, zeigt ein bretonisches Dorf im Schnee.

Nabis, Fauves und Kubisten haben das Weltverhältnis und die Formensprache Gauguins, dieses Vorboten der Moderne – so Karin Sagner – ebenso geschätzt wie die Expressionisten: „Und mit seinen Tahiti-Bildern wurde er Vorbild für elementare neue Visionen vom ‚Goldenen Zeitalter‘ in der Kunst des deutschen Expressionismus“. 

Franz Marc – Zwischen Vision und Apokalypse

Vor 100 Jahren – am 4. März 1916 – fiel Franz Marc bei Verdun. 1913 hatte er eine Vision der Apokalypse gemalt, wie sie das unschuldige Leben überwältigt, und ihr den Titel Tierschicksale gegeben. Diese tragische Vision von Materie – die Erde, die Pflanzen und Tiere –, von unerbittlichen Energiestrahlen auseinandergerissen und zerstört, erschien damals schon als prophetisch. Wie sich Materie und Leben verbindet – das war ein Zentralthema Marcs. Bei den regelmäßigen Aufenthalten in seinem „Blauen Land“ in und bei Kochel am See und seit 1910 im benachbarten Sindelsdorf (im bayrischen Alpenvorland) zeichnete und malte er die Pferde auf den Koppeln. Er verschlüsselte seine Aussage in eine Tiersymbolik, das Tier wurde bei ihm zum Symbol kreatürlicher Zusammengehörigkeit. Dabei entwickelte er ein eigenes System der Komplementärfarben. Der den Farben eigene Licht- und Leuchtwert steigert das Sinnenhafte des Dargestellten. „Blaues Pferd I“ (1911): Blau, in der Farbe des Immateriellen, des Himmels, steht das junge ungestüme Tier kräftig da,  zu- und abnehmende Farbwerte übernehmen die Funktion von Linien. Marcs Bilder sind farbplastisch gebaut, die Farbe scheint zu atmen.

In dem Band Zwischen Utopie und Apokalypse, den Cathrin Klingsöhr-Leroy im Auftrag der Franz Marc Museumsgesellschaft herausgegeben hat, werden drei Hauptwerke Marcs – Weidende Pferde IV (1911), Das arme Land Tirol (1913) und Kämpfende Formen (1914) in den Mittelpunkt gestellt und an ihnen aktuelle Fragen der Marc-Forschung erörtert. Klingsöhr-Leroy, Direktorin des Franz Marc Museums in Kochel am See, beschäftigt sich mit der für Marc entscheidenden Schaffensperiode von 1911 bis 1914 und verfolgt den Weg des Künstlers vom Tiermotiv zur „Animalisierung der Kunst“, dem „Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge“, das Marc 1910 als sein Ziel formulierte. Oliver Kase, Konservator für Klassische Moderne an der Sammlung Moderne Kunst der Pinakothek für Moderne, untersucht die Gemälde Das arme Land Tirol und Tirol, jene von Tod und Apokalypse geprägten Berglandschaften, in die Marc christliche Symbole göttlicher Präsenz und Heilserwartung integrierte. Im Armen Land Tirol ist menschliches Leben nicht mehr sichtbar, selbst die beiden Pferde im Vordergrund, vorher noch Inbegriff der Vitalität und des Einsseins mit der Natur, wirken kraft- und spannungslos. Der gelbschwarze österreichisch-ungarische Grenzpfahl mit Doppeladler im rechten Vordergrund mutet ebenso merkwürdig an wie der über der Grenzmarkierung sitzende Adler, der sich in den Himmel zu dem Regenbogen erhebt, der sich am oberen rechten Bildrand abzeichnet. Das Ausbalancieren gegenständlicher und abstrakter Elemente wird dann – so Oliver Kase – in Tirol zugunsten einer gesteigerten Abstraktion verschoben. Die Berglandschaft ist jetzt in eine Welt aus Eis und Fels aufgelöst. Das ganze Bild ist erfasst von einer kristallinen, in mehreren Ebenen übereinander geschichteten Tektonik. Eine Entgegensetzung von Tag und Nacht, ein Kampf zwischen Helligkeit und Dunkelheit. Marc hat das Bild 1914 durch eine Figur der Madonna ergänzt, die als das apokalyptische Weib aus der Offenbarung des Johannes ausgelegt wurde.

Die maltechnischen und stilistischen Eigenschaften des Gemäldes Weidende Pferde IV, besser bekannt als Die Roten Pferde, werden von Andrea von Hedenström, Paintings Conservation Fellow am Straus Center for Conservation and Technical Studies der Harvard Art Museums in Cambridge, Massachusetts, und Lynette Roth, Daimler Curator of the Busch Reisinger Museum ebendort, untersucht. Sie sind ein Wendepunkt im Schaffen Marcs, der schon in einer zeitgenössischen Rezension erkannt wurde, wie Marc „die Einzelwesen zur Einheit zusammenschließt, wie er sich dabei der rhythmischen Bewegung bedient“.

