Von generationenübergreifenden Familiengeheimnissen

Die niederländische Autorin Ariella Kornmehl spannt in ihrem vierten Roman „Alles, was wir wissen konnten“ ein dichtes Geflecht aus Liebe, Lügen und Geheimnissen

Von Marie BöhlkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marie Böhlke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Amsterdam während des Zweiten Weltkriegs: Die junge Jüdin Jet taucht erfolgreich in einem Vorort unter, ist jedoch vor den Zudringlichkeiten ihres Nachbarn, einem kunstaffinen Nazi-Kollaborateur, nicht sicher. Viele Male wird sie, als Dienstmädchen eines Freundes getarnt, von ihm bedrängt. Das Kind, das sie bald darauf bekommt, muss sie an den Vater abgeben, jeglicher Kontakt zu ihrem Sohn ist ihr untersagt…

New York 1975: Der erfolgreiche Kunsthändler Otto Collins ist ständig in Sorge, jemand könne die peinliche Nazi-Vergangenheit seines Vaters aufdecken und damit seinen Ruf zerstören. Als er die Nachricht vom unerwarteten Unfalltod seiner Eltern bekommt, reist er zurück in seine Heimatstadt Amsterdam. 

Angelehnt an die Erinnerungen ihrer Großmutter spinnt die niederländische Autorin Ariella Kornmehl in ihrem vierten Roman „Alles, was wir wissen konnten“ ein dichtes Geflecht aus Liebe, Lügen und Geheimnissen, die über mehrere Generationen unaufgedeckt bleiben und erzählt eine tragische, aber gleichzeitig glückliche Familiengeschichte.

Die Sprache des ca. 200 Seiten starken Romans ist einfach und verleitet zum beiläufigen Überfliegen. Die zweifellos erschütternde Erzählung um Jet verliert durch den Schreibstil der Autorin ein wenig an Emotionalität. Sie verwendet allzu häufig indirekte Rede. Das indirekt Gesagte wirkt unglaubhaft, der Leser distanziert sich von den Gefühlen der Figuren. Auch die Erwartung auf einen Höhepunkt oder eine folgenschwere Auflösung, die nach dem Lesen des ersten Teils entsteht, kann der Roman nicht erfüllen. Doch trotzdem gelingt Kornmehl eine ergreifende Familiengeschichte und die Tatsache, dass sie von wahren Ereignissen inspiriert ist, verleiht ihr Nachdruck und hinterlässt einen bitteren Geschmack.

„Alles, was wir wissen konnten“ ist ein Buch über das Schweigen und Sich-Fügen. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich in ihr bedrückendes Schicksal fügt, den Schmerz erträgt und schweigt, um andere nicht zu verletzen und ihre Familie zu schützen. Und es ist die Geschichte eines Mannes, der nicht nur seine Herkunft sondern auch seine große Liebe verbirgt und ebenso schweigt, um seiner Familie nicht weh zu tun, vor allem aber nicht sich selbst.

Trotz der traurigen Thematik ist „Alles, was wir wissen konnten“ ein positiver Roman, der vermittelt, dass Schweigen keine dauerhafte Lösung ist, dass jedes Geheimnis irgendwann ans Licht kommt und vor allem, dass Familie das Wichtigste im Leben ist.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2016 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2016 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Ariëlla Kornmehl: Alles, was wir wissen konnten.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2016.
208 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783455405415

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