Von Krähen und Menschen

Mit „Krähengekrächz“ schickt Monika Maron ihrem nächsten Roman einen kleinen Exkurs voraus

Von Caroline JentschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Caroline Jentsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Monika Maron hat eine Erzählung über Krähen geschrieben. Was als Recherche für einen Roman begann, wurde zu einer eigenständigen Betrachtung über die Rabenvögel und das Verhältnis von Tieren und Menschen im Allgemeinen.

Die Schriftstellerin, die sich mit Essays und Kommentaren immer wieder in die politische und gesellschaftliche Debatte einmischt, und auch vor heiklen Themen wie der Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, nicht zurückschreckt, begründet ihr zunehmendes literarisches Interesse an Tieren damit, beim Nachdenken über den Menschen ohne die Tiere nicht mehr auszukommen: „Vielleicht liegt es am Alter, am allmählichen Verfall und dem nahenden Sterben, das mich das Tier im Menschen so deutlich erkennen lässt.“ Die Autorin von „Stille Zeile Sechs“, „Endmoränen“ und „Ach Glück“ feiert am 3. Juni ihren 75. Geburtstag. „Zwischenspiel“, ihr letzter Roman, erschien vor drei Jahren.

In ihrem nächsten Buch soll die Krähe zu einer „historischen und moralischen Instanz“ werden, verrät Monika Maron in „Krähengekrächz“. Um mehr über die Vögel zu erfahren, hatte sie es sich deshalb in den Kopf gesetzt mit einem Exemplar dieser Spezies Freundschaft zu schließen. „Schon dieses Vorhaben beweist, wie wenig ich von Krähen verstand“, räumt Maron ein. Sie beschreibt, wie sie die Krähen auf dem Balkon ihrer Berliner Wohnung mit Nüssen und Wurstwürfeln zu füttern beginnt, was argwöhnisch von ihrem Hund Momo beäugt wird, zu dessen Verdruss sich das Fütterungsritual bald auch auf die gemeinsamen Spaziergänge ausweitet.

Ein Thema, das in Monika Marons Werken eine wiederkehrende Rolle spielt, ist die Frage nach der Erinnerung und ihrer Wirkung auf Biografie und Identität. Besonders ihre frühen Romane beschäftigen sich mit der deutsch-deutschen Geschichte, auf die sie, als Stieftochter des damaligen Innenministers der DDR, aber auch als Enkelin eines 1942 deportierten und ermordeten jüdischen Großvaters, eine besondere Perspektive hat. Erinnerung und Identität als wichtige literarische Sujets – so erklärt es sich denn vielleicht auch, dass Maron sich besonders für die Krähe als Zeitzeugin menschlicher Geschichte interessiert. Sie beleuchtet dabei den kulturgeschichtlichen Imageverlust, den die Familie der Rabenvögel mit dem Aufkommen des Christentums erlitt und begibt sich auf literarische Spurensuche. Fündig wird sie, was ihr spezielles Interesse an der Zeugenschaft der schwarzgefiederten Vögel angeht, bei Annette von Droste-Hülshoff, die eine alte Krähe von der blutigen Schlacht bei Stadtlohn im Dreißigjährigen Krieg erzählen lässt („Kein Geier schmaußt, kein Weihe je so reich! In achtzehn Schwärmen fuhren wir herunter, Das gab ein Hacken, Picken, Leich‘ auf Leich“…). Die Krähe als Beobachterin des Menschen und Gast an der mit Leichen reich gedeckten Tafel, die er ihr im Verlauf seiner Geschichte mit verlässlicher Regelmäßigkeit stets aufs Neue bereitet.

Monika Maron interessiert aber nicht nur die Krähe, sie geht auch auf das grundlegende Verhältnis zwischen Mensch und Tier ein. So versucht sie eine Erklärung dafür zu finden, warum es sie zum Weinen bringt, wenn sie einen Film sieht, in dem ein Tier leidet oder stirbt, und beschreibt, wie der Anblick eines unter seiner Gefangenschaft im Zoo leidenden, zwanghaft in einem Tümpel auf- und abpaddelnden Eisbären sie mit dem Bewusstsein menschlicher Schuld konfrontiert („Nie zuvor habe ich ein so schief verzerrtes, verzweifeltes Tiergesicht gesehen. Ich glaube, er sah mich irgendwann an. Wir waren allein, er und ich, und ich sagte leise, es tut mir leid, es tut mir so leid, ich kann nichts dafür.“).

„Krähengekrächz“ ist ein schmaler Band, geschrieben in einem angenehm uneitlen, nachdenklichen und bisweilen trocken-humorvollen Ton, dem man gerne folgt. Dass der Blick auf die Tiere der menschlichen Selbsterkenntnis förderlich ist, und warum es vielleicht auch schön wäre, eine Krähe zu sein, erfährt man in dieser kurzen, literarischen Betrachtung.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2016 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2016 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Monika Maron: Krähengekrächz.
mit einem Nachwort von Elke Gilson.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
64 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783100488350

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