Hat Marc in dem wenige Wochen vor Kriegsausbruch 1914 entstandenen Bild Kämpfende Formen (Abstrakte Formen I) den Krieg vorausgesehen und dies im Adler der Apokalypse versinnbildlicht? Hat er – wie einmal in einer Briefpassage formuliert – den deutschen Adler mit Kriegskrallen darstellen wollen? Nina Schleif, Leiterin der Graphischen Sammlung am Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg, weist darauf hin, dass Marc das abstrakte Bild als unvollendet angesehen hat. Den Begriff Kämpfende Formen hat er erst rückblickend unter dem Eindruck der Kriegserlebnisse gewählt und dabei mag er auch – so die Verfasserin – in den unvollendeten roten und schwarzen Farben einen Kampf entdeckt haben, den er nun als vorausgeahnt begriff: Marc hat also mit der Titelfindung Kämpfende Formen das Gemälde vollendet, „nicht im Weitermalen, sondern im Neuempfinden“.

Der Band ist mit einer rückwärts – vom Tod bis zur Geburt – zu lesenden Biografie versehen. Dokumente, Skizzen, Studien und zeitgleich entstandene Bilder werden wiedergegeben, so dass der Leser die Möglichkeit hat, seine eigenen Überlegungen anzustellen.

Wassily Kandinsky – Auf dem Weg zur abstrakten Farbensprache

Er war schon 30, als er 1896 nach München kam, um Malerei zu studieren. Aber binnen weniger Jahre wurde der Russe Wassily Kandinsky zum radikalen Erneuerer der Kunst unserer Epoche. Sein Glaube an eine abstrakte Farbensprache entsprang seiner ungewöhnlich ausgeprägten optischen Wahrnehmung. Er besaß ein absolut eidetisches Gedächtnis, konnte sich auf Befehl Form, Farbe und Ort eines jeden Gegenstandes vor Augen rufen und sie wie mit einer Laterna magica auf die wirkliche Welt projizieren. Er vermochte Farben – Rosenrot, Karminrot, Gelb, Azurblau, Smaragd oder dunkles Veilchenblau – zu „hören“ und Klänge zu „sehen“. Und er war genauso wie Vincent van Gogh besessen vom Stilmittel der Personifikation, also Nichtmenschlichem menschliche Gefühle zuzuschreiben. Als Emigrant in München und danach im Voralpenland, in Murnau, war er besonders empfänglich für die mystisch-romantischen Strömungen des Jugendstils, der sehr abstrahierten Form der Art nouveau, und als Russe fühlte er sich der Tradition der Ikonenmalerei verpflichtet. Nimmt man dann noch seine Liebe zur Volkskunst hinzu – von russischen Bauernwebereien über bayerische Hinterglasmalereien bis hin zu den gänzlich abstrakten Mustern arabischer Fliesen und Stoffe –, dann hat man eine Vorstellung von der unvergleichlichen Farbigkeit seiner Bildgründe.

Kandinskys Weg von der Gegenständlichkeit zur Abstraktion wird in dem Band Gestatten Kandinsky der englischen Kunsthistorikerin Annabel Howard mit Illustrationen von Adam Simpson dokumentiert. Die englische Originalausgabe ist bereits ein Jahr später in deutscher Übersetzung erschienen. Neben einigen neoimpressionistischen Landschaftsbildern malte Kandinsky anfangs in Tempera russische Motive und mittelalterliche Szenen. Das erste große Bild, Das bunte Leben von 1907, lässt auf dem Gipfel eines Berges golden den Kreml wie das himmlische Jerusalem über einer bunten Menge erstrahlen. Es scheint kaum vorstellbar, dass derselbe Künstler drei Jahre später das erste abstrakte Bild in der Kunst malen würde. Dennoch lassen sich zwischen den Farbtupfern der russischen Szenen und Märchenbilder, die juwelenartig auf dunklen Grund gesetzt sind, oder den unregelmäßigen Flecken und gegeneinander  abgesetzten reinen Farbzonen der ersten Murnau-Landschaften und ersten „Improvisationen“ von 1908/09 schon Verbindungen ziehen zum Divisionismus der Neo-Impressionisten und den frühen Bildern der Fauves (Matisse und Derain). Gerade bei den leuchtenden Gelb-, Blau- und Rot-Tönen, die ab 1907 Kandinskys Leinwand beherrschen, muss man unwillkürlich an die betont reinen Farben der Fauves denken. Über die Farbzerteilung der Neo-Impressionisten und über die Technik der Fauves, die allein durch Farbe bewegte Strukturen auf der Bildoberfläche erzielten, gelangte der Künstler allmählich zur Auflösung des Gegenstandes. Die Murnau-Landschaften markieren einen künstlerischen Neubeginn, sie zeigen eine üppig farbige, spielzeugartige, lustvolle Welt, eine leuchtende tupfenartige Farbgestaltung, und diese romantische Vision der Unschuld taucht in Kandinskys Arbeiten als Relikt einer vergangenen slawischen Märchenwelt immer wieder auf: Reiter, Schlösser, Lanzenträger, Segelboote, Regenbogenbrücken und anderes. Indem er aber die Farbe zum Selbstzweck erhob, konnte er die allzu simplen Assoziationen dieser Bilder unter Kontrolle bekommen.

Ein erster blauer Reiter galoppiert schon 1903 über Berg und Tal. Pferd und Reiter erhalten dann sogar monumentale Proportionen, hinter denen die Landschaft zurückbleibt. Die letzte Wandlung erfährt der Märchenritter im Sinnbild des Heiligen Georg, des Drachentöters, der auf vielen seiner Gemälde, Aquarelle, Holzschnitte, Skizzen und Hinterglasbilder erscheint. Schließlich schmückt der kämpfende Ritter den Umschlag des Almanachs Der Blaue Reiter. Auch wenn der Durchbruch zur Abstraktion erst 1910 einsetzt, werden Kandinskys künstlerische Absichten schon viel eher ersichtlich: Seine Bilder sollten einen Geisteszustand schildern, sollten Manifestationen der Seele sein. Die von gegenständlichen Bezügen unabhängigen Kompositionen, vom Künstler zunächst als Endpunkt malerischer Auseinandersetzung empfunden, erwiesen sich bald als neuer Anfang, ein Vorstoß auf dem Weg der emotionellen Bilderfindung.

In den Serien der in Analogie zur Musik sogenannten Impressionen, Improvisationen und Kompositionen werden alle figurativen Elemente wie von einer unwiderstehlichen Flut hinweggeschwemmt, die aus dem befreiten Unterbewusstsein hervordrängt. Kandinsky weitet den Bildraum durch irrationale gegenstandsfreie Farben ins Unendliche aus, stößt in abstrakte Tiefen vor und kehrt dann sofort wieder in die vorderste Bildebene zurück. Der Kriegsausbruch zwang ihn 1914 zur Rückkehr nach Russland. Jetzt wird die Bildfläche durch ein völlig raumloses Agieren der einzelnen abstrakten Elemente bestimmt. Unter  dem Eindruck des russischen Suprematismus und Konstruktivismus dominieren geometrische Formen, der Kreis, die Linie, der Bogen, doch behält Kandinsky Unregelmäßigkeiten bei. 1922 an das Bauhaus berufen, wird er dann seine Kunst vor einem Schülerkreis als Lehre ausbauen.

Die dem Band beigegebenen Illustrationen von Adam Simpson greifen Situationen aus dem Leben Kandinskys auf – sie sind teils stilisiert, teils auch recht kinderbuchartig geraten –, versuchen aber auch – im Sinne der Synästhesie Kandinskys – Metaphern, die Kandinsky zur Erläuterung seiner Ideen nutzte, wie das Gleichnis von der Nuss und ihrer Schale oder vom Baum der Wahrheit aus der Programmschrift Über das Geistige in der Kunst bildhaft umzusetzen. Die Flucht Kandinskys bei Kriegsausbruch 1914 in die neutrale Schweiz und seine Rückkehr nach Russland werden auf einer Doppelseite in kindlicher Weise vorgestellt. Man mag sich zwar noch das bildhaft gewordene Gespräch Kandinskys mit den russischen Konstruktivisten und deren künstlerischen Symbole im Hintergrund gefallen lassen, aber mit der Vorführung eines der exzentrischen Kostümfeste der Bauhäusler beziehungsweise der anekdotischen Begebenheit eines „Geschenkabwurfs“  zu Paul Klees 50. Geburtstag können die für Kandinsky so wichtigen Bauhaus-Jahre keineswegs erklärt werden. Wären diese Illustrationen denn überhaupt nötig gewesen, um das Leben und Werk Kandinskys „plausibel“ zu machen? Können die Arbeiten Kandinskys nicht für sich selbst  zeugen, bedurfte es da unbedingt der Unterstützung durch einen heutigen Künstlerkollegen?      

Wenn man eben die Bilder dieser drei Botschafter der Moderne betrachtet, wird einem klar, wie aufregend die Wiedergeburt der Kunst aus dem Geist der Moderne damals erschienen sein muss.

Titelbild

Annabell Howard: Gestatten Kandinsky.
Illustriert von Adam Simpson.
Übersetzt aus dem Englischen von Dominik Fährmann.
Parthas Verlag, Berlin 2015.
80 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783869641041

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Oliver Kase / Cathrin Klingsöhr-Leroy / Lynette Roth / Nina Schleif: Franz Marc. Zwischen Utopie und Apokalypse.
Sieveking Verlag, München 2016.
160 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783944874432

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Karin Sagner: Gauguin. Von Pont Aven nach Tahiti.
Bookspot Verlag, München 2016.
152 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783937357973

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